Die EU und Chinas "Seidenstraße"

Deutscher Machtverlust? Chinas bevorzugte Partner sind die mittel- und osteuropäischen Staaten. Das irritiert den Hegemon vor Ort

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Shenzhen City in der Nähe der historischen Handelsstadt Kaschgar. Auch bei der neuen Seidenstraße profitieren bevorzugte Partner: mittel- und osteuropäischen Staaten
Shenzhen City in der Nähe der historischen Handelsstadt Kaschgar. Auch bei der neuen Seidenstraße profitieren bevorzugte Partner: mittel- und osteuropäischen Staaten

Foto: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Diplomaten rutscht selten etwas heraus. Umso aufmerksamer wird hingehört, wenn es doch einmal einem passiert. So dem damaligen chinesischen Außenminister Yang Jiechi, im Sommer 2010 bei einer Konferenz der Assoziation südostasiatischer Staaten (ASEAN) in Hanoi: "China ist ein großes Land, und andere Länder sind kleine Länder, und das ist einfach eine Tatsache", schleuderte er seinem damaligen Kollegen aus dem Stadtstaat Singapur entgegen.

Man spricht Deutsch

Ganz so freimütig gehen deutsche Außenminister in internationalen Konferenzen nicht mit ihren Amtskollegen um. Aber falsche Bescheidenheit ist ihre Sache auch nicht. Und die geräuschvolle Begleitmusik kommt meistens aus der größten Bundesregierungspartei. In der EU werde jetzt Deutsch gesprochen, verkündete der Chef der Bundestagsfraktion von CDU und CSU im Herbst 2011 auf einem Parteitag.

Und die Beinahe-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, CDU-Präsidiumsmitglied Julia Klöckner, ließ das Publikum der "Tagesschau" am Sonntagabend wissen, sie sei skeptisch hinsichtlich einer SPD-tolerierten Minderheitsregierung Merkel, denn

Deutschland ist jetzt nicht Dänemark, und Deutschland hat 'ne ganz andere Bedeutung - eine starke Bedeutung - innerhalb Europas. Da ist Stabilität gefragt.

Östlich der Oder allerdings gibt es Länder, die gehören noch nicht einmal zum Euroland. Die Polen zahlen und kassieren weiter mit Zloty, die Ungarn mit Forint, und die Rumänen mit Leu. Und wenn es schlecht läuft, spricht man dort in einigen Jahren nicht etwa Deutsch, sondern Chinesisch.

China fällt mit seiner Wirtschaftspolitik nur selten medial auf. So selten, dass der südafrikanische Journalist und China-Beobachter Jeremy Goldkorn sich vor sieben Jahren anlässlich eines Besuchs des damaligen chinesischen Vizestaatschefs Xi Jinping in seinem Land über die Passivität der heimischen Presse angesichts "epochalen Wandels" wunderte: immerhin sei China im Begriff, für Südafrika wichtiger zu werden als Großbritannien oder die USA.

Aber auch in Europa ist die Presse nicht just hellwach, wenn es um chinesischen Handel und chinesische Investitionen geht. Als der deutsche Dienst des tschechischen Auslandsradios im Sommer einen Beobachter der tschechischen Außenpolitik fragte, wo politische Einflussnahme durch die Wirtschaft in den Beziehungen mit China beginne, fand dieser, China setze mit seiner Mittel- und Osteuropapolitik - der 16+1 Politik - "auf das falsche Format". Sein Interviewer war ob dieser Botschaft offenbar so erleichtert, dass er gar nicht erst mit der Frage nachfasste, ob womöglich just die speziellen Beijinger Beziehungen mit den "16" - Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowenien und die Slowakei als EU-Mitgliedsländer und Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Serbien als außer-EU-Partner - Chinas Interessen in Europa am besten entsprächen.

Der EU-Parlamentarier Bernd Lange jedenfalls fürchtet laut "Hannoversche Allgemeine" Chinas Einfluss bei Deutschlands östlichen Nachbarn: oft untergrabe Chinas wirtschaftliches Engagement europäische Werte und Prinzipien, zitierte die Zeitung Lange, und: man müsse bei Geldflüssen aus China genauer hinschauen.

Allerdings gilt das offenbar eben nur, wenn es sich um Geldflüsse in osteuropäische Länder handelt. Geht es hingegen darum, sich von Chinas Regime die Ausbildung von Chinesischlehrern in Niedersachsen - also Langes Bundesland - kofinanzieren zu lassen, muss man es nicht so genau nehmen. Dabei geht es hier um einen Arbeitsbereich, der in der Vergangenheit besonders intensiv vom in der Bundesrepublik praktizierten Berufsverbot betroffen war. In den China-Beziehungen der 16 europäischen Länder hingegen geht es dem Vernehmen nach derzeit insbesondere um Handel und um Infrastrukturinvestitionen - also kaum um Fragen von Verfassungsrang.

Doppelte Standards dürfen in Deutschlands europäischen Partnerländern kaum auf Beifall hoffen.

"Teutonisches Beben"

Schon im Sommer glaubte der "Economist", angesichts sich abzeichnender neuer globaler Kräfteverhältnisse in Berlin ein "teutonisches Beben" wahrzunehmen. Nicht nur sei Angela Merkel ein allgemeines Schulterklopfen zwischen US-Präsident Trump und seinem russischen Amtskollegen Putin aufgefallen, sondern ein internes Memo des deutschen Auswärtigen Amtes habe einen für Moskau günstigen Verlauf des G20-Gipfels in Hamburg registriert. So lange die USA nicht auf Linie blieben, könne Russland im Mainstream schwimmen.

Das, so der "Economist", sei aus Berliner Sicht umso schlimmer, als bereits China mit seiner 16+1-Initiative in Osteuropa Einfluss nehme.

Deutschland spielt in Europa eine hegemoniale Rolle, und das nicht erst seit der Eurokrise. Schon ein Jahr nach der deutschen Einheit, 1991, erkannte das deutsche Auswärtige Amt Kroatien als unabhängigen Staat an - lange, bevor Frankreich, Großbritannien oder Amerika es taten.

Wenn Deutschlands Nachbarn eine Chance sehen, Gegengewichte zum Platzhirschen vor Ort zu schaffen, nehmen sie die Gelegenheit gerne wahr. Chinas Nachbarn - Vietnam, Südkorea, Japan oder auch Indien - machen es ja nicht anders: ihr Gegengewicht zu Beijing sind die USA.

Aber dass sich EU-Mitgliedsländer über einen autoritären Partner als Korrektiv zum deutschen Einfluss in Europa freuen könnten: das passt nicht zum Berliner Narrativ, dem zufolge Deutschland Motor eines Europas gleichberechtigter Länder sei.

Dass China in Osteuropa nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch erheblich Einfluss gewinnen könnte, muss nicht nur mit einer verfehlten deutschen Vorherrschaftspolitik zu tun haben - vielleicht sind manche osteuropäische Länder - z. B. Polen oder Ungarn - ja tatsächlich konservativer oder auch reaktionärer als ihre westlichen Partnerstaaten.

Aber das steht nicht fest. In ihren Gründungsjahren war auch die BRD ein reaktionäres Land, und ob es sich bei den autoritären Tendenzen in Osteuropa und dem chinesischen totalitären Staat um politische Gemeinsamkeiten handelt oder lediglich um strategische Annehmlichkeiten beim Ausbalancieren des einflussreichen deutschen Exportweltmeisters, bleibt abzuwarten. Immerhin sah die China-Politik des 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene früheren polnischen Präsidenten Lech Kaczyński noch ganz anders aus als die seiner heutigen politischen Erben. Und gerade in Polen opponieren Teile der Bevölkerung beharrlich gegen die PIS-Regierung.

Wenn der deutschen politischen Klasse etwas daran liegt, die EU-Skepsis der Osteuropäer nicht noch anzuheizen, müssen auch die Sozialdemokraten - die sich ja eines besonders konstruktiven Europabewusstseins rühmen - damit aufhören, sich als Zuchtmeister für liberale Werte aufzuspielen. Wegweisend könnte vielmehr das sein, was die britische Premierministerin - leider alledings auf dem Weg aus der EU hinaus - Anfang des Jahres bemerkte: "Our continent's great strength has always been its diversity."

"Ein Schatten ihrer selbst"

Der polnische Radioauslandsdienst tut es derweil seinen Branchenkollegen weltweit nach: anstatt über die epochalen Wandlungen der Welt dank chinesischer Infrastrukturinvestitionen zu berichten, konzentriert er sich auf das Wesentliche: den Hegemon westlich der Grenze.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist leider dem Kult der eigenen Person zum Opfer gefallen, zitiert der Sender den Politologen Marek Cichocki. Demnächst werde sie "als Schatten ihrer selbst" weiter regieren.

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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