Die Union und ihr rechter Flügel

Vor der Zerreißprobe CDU und CSU droht das, was die SPD seit 1983 mit den Grünen und seit 2005 mit der Linkspartei erlebt. Nur einem KanzlerInnenwahlverein kann das egal sein

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Über die Motive, aus denen gerade Hans-Peter Friedrich öffentlich über die offene rechte Flanke der CDU/CSU sprach, lässt sich spekulieren. Wer aber mutmaßt, Friedrich glaube selbst nicht was er sagt, dürfte sich irren. Zwischen den seinerzeitigen Innenminister Friedrich ("Dass aber der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt") einerseits und andererseits Wolfgang Schäuble ("Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas") und Christian Wulff ("Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland") passten einige Aktenordner. Und wer glaubt, Gerda Hasselfeldt verstehe Friedrich tatsächlich nicht, irrt sich mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls. Das Thema, so der Schweizer Radiokorrespondent Casper Selg in Berlin, treibe CDU und CSU seit längerem um: wohin soll die Union gehen? Hin zur Mitte, wo man das grösste Wählerpotenzial sieht - oder die Augen rechts, auf die Anliegen konservativer Wähler, die sich von der Union immer weniger vertreten fühlen?

Als Löschzug eilt Hasselfeldt ein Sprengsatz zu Hilfe: an Friedrichs Vorwürfen sei ja vielleicht sogar etwas dran, aber

es gibt dazu unter strategisch denkenden Menschen keine Alternative. Denn die CDU würde, wenn sie wieder dezidiert den konservativen und rechten Rand mit Themen bedienen würde, in der Mitte mehr verlieren als sie rechts gewinnen könnte. Es wäre weniger als ein Nullsummen-Spiel.

Und trotzdem könne Merkel ja, sollte sich an der mehr als vierzigprozentigen Mehrheit der Union im Bundestag eine Änderung nach unten abzeichnen, jederzeit an ein paar Stellschrauben drehen.

Und die AFD rechts und die übrigen Parteien links gucken stumm auf dem ganzen Tisch herum. So stellt Michael Spreng sich das jedenfalls vor.

Vor zweiundzwanzig Jahren tat die SPD das ja tatsächlich. Kaum ein Jahr war vergangen, seit Volker Rühe, damals Generalsekretär der CDU, den Sozialdemokraten den Satz "jeder weitere Asylant ist ein SPD-Asylant" um die Ohren geknallt hatte. Kurz vor Weihnachten 1993 brach die SPD weinend zusammen und vereinbarte mit der Union in einer informellen großen Koalition den "Asylkompromiss".

Jetzt aber verhandelt die niedersächsische Landesregierung (SPD und Grüne) mit drei muslimischen Verbänden über einen Staatsvertrag, wie es ihn seit 1955 mit den evangelischen Kirchen und seit 1965 mit der katholischen Kirche im Land gibt. Auch muslimische Feiertage will Ministerpräsident Stephan Weil zumindest nicht gleich von der Hand weisen. Dabei stehen Niedersachsen allerdings ganz unterschiedlich verbindliche Optionen offen - von einer Wohlfühlnummer bis zu einer Reihe von Gesetzesänderungen. Im Gegensatz zur Union behält die SPD ihre Stammwähler aber jedenfalls im Blick.

Von diesen Kulturfragen abgesehen wird es vor allem politisch spannend. Vor gut vierzig Jahren sinnierten Sozialdemokraten über die Frage, ob ein Mehrheitswahlrecht mit einem sich fast automatisch daraus ergebenden Zweiparteiensystem nicht die wünschenswerteste, weil "stabilste", Konstellation böte. Und noch vor gut zwanzig Jahren, beim Ringen um das Asylrecht, war die SPD eine Partei, deren Spitzenpolitikern Skrupel bei der Wahl ihrer politischen Mittel zumindest nicht völlig fremd waren. Einen Kanzler Schröder, zwei "große Koalitionen"mit einer ziemlich kleinen SPD und mehrere Hartz-Gesetze später sieht die Welt aber ganz anders aus.

Die Sozialdemokraten werden eine "Spaltung des bürgerlichen Lagers" mit Vergnügen unterstützen, wenn sie damit die Union auf SPD-Größe zusammenstutzen können.

Konkret: SPD und Grüne machen die Integrationspolitik, die sie ohnehin schon lange machen wollten. Und die niedersächsische CDU ist hin- und hergerissen zwischen der alten Hasselmann-Partei und der Allen-wohl-und-niemandem-weh-Führung, die ihr heute vorsteht. Wagt sich die Union auch zu dieser neuen Mitte vor - und dafür spricht ja alleine schon, dass ein vormaliger niedersächsischer CDU-Ministerpräsident und spätererer Bundespräsident bereits vor fast fünf Jahren erste Grundlagen dafür legte -, blühen AFD und Pegida auf wie friesische Superkühe auf fetter Weide. Und versucht die CDU, die neuen Rechten, oder eben ihre Wähler von gestern, abzudrängen, gibt sie das Feld preis, auf dem Christian Wulff und eine Generation zuvor Rita Süßmuth sich so viel Mühe gegeben hatten.

Spätestens dann wird sich vielleicht zeigen, von welchen Stellschrauben, an denen Merkel drehen könne, Michael Spreng eigentlich spricht. Wenn er sich dann noch daran erinnern kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kommentarfunktion deaktiviert

Die Kommentarfunktion wurde für diesen Beitrag deaktiviert. Deshalb können Sie das Eingabefeld für Kommentare nicht sehen.