Der Also-doch-Faktor und die Leichtgläubigen

Politbewegungen Von Mehrheits-Entspannten und Minderheits-Nervösen soll die Rede sein. Leichtgläubige gibt es in beiden Gruppen

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Es geht in der nachfolgenden groben Vereinfachung um zwei Arten von Leichtgläubigen: um diejenigen, die nahezu alles glauben, was Vertreter des Establishments ihnen erzählen möchten, und um diejenigen, die nahezu alles glauben, was redebegabte aber - jedenfalls einstweilen - vergleichsweise einflusslose Schwadroneure ihnen erzählen möchten. Einem Leichtgläubigen kann eine Verschwörungstheorie genauso schnell zur Gewissheit werden wie eine manipulative Information aus der Mainstream-Presse. Ob ein Leichtgläubiger zur Mainstream-Info oder zur Außenseiter-Info tendiert, hängt sicherlich von seiner bisherigen Lebenserfahrung ab. Es scheint mir mindestens zwei Unterschiede zu geben zwischen dem Leichtgläubigen, der sich in der Minderheit sieht, und dem, der sich in der Mehrheit glaubt.

Der Minderheiten-Leichtgläubige meint, zu Erkenntnissen gelangt zu sein, mit denen er zu einer Avantgarde gehöre. Gleichzeitig fürchtet oder erwartet er staatliche oder institutionelle Repressalien - aus den Behörden, von der Presse, oder auch am Arbeitsplatz.

Der Mehrheiten-Leichtgläubige meint, in einer großen Menge von Menschen - manchmal auch "Gesellschaft" genannt - unauffällig und ungestört bleiben zu können. (Da es sich um eine Vereinfachung handelt, bleiben Schnittmengen unberücksichtigt - was die Darstellung realitätswidrig aufbauschen dürfte.)

Der zweite Unterschied lässt sich zum Teil mit den Vorstellungen der Leichtgläubigen erklären. Zum einen ist die Agitation Leichtgläubiger durch ostentative "Checker" fast immer Teil einer Mission, ob nun die des Establishments oder derjenigen, die das Establishment erschüttern oder stürzen wollen. Die Agitation durch den Mainstream ließ sich letzthin zum Beispiel im Syrien-Krieg und in der Ukraine-Krise beobachten. Die Agitation der darauf folgenden Gegenbewegung - oder vielmehr ihrer Anführer - möchte sich die Erkenntnis oder auch nur Ahnung einer entspannten Mehrheit (die Nachrichten eher nur empfängt als sie zu verarbeiten) zunutze machen, dass im eigentlich anerkannten Status Quo womöglich doch etwas Grundlegendes faul sei.

Nennen wir es den Also-Doch-Faktor, und nehmen wir bequemerweise anstelle eines Definitionsversuchs ein Beispiel her. Als Edward Snowden - unter naheliegenderweise dramatischen Umständen - die Weltöffentlichkeit über die globale NSA-Ausspähung informierte, schien kaum jemand überrascht zu sein. Ob die meisten Menschen wirklich "schon immer" stillschweigend davon ausgegangen waren, dass so ziemlich alles gesammelt oder obendrein belauscht werde, was sie telekommunikativ von sich gaben oder an sich nahmen, sei dahingestellt - vielleicht weiß es ja die NSA. Für den Also-Doch-Faktor und für eine Prädisposition, Snowden zu glauben, sprach aber nicht zuletzt der uralte Instinkt des Menschen, schlechte Nachrichten nachhaltig aufzunehmen und in seine Strategien zu verarbeiten. Angst ist speicherbar. Die Wege, auf sie zu reagieren, sind verschieden.

Aber Leichtgläubigkeit ist womöglich das am weitesten verbreitete Reaktionsmuster, und es stellt sich, wie bereits gesagt, zweigesichtig dar.

Der Mehrheits-Entspannte sagt jetzt: OK, aber schlimmer wird's nicht mehr. (Dazu braucht es vielleicht etwas Selbstüberwindung, und seinem Grips muss er dafür so lange auf den Kopf schlagen, bis wieder Ruhe ist, aber das sieht nach der komfortabelsten Lösung aus.)

Der Minderheiten-Nervöse sagt: Das ist erst der Anfang! Und hier ist das Dokument aus dem Internet, das es beweist! (Welches Dokument, ist eigentlich wurscht. Man muss nur dran glauben.)

Der Leichtgläubige ist Verbraucher - er entscheidet sich für ein Fertigprodukt. Politisches Denken allerdings ist keine Frage des Kaufens, sondern der Übung.

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Geschrieben von

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