Edward Snowden – ein tragischer Held

NSA Die EU übt sich im Kriechgang, legt die Stirn behutsam auf die ungewaschenen Füße der USA und verrät, was ihr heilig ist: Anstand und Selbstachtung

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Cäsar ist Schuld. Er prägte einst den Satz „Ich liebe den Verrat, aber ich hasse Verräter“
Cäsar ist Schuld. Er prägte einst den Satz „Ich liebe den Verrat, aber ich hasse Verräter“

Bild: Rixens, Foto: Henry Guttmann/ AFP/ Getty Images

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Von J. Taylor
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Manchmal, nicht immer, kann man von Grabinschriften lernen. In London gibt es eine an dem Ort, an dem einst Admiral Horatio Nelson, der Held der Seeschlacht bei Trafalgar, aus einem Branntweinfaß entnommen und feierlich begraben wurde. Dieser lautet „Palmam, qui merult, ferat“, was in etwa heißt: Die Siegespalme erhalte, wer sie verdient hat.
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Wären die Entscheider in der EU tatsächlich die, für die sich selbst halten, also souveräne Politiker, hätten sie im Fall Snowden nicht den Kriechgang gewählt, sondern das erhobene Haupt. Welch unsägliches Bild gibt ein Europa nur ab, dass sonntags die Menschenrechte von der Kanzel ausruft und werktags mit dem Mut einer hüftlahmen Maus agiert? Europa hat die Siegespalme nicht verdient.
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Gequälte Gymnasiasten wissen es längst, nun wird es Gewissheit, Caesar ist schuld. Der prägte einst den Satz „Ich liebe den Verrat, aber ich hasse Verräter“. Ganze Generationen haben diesen Satz, angeblich ausgesprochen im Gallischen Krieg, gelesen, also in dem Epos, in dem übrigens eben dieser Caesar das Wort „trucidare“ (abschlachten) so oft benutzte wie Dieter Bohlen die ihm bekannten drei Noten. Neben den Liedern von Dieter Bohlen kann nichts mehr quälen als eine Binse des Schlächters Gaius Julius Caesar, und doch bleibt beides in den Hirnen der Europäer hängen, das eine seit Jahren, das andere seit Jahrhunderten.
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Egal was Edward Snowden vor dem Verrat getan und gedacht hat, auch wenn er einst ein Saulus in Diensten von CIA und NSA war, am Ende zählen allein seine Motive diesen erkannten Irrweg zu beenden. Hat Edward Snowden durch den Verrat etwas materielles gewonnen? Nein. Hat Edward Snowden heute ein besseres Leben? Nein. Hat Edward Snowden aus Feigheit, Ignoranz oder Schwäche getan, was er tat? Nein.
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Dieser Mann hat bewusst die Arschkarte gewählt. In seinem Leben ist nichts mehr wie es einst war, auch und gerade das nicht, was er liebte. Er hat auf der ganzen Linie verloren, so scheint es zumindest, aber auch etwas gewonnen, was unverkäuflich ist und doch von vielen Menschen verkauft wird: Anstand und Selbstachtung.
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Edward Snowden ist mit seiner Tat der perfekte Held in einer griechischen Tragödie, nicht einmal Aristoteles hätte sich das besser ausdenken können. Er lebt in einem Land eines Despoten, nur zeitlich befristet geduldet, weil auch dieser Caesar gelesen hat, und hofft auf die Solidarität der Menschen in Europa, denen er die Augen geöffnet hat, die allerdings auch Caesar gelesen haben. Die Menschen, die heute durch Edward Snowden wissen, was sie vorher für einen schlechten Traum hielten, schaffen es ja nicht einmal ihre Regierungen zu dem zu zwingen, was Bestandteil der europäischen Idee ist, das politische Asyl.
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Wir Europäer haben weder Edward Snowden, noch eine Siegespalme verdient.

Edward Snowden habe etwas Besseres verdient als ein Leben im Exil, in Furcht und Flucht, schrieb die "New York Times" Anfang Mai. Snowden vermisst sein Zuhause, rechnet aber für den Fall einer Rückkehr nicht mit einem fairen Gerichtsverfahren..

Europa ist unbeteiligt - oder wäre es jedenfalls liebend gern.

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