Eine "bessere Welt" beginnt zu Hause

Xi Jinpings Staatsbesuch In einem Beitrag für die Tageszeitung "Die Welt" beschreibt der chinesische Partei- und Staatschef, wie China und Deutschland aus seiner Sicht die Welt verbessern können

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Der chinesische Partei- und Staatschef Xi Jinping
Der chinesische Partei- und Staatschef Xi Jinping

Foto: Wu Hong-Pool/Getty Images

China sei ein armes, rückständiges Land, argumentierte Mao Zedong 1958, in einem Beitrag für die Zeitschrift "Rote Fahne" und in mehreren Redebeiträgen. Auf den ersten Blick sei das nicht gut. Auf den zweiten aber schon, denn wer arm sei, wolle Veränderung, Aktion und Revolution. Auf weißem, unbeschriebenem Papier könne man die neuesten und schönsten Zeichen schreiben und die schönsten Pläne entwerfen: das chinesische Volk als einer der vier Schätze des Gelehrtenzimmers.

Für →Laien, und vielleicht auch für Historiker, ist mitunter schwer bestimmbar, wie ernst eine Aussage gemeint war - von wieviel blindem Idealismus oder von wieviel manipulativer Absicht sie motiviert war. Denn das chinesische Volk mochte arm sein: geschichtslos aber war es nicht. Mao hätte es wissen können.

Nun hat Xi Jinping anlässlich seines anstehenden Staatsbesuchs in Deutschland und zum G-20-Gipfel in Hamburg zu Papier und Pinsel gegriffen und der "Welt" einen Gastbeitrag geliefert: einen Plan "für eine bessere Welt".

Sein Beitrag berührt die Themenbereiche, die China im deutschen Kontext wichtig sind. Bei außen- und weltpolitischen Fragen darf man davon ausgehen, dass Beijing den Spielraum Berlins als begrenzt einschätzt: das westliche Bündnis gilt in Deutschland als alternativlos, und das bestimmt den außenpolitischen Rahmen, in dem Berlin seine Entscheidungen trifft.

Zentral dürften die von Xi ebenfalls erwähnte handels- und investitionspolitischen Felder sein, und hier insbesondere der Technlogietransfer. Auf diesem Gebiet hat Deutschland China - einstweilen jedenfalls - viel zu bieten. Dafür hört man sich in Beijing bisher sogar noch deutsche Plädoyers für eine Beachtung der Menschenrechte an - die Retourkutschen besorgt die inländische Presse auf Chinesisch; kein deutscher Würdenträger ist verpflichtet, diese zur Kenntnis zu nehmen und dabei womöglich sein Gesicht zu verlieren.

Im Kontext der Handelspolitik knüpft Xis Gastbeitrag an eine Rede an, die er im Januar in Davos gehalten hatte: diese hatte beim China-Korrespondenten des "Handelsblattes" einen papiernen Begeisterungssturm ausgelöst - eine "Standpauke" habe Xi Jinping "den Populisten in der Welt" gehalten.

Natürlich nicht in der gleichnamigen deutschen Tageszeitung. Auch, dass Deutschland im Mai - im Gegensatz zum Beispiel zu Polen und Tschechien - weder Staatsoberhaupt noch Regierungschefin, sondern lediglich seine neue Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries zum "Seidenstraßen-Gipfel" nach Beijing entsandt hatte, eignet sich nicht zur Erwähnung in einem Beitrag aus Anlass eines Staatsbesuchs. Harmonie ist angesagt.

Menschenrechte freilich spielen in Xi Jinpings Beitrag keine Rolle. Und auch, wer als Ausländer in China Geschäfte machen will, hält oft lieber die Klappe. Manch einer eilt der Etikette gar noch ein wenig voraus: als der Sinologe Tilman Spengler vor sechs Jahren nicht mit einer Delegation des damaligen deutschen Außenministers Westerwelle nach China einreisen durfte - mutmaßlich, weil er zuvor eine Laudatio auf den Dissidenten Liu Xiaobo gehalten hatte - , fielen dem Schriftsteller Christian Y. Schmidt einige Besonderheiten der deutschen Presse (und vielleicht auch im Freiheitsverständnis deutscher Unternehmensvertreter) auf:

Gerade habe ich wieder ein schönes Beispiel erlebt, anlässlich der Ausladung des Sinologen Tilman Spengler von der Eröffnung der deutschen Ausstellung zur "Kunst der Aufklärung". In Peking hat es dazu eine Pressekonferenz gegeben. Und da wird dann berichtet, dass ein Journalist von Wirtschaftsführern ausgebuht worden sein soll, weil er eine Frage zu Tilman Spengler gestellt hat. Ich glaube durchaus, dass das so war - es wird aber keiner dieser Wirtschaftsführer

[in der deutschen Presse]

mit Namen genannt. Es ist interessant zu beobachten, dass man die chinesische Regierung zwar gerne verteufelt, dass aber immer wieder deutsche Wirtschaftsführer, die sich auf die Seite der chinesischen Propaganda schlagen, nicht namentlich genannt werden. Da frage ich mich: Warum? Vielleicht, weil man Angst hat, dass diese Unternehmen dann keine Anzeigen mehr schalten? Mein Eindruck ist, dass man sich eben auch in Deutschland sehr ungern mit den Vertretern derjenigen anlegt, die hier tatsächlich das Sagen haben - ähnlich wie in China. In Deutschland funktioniert das natürlich anders, als sich die Chinesen das vorstellen. Es muss keiner anordnen.

China hat Geld, und Geld macht schön. Je nach Auge der Betrachter macht es natürlich auch ganz schön hässlich, und das nicht zuletzt just des Geldes (oder des stetig wachsenden wirtschaftlichen und politischen Kapitals) wegen. China gilt als ökonomischer und ideologischer Konkurrent, und wird entsprechend gefürchtet. Aber es gibt auch ausländische Bewunderer seines autoritären Systems: sie schreiben ihm magische, kohäsive und innovationsfördernde Qualitäten zu. Das gilt insbesondere Beobachter, die sich von einem "chinesischen" System eine Zerschlagung gordischer Knoten bei sich zu Hause versprechen.

Dabei müsste "eine bessere Welt", wie von Xi gefordert, eigentlich in der eigenen Nachbarschaft beginnen. Es lohnt sich, die zwischenstaatlichen Konflikte wahrzunehmen, die dort zwischen China und anderen asiatischen Staaten kochenum die schöne Botschaft einordnen zu können.

Neben der Attraktivität Chinas für die Geschäftswelt dürfte einer der Gründe für die relative Sinophilie in Deutschland darin liegen, dass es zwischen der Europäischen Union und Russland Konflikte gibt, die es prinzipiell zwischen EU und China ebenso geben könnte. Wo Russland sich die Krim nahm, baut China sich "künstliche Inseln" im Südchinesischen Meer, um dort Ansprüche zu stellen, die internationalem Recht - soweit bisher verhandelt - voraussichtlich nicht standhalten würden (wenn China das Seerecht denn überhaupt beachtete).

Nachvollziehbar ist jedenfalls nicht, warum Wirtschaftssanktionen als Reaktion auf die russische Krim-Annexion legitim sein sollen, wenn Chinas Aneignungsversuche in internationalen Seegebieten vom Westen nicht in vergleichbarer Weise beantwortet werden. Der vom Westen gemachte Unterschied dürfte in den geschäftlichen und geostrategischen Interessen der EU liegen. Russland scheint weniger Geschäftsgelegenheiten zu bieten als China, dafür aber umso mehr Gelegenheiten zu Krawall.

So malt sich jeder sein eigenes Bild von China auf armes, weißes Papier. Dabei macht Beijing es seinen "Freunden" in Deutschland so leicht wie möglich, so lange das nichts kostet. Was Chinas Auslandsmedien schreiben oder senden, ist üblicherweise nicht geeignet, deutsche Eliten zu verärgern, zu beleidigen, oder ihnen jede Menge Überstunden zu verursachen. Die weitaus weniger auf Harmonie getrimmte Moskauer →Pressearbeit hingegen nimmt weniger Rücksicht auf Westgefühle.

Dabei gilt im Umgang mit jeder auswärtigen Macht - und mit einer, die gesellschaftssystemisch konkurriert und als potenzielle Bedrohung wahrgenommen wird, erst recht -, was der Sinologe Rüdiger Machetzki vor geraumer Zeit*) als Herausforderung für China formulierte:

Die Kunst, am Aufbau einer neuen „global governance architecture“ mit eigener Gestaltungskraft teilzunehmen, liegt jedoch nicht in der Verweigerung. Nein zu sagen, ist relativ leicht. Um vieles schwerer scheint es, ja sagen zu können (und zu wollen). China ist - trotz aller immer wieder zu registrierenden Rückschläge - auf einem guten Weg, diese Lektionen zu erlernen, und es lernt schnell.

Ob China es wirklich lernt, wird sich zeigen müssen - der Fall Liu Xiaobo zeigt, dass die viel bewunderte gesellschaftliche "Kohäsion" der chinesischen Gesellschaft kein Naturprodukt ist.

Aber auch der Westen - und in diesem Falle Deutschland - sind in keiner Position, schlicht "Nein" zu sagen, wenn es um Kooperation mit China geht. Was in einer solchen Kooperation konkret geht und was nicht, bleibt eine Frage der Interessen, und der Ethik.

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*) im September 2003 von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht - Dank an Urmel für den Hinweis. Wenn jemand das Datum des verlinkten Vortrags kennt, freue ich mich über Info.

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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