EU-Satzbau: Entscheidend ist rechts vom Aber

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Konjunktur

Vielleicht wusste der "Spiegel"-Autor, der die deutsche Öffentlichkeit von der deutschen Exportfixierung lösen möchte, es schon immer, und wurde mit seinem Vorwissen nur nicht auf die Öffentlichkeit losgelassen? Aber egal. Mir jedenfalls geht das alles viel zu schnell: gestern war ich noch Mitglied des einzigen hart arbeitenden Vereins in Europa, und heute schon der kranke Mann? Exportweltmeister leben auf Kosten anderer? So'n Quatsch. Man weiß doch, dass die faulen Griechen auf unserer Haut liegen.

Aber die dunklen Wolken über Altenwerder, Hamburgs Containerhafen, künden pittoresk drohend ein neues Lied an: It's the Binnennachfrage, stupid. Dazu etwas Fachinfo: es gibt Bedürfnisse, und es gibt Bedarf. Bedarf, das sind die Bedürfnisse, für die man Geld hat. Und Nachfrage ist der Teil des Geldes, das für die Bedarfsdeckung tatsächlich ausgegeben wird. So steht's jedenfalls in den Schulbüchern.

Merkel zum Weltflüchtlingstag

Diese Passage, gesprochen am Mittwoch in Berlin (unter anderem zum "lieben Horst Seehofer"), kam in Prag nicht gut an:

Die Heimatvertriebenen waren Opfer, die bitteres Unrecht erlitten haben. Aber wir verkennen auch nicht Ursache und Wirkung. Vertreibung und Flucht der Deutschen waren eine unmittelbare Folge des von Deutschland begonnenen zweiten Weltkriegs und der unsäglichen Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur.

Doch*) das ändert nichts daran, dass es für Vertreibung weder eine moralische noch eine politische Rechtfertigung gab.

So Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wobei, eigentlich kam nur der erste Satz des Zitats nicht gut an. Der Rest kam überhaupt nicht an, weil man ihn aus Aufmerksamkeitsökonomiegründen gar nicht erst zur Kenntnis nahm. Der amtierende Premierminister Andrej Babiš erklärte, gerade jetzt erinnere man

an die Opfer des Nazi-Terrors nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich [..]. An Lidice, Ležáky und die Widerstandskämpfer. Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland ein innenpolitischer Machtkampf stattfindet, und es ist sehr unglücklich, dass alte Wunden aufgerissen werden.

Davon abgesehen, dass Merkel die Erinnerung an den Naziterror in ihrer Rede durchaus thematisierte, und damit der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 Rechnung trug, steht auch der tschechische Regierungschef selbst vor innenpolitischen Schwierigkeiten. Während die Koalition in Berlin möglicherweise vor dem Bruch steht, bemüht sich Babiš seit einem halben Jahr darum, überhaupt erst eine Mehrheit im tschechischen Parlament zu finden.

Flüchtlingspolitik ist also nicht nur Innenpolitik, weil der deutsche Innenminister sich dem Heimatschutz widmet. Und so gesehen interessierte Merkels Rede vor allem in Tschechien, und auch dort nur unter tschechisch-deutschen Gesichtspunkten. In Deutschland widmete sich vor allem die amtliche Website bundesregierung.de der Berichterstattung. (Eigentlich war's ja auch nur ein Extrablatt für den lieben Horst.)

Zur Lage der EU

Als Zollunion funktioniert sie noch: Brüssel sucht nach Kompensationsmöglichkeiten für den angeschlagenen Handel mit den USA. Nach Kanada, Mexiko und Japan zeigten nun auch Australien und Neuseeland Interesse an einem intensivierten Handel mit der EU, meldete heute der österreichische Kurzwellendienst. Aus Sicht der Europäischen Union böten die beiden Länder auf der anderen Seite des Planeten auch "höhere Exportchancen in der Region Ozeanien".

Dabei legt man freilich großen Wert aufs Rosinenpicken. Oder positiver formuliert: die Politik achtet auf die Berücksichtigung besonderer Interessen.

Ob Europa sich aber politisch - zum Beispiel über die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik - zerstreiten und trotzdem weiter als einiger Zollverein auftreten kann, das wird sie im schlimmsten Falle ganz real ausprobieren. Und dann wird es schwierig, in Washington, Beijing oder auch Canberra noch Ernst genommen zu werden.

Bedenkt man, wie folgenschwer das Nehmen und Geben bei Verhandlungen zwischen EU-Mitgliedsländern unter Branchengesichtspunkten ist (und trotzdem immer wieder funktioniert), dann drängt sich die Frage auf, ob der Populismus-Baal, dem die politische Klasse der EU von Ost nach West fleißig opfert, nicht vielleicht ein bisschen zu teuer wird. Flucht und Zuwanderung werfen zweifellos Probleme auf - aber sicher nicht die größten, die dieser Kontinent hat.

Es kann der EU nur schaden, wenn sich ihre Mitgliedsregierungen - jeweils zu Lasten der übrigen Staaten - bei ihren heimischen Rechtspopulisten ranschmeißen. Gefragt wäre vielmehr eine öffentlich vermittelbare gemeinsame EU-Politik, die den Rechtspopulismus im Schach hielte. Wenn sie gerecht ausfiele, wär's umso schöner. Aber wichtiger ist, dass sie funktioniert. Das ist die Grundlinie europäischer Kompromisse - Wunder erwarten die meisten Wähler gar nicht.

"Die Zeit" (1) Geheimes Dahinter

Wenn die Welt kompliziert wird, greift der Mensch zur Verschwörungstheorie, so die "Zeit". Und weil die "Zeit" ein anspruchsvolles Blatt ist, sagt sie nicht "der primitive Mensch". Aber den meint sie natürlich. Und damit das Bild auch wirklich überzeugt, wirft man Augstein, Erdogan und jene kahlköpfigen Männer, die letztes Jahr mit Fackeln durch Charlottesville in Virginia zogen, in den Mixer. Natürlich nur, weil sie der selbe Glaube beseelt.

Wer Artikel schreibt wie die "Zeit", braucht wirklich keine Verschwörungstheorien anderer Leute. Aber darin besteht ja, neben der Vereinfachungsfunktion, der zweite Reiz von Verschwörungstheorien: jede Filterblase bastelt sich ihre eigenen.

"Die Zeit" (2) Fachliches Dahinter

Man kann nicht alles selber wissen. Aber es gibt Alternativen zur Verschwörungstheorie: man lässt sich von Fachleuten unterstützen.

First Lady's Garderobe

Also, ich glaube ja, das hat ihr ein hinterhältiger Flüchtling auf die Jacke gemalt, als sie gerade nicht hinguckte.

Für so eine Gemeinheit brennt keine Hölle heiß genug.

Bon weekend.

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*)Everything before "but" is bullshit, lautet ein englisches Bonmot. Gemeint ist damit, dass derjenige, der "aber" sagt, damit links vom aber nur auf die Bedenken des politischen Gegners eingeht, um sie scheinheilig wegzulabern. Rechts vom "aber" wird damit die Welt zu einem sicheren Ort für die eigene Position oder Forderung. Etwa so:

Ich verstehe die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, aber in einer Welt freien Handels ist TTIP alternativlos. Oder

Ich verstehe die Sorgen der Raucherinnen und Raucher (Scherz, so etwas sagt in Weltmeisterland natürlich niemand), aber die EU verpasst uns schreckliche Konventionalstrafen, wenn wir das Nichtraucherschutzgesetz nicht durchsetzen.

So gesehen ist der Gebrauch des "but" kontaminiert. Um zu zeigen, dass man es anders meint, sagt man am besten "doch", und macht einen Punkt davor. Die meisten regierenden Tschechen fassten Merkels "doch" aber wohl eher als "aber" auf. Am ehesten fand die Kanzlerin noch beim Prager Außenministerium und einem der "Piraten" Verständnis.

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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