Der kleine Schrank in der Freitagscommunity

Religion. Eine kleine Nabelschau.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die FC ist irgendwie links. Und immer, wenn ein irgendwie religiöser Beitrag auftaucht, kommen die laizistischen Exorzisten, um ihn in Quarantäne zu verschieben wie ein trojanisches Pferd. Dabei sind oder waren Erhard Eppler und Gustav Heinemann doch auch irgendwie links, und dabei ziemlich religiös.

Ob Tahrir Chaudhry, Eintagsfliegen wie Tariq Hübschs Blog, Scheineintagsfliegen wie Paul Michels, oder einige Esoteriker: they draw a crowd. Wobei die Monotheisten den Esoterikern meistens um Längen voraus sind, was die Länge ihrer Kommentarthreads betrifft. Und die meisten Kommentare sind überaus kritisch.

Meine erste Vermutung war die, dass die FC sich vielleicht von der eigenen Sterblichkeit provoziert fühle. Wer glaubt, ist ja unsterblich, oder glaubt das jedenfalls. Aber da hülfe es einem profaneren Zeitgenossen ja auch, mitleidig auf die frommen Illusionisten herabzusehen, weil er mehr weiß als die Frommen. Aber dass er mehr weiß, will er den Frommen dann auch noch unbedingt mitteilen. In bis zu fünfhundert Kommentaren!

Darum glaube ich mittlerweile etwas anderes. Vom kapitalistischen bis zum irgendwie linken "Materialisten" sieht man sich angewiesen auf Narrative, auf positive Erzählungen. Für den Rechten kann es Ronald Reagan sein (wobei, der war auch fromm, aber da kann man ja tolerant sein, wenn er sonst alles richtig machte). Für den irgendwie Linken kann es Hugo Chavez sein - dass der nicht mehr lebt, ist da eher von Vorteil, denn so muss er seine eigenen Fehler nicht mehr zusammen mit seinen Gläubigen ausbaden. Das macht jetzt der Busfahrer aus El Valle. Er nimmt die Sünden des Hugo auf sich.

Wobei, so ganz stimmt das auch nicht, denn Schuld sind aus seiner Sicht die Venezolaner, die gar nicht an der Regierung sind. Es handelt sich also eher um eine heilige Zweifalt: Hugo und Nicolas. Und ausbaden müssen das die venezolanischen Rechten. Jedenfalls auch. Alles andere wäre ja ungerecht.

How auch ever: unter Religiösen und bei irgendwie Linken besteht eine derartige Schwäche für Heiligenbildchen, dass sich mir der Verdacht aufdrängt, sie wären früher alle in der gleichen Sonntagsschule gewesen. Mit Gudrun Pausewang als Oberlehrerin. Später fand es dann jeder Sonntagsschüler für sich heraus - der eine irgendwo links, der andere bei den Posaunen von Jericho.

Aber wahrscheinlich verstehe ich das ja alles ganz falsch. Vielleicht handelt es sich ja auch um zwei ganz unterschiedliche Ansätze zur Welterlösung, wobei die Betonung der einen vielleicht eher auf dieser Seite von dem großen Schrank liegt, in den wir alle reinmüssen (und je nach Glauben auf der anderen Seite wieder raus), und die der anderen auf jener Seite vom Schrank - an welche die Nichtgläubigen (oder wie auch immer) nicht glauben, und darum die Verschiebung der Erlösung auf die andere Seite für eine Verschiebung ins Nichts halten.

Eigentlich wäre damit alles geklärt. Eine Erlösung, die es womöglich gar nicht gibt, geht ja gar nicht. Manche religiösen Freitag-Blogger scheinen sich derart aufs Jenseits zu konzentrieren, dass sogar die FC sie einfach bloggen lassen könnte, ohne hunderte von Kommentaren unter ihre Beiträge zu schreiben. Aber bei anderen drängt sich die Frage auf, ob ihr Plan sich nicht auch auf diese Seite des gedachten Schranks bezieht.

Da beginnt der wirkliche Konflikt. Der Unterschied zwischen Frommen und irgendwie Linken besteht dann nämlich nur darin, dass das Paradies für manch irgendwie Linken nur ein paar Flugstunden entfernt ist (irgendwo in Lateinamerika), und für die anderen zwar im Jenseits, aber irgendwie soll sich das auch schon in der weltlichen Ordnung manifestieren. Für ganz Ungeduldige qualifiziert sich vielleicht auch der Iran als Paradies auf Erden.

Und ganz kompliziert wird es, wenn man bedenkt, wie viele Ex-Linke heute in erster Linie Esoteriker sind. (Kennt irgendwer niemanden, der diese Wandlung durchgemacht hätte?) Das wäre dann der kleine Schrank auf dieser Seite vom großen Schrank. Keiner muss da rein, und keiner muss da durch. Aber er ist womöglich für viele irgendwie Linke eine ständige Versuchung, gegen die man sich irgendwie wehren muss.

Und das geschieht natürlich regelmäßig in der FC, in den bewussten Threads. Missionare haben ein Gespür dafür, welche Äcker die fruchtbarsten sind.

Mehr zum Thema

Science in Action, JR, Dec 26, 2010
Jerusalem, Proms, 2006

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

JR's China Blog

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden