El Condor Pasa, oder Kotzen im Katzenkäfig

Zur Verständigung. Vor ein paar Stunden hat Costa den dritten Abschnitt seines offenen Briefes gepostet. Erste Eindrücke.

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Sind die gefährlich, oder wollen sie nur spielen?

Eine frisch operierte Katze ist etwas sehr Analoges, im Gegensatz zu digitalen Postings. Nachdem C. zweimal geworfen hatte - insgesamt acht Katzenkinder, von denen sieben überlebten -, war es Zeit für Geburtenkontrolle. Sie war nicht die einzige, die zum Arzt musste, aber sie gestaltete die Sache vergleichsweise dramatisch.

Frisch operiert lag sie auf dem Küchentisch, in ein Handtuch gewickelt, wie ein kaltes Stangenbrot. Aber ihre Augen waren weit geöffnet, und sie war biestig wie immer. So schnell, wie mir das Handtuch um die Ohren flog, war sie auch schon hinter einem Schrank verschwunden.

Warum nicht, dachte ich. Da liegt sie auch nicht schlechter, und schön im Dunkeln.

Aber damit war sie auch nicht zufrieden. Gleich nachdem ich vor die Tür gegangen war, hörte ich, wie das Fressgeschirr durch die Küche schepperte. C. kam zu mir nach draußen, allerdings nicht zu Fuß, sondern seitlich liegend, mit just jenen kräftigen Schlangenbewegungen, mit denen sie schon aus der Küche von sich hören gemacht hatte. Auf die Pfoten kam sie noch nicht, aber sie kam liegend kaum langsamer voran - nur unkontrollierter.

Was tun? Noch ein paar Minuten solchen Wütens, und die OP-Naht würde aufplatzen. Wir steckten sie in einen Katzenkäfig, eine kleine, blauweiße Transportdose, verriegelte die Öffnung vierfach, und deckten ein Tischtuch darüber. Danach war Ruhe. Wenn ich - ungefähr halbstündlich - hineinschaute, sah ich nur ihre Augen. Sie waren nicht mehr so weit aufgerissen, und drückten eine meditative Ruhe aus. Einmal wechselte ich das Handtuch aus, auf dem sie da drinnen lag, weil sie reingekotzt hatte. Und irgendwann pennte sie weg, und wachte erst am nächsten Morgen wieder auf. Danach begann sie zu frühstücken.

Hier beginnt meine überaus anfechtbare, aber womöglich treffende, Analogie. Zwischen uns Menschen und C. besteht nämlich ein Vertrag. Er wurde nie geschrieben (Katzen können ja sowieso nicht lesen), er wurde auch nie vorgelesen (C. versteht nur Fremdsprachen, mit denen wir uns nicht auskennen), und außerdem ist C. gar nicht geschäftsfähig. Aus unserer Menschensicht ist sie unzurechnungsfähig, aber sonst eine wunderbare Hausgenossin.

Der Vertrag sieht so aus: wir stellen ihr und ihrer Brut jeden Tag zweimal Futter hin, sozusagen als Grundversorgung. Den Rest besorgen sie selbst - im Stall, auf den Dachböden, und im Gemüsegarten, was sehr nützlich ist. Wir impfen die Katzen und achten auch sonst auf ihre Gesundheit. Aber dafür schränken wir auch ihre Freiheit ein. Verglichen mit einem konfuzianischen Terrorregime sind wir aber eine sehr freundliche Regierung. Die Katzen wissen, glaube ich, auch gar nicht, dass wir überhaupt ihre Regierung sind. Vielleicht glauben sie, sie regierten uns, und manchmal wären wir - das menschliche Personal - einfach etwas unbotmäßig.

Aber die Katze im Käfig erinnerte mich an unsere politische Lage. Genauso, wie wir mit ihr redeten, redet nämlich die politische Klasse mit uns. Das wird schon wieder. Heititei. Wird jetzt etwas weh tun. Sooo... das haben wir gleich. Was die Regierung da eigentlich tut, verrät sie uns nicht. Das verstehen wir nämlich sowieso nicht. Oder, um die FDP im Jahr 2004 zu zitieren: man muss eine Sprache pflegen, die die Menschen verstehen. Nach Volkssouveränität hört sich so etwas - auch mittelbar - nicht an.

Costa hat eine lange Situationsbeschreibung über unser Land verfasst. Sie ist vielleicht zu lang und enthält einige Begriffe, die man als abgeschabt empfinden kann - "Seilschaften", z. B.. Aber Costa erklärt seine Begriffe, und sie ergeben in meinen Augen Sinn. Er erklärt, in welcher Weise solche Seilschaften uns in ihrer zunehmend starken Ausprägung sozial schaden, und das nicht nur in Deutschland oder Europa.

Man saniert uns nämlich gerade. Eine Operation haben wir seit ca. 2003 hinter uns. Man sollte sie differenziert sehen - nicht alles daran war falsch. Jetzt werden unsere europäischen Freunde operiert. Aber diejenigen, die unsere OP durchgeführt haben und dabei eine Sprache suchten, "die wir verstehen", möchten über das, was daran falsch war, nicht diskutieren - weil sie nämlich vieles noch einmal falsch machen wollen. Schließlich muss Deutschland auch dann "wettbewerbsfähig" bleiben, wenn unsere europäischen Freunde in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal "saniert" sind.

Über diese Operationen haben wir ungefähr soviel mitgeredet wie eine Katze über Geburtenkontrolle. Danach hat man uns in einen Katzenkäfig gesteckt, und wir haben uns wieder beruhigt. Darüber, wer hier der Souverän ist, scheint ein grundlegendes, bilaterales Missverständnis zwischen uns und unseren "Eliten" zu bestehen, und das sollten wir im eigenen Interesse ausräumen.

Es lohnt sich also, aufmerksam mitzulesen. Besser noch: sich eine Textdatei anzulegen und darin das zusammenzufassen, was einem wichtig erscheint. Oder ausdrucken, markieren und am Rand Notizen machen.

Und dann: mitdiskutieren. Bitte nicht hier, sondern dort.

Aufklärung, Respekt und Achtung im europäischen und außereuropäischen Kontext. Erste Eindrücke zu einem Projektvorschlag.

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JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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