Die amerikanische Politik sei von Geschäftsinteressen beziehungsweise von kapitalistischen Prinzipien definiert, so lautet eine Erklärung des Syrienkonflikts. Die russische Politik beruhe auf strategischen Interessen, zum Beispiel den von der russischen Marine geleasten syrischen Stützpunkt Tartus, so lautet eine andere. Oder ganz entgegengesetzt: die eine oder andere Seite werde vorwiegend von Werten oder Prinzipien angetrieben: humanitären oder völkerrechtlichen Überzeugungen.
Richtig ist: der Wettstreit von Ideen ist nicht ohne Belang für den Einfluss von Ländern oder Staaten, und sowohl Amerika einerseits als auch China oder Russland andererseits beziehen sich unter Werteaspekten auf die Punkte, denen sich am ehesten universelle Geltung zumessen, und mit denen sich am ehesten öffentliche Unterstützung einwerben lässt: das der Menschenrechte einerseits und das der staatlichen Souveränität andererseits.
Die Überzeugungskraft der einen oder der anderen Position lässt sich nicht völlig losgelöst von der realen wirtschaftlichen und militärischen Macht der – mehr oder weniger stark – involvierten Weltmächte betrachten. Der Umfang, in dem man Amerika für „mächtig“ hielt, war nicht ohne Einfluss auf seine politische Überzeugungskraft. Denn was Kurt Tucholsky in einer Rezension des Heinrich Mannschen Untertans zum Herbarium des deutschen Mannes erklärt hatte – in seiner Sucht, zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Roheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolgsanbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit – war oder ist ja keine ausschließlich deutsche Schwäche. Auf den ersten Blick ist schwer zu sagen, was gebräuchlicher ist: might makes right in einer zustimmenden Form, in einer beschreibenden Form, oder in einer – so drückt es ein Wikipedia-Artikel aus – in einer negativen Einschätzung eines Ausdrucks der Macht. Eine alternative Redewendung wäre to the victor go the spoils.
Aber die „harte“ wirtschaftliche oder militärische Macht, und damit die Optionen, sich Einfluss zu kaufen oder zu erobern, ist nur eine Seite der politischen Macht. Die andere Seite, die ideelle, beruht auf dem Image einer Nation. Und für diesen Aspekt prägte 1990 der amerikanische Politologe Joseph Nye den Begriff der „weichen Macht“ oder der soft power.
Soft power, so damals die gängige Definition, bestehe in der Fähigkeit eines Landes, andere zu einem jeweils gewünschten Handeln oder zu einer jeweils gewünschten Sicht zu überzeugen oder zu kooptieren, ohne dabei Geld (als Form des „Kaufens“ von Entscheidungen oder militärischer Macht) als Überzeugungsmittel schlechthin anzuwenden.
Wie sehr die Kooptierung, das „Hinzuwählen“ von Bundesgenossen, Amerika noch vor knapp einem Vierteljahrhundert gelang, machte der Krieg zur Befreiung Kuwaits von irakischer Besatzung deutlich: selbst Syrien war Teil der damaligen Koalitionsstreitkräfte unter amerikanischer Führung – weniger als zehn Jahre nach dem Massaker von Hama. Wie immer man die Mehrheitsverhältnisse im UN-Weltsicherheitsrat zwölf Jahre danach – im Frühjahr 2003 – auch interpretiert: von einer vergleichbaren Unterstützung der damaligen amerikanisch-britischen Initiative zur Invasion des Irak konnte auch außerhalb der ständigen Mitglieder keine Rede mehr sein.
Und wiederum zehn Jahre später – 2013 – konnten weder die amerikanische noch die britische Exekutive auf parlamentarische Mehrheiten im eigenen Lande wetten: das britische Parlament sprach seine Ablehnung militärischer Schläge gegen Syrien Ende August unmissverständlich aus, und die Verhältnisse im Kongress sind bis heute unklar.
Allerdings lässt sich die Fähigkeit einer Macht, „Koalitionen zu bilden“, nicht auf ihr bis dahin gewonnenes Prestige reduzieren. Nicht weniger belangreich ist die Nachvollziehbarkeit des Ziels, das mit einem zeitweiligen Bündnis verfolgt werden soll. Dass die Annexion Kuwaits durch Baghdad nicht hingenommen werden sollte, war der Weltöffentlichkeit vermittelbar.
„Soft power“ lässt sich nicht isoliert von der „harten“ wirtschaftlichen und militärischen Macht betrachten. Aber ohne eine Betrachtung des Images eines Landes bleibt auch die Einschätzung seiner „hard power“ unvollständig, so sehr „soft power“ anstelle traditioneller Begriffe (z. B. „Prestige“) auch ein gehyptes Konzept sein mag: an ihm entlang entwickeln sich die Vorstellungen der Weltmächte und kleinerer Staaten davon, wie das Image des eigenen Landes am nutzenbringendsten – und manchmal auch am wertekompatibelsten – einsetzbar sei.
Dabei dürften die amerikanischen Faktoren des amerikanischen Prestiges zumindest vordergründig die bekanntesten sein: Hollywood und seine Stars, Amerikas technologische Errungenschaften, seine Narrative vom Selfmademan oder vom Individualisten, der unbeirrt sein Ding macht (schwer zu trennen von Hollywood), vom „melting pot“ der Rassen und der nationalen Hintergründe, in dem aus Einwanderern binnen einer oder zwei Generationen Amerikaner werden, oder auch – vielleicht etwas weniger bekannt aber nicht weniger einflussreich – die Erzählung von der Stadt auf dem Hügel, die in selbstgewissen Interpretationen beschworen und in weniger selbstgewissen (aber mindestens ebenso wirkungsvollen) Interpretationen umgedeutet wird.
Ein Element des „Arabischen Frühlings“, das in den Medien des Westens und Chinas kaum Berücksichtigung findet – und zu den russischen habe ich keinen sprachlichen Zugang – ist die Frage des Zugangs von Bürgerinnen und Bürgern zu den Ressourcen, mit denen sich ein besseres individuelles Leben aufbauen lässt. Meistens muss im Westen ein allgemeiner Begriff der Freiheit genügen, ohne dass er – vielleicht von politischer Partizipation oder Menschenrechten im Sinne der UN-Charta einmal abgesehen – näher präzisiert würde.
Eine Präzisierung lieferte allerdings 2012 der britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson in einer jährlich wiederkehrenden Vortragsreihe der BBC. In seiner Kritik der westlichen gesellschaftlichen Institutionen verwies er auf das, was aus seiner Sicht die klassischen Werte und Institutionen gewesen seien, die insbesondere Großbritannien einmal stark gemacht hatten, und dann auf das, was die Arabische Revolution ausgelöst habe:
Das primäre Beispiel ist die Geschichte des 26jährigen Tarek Mohamed Bouazizi, der sich vor den Amtsräumen des Gouverneurs der Stadt Sidi Bouzid im Dezember 2010 selbst verbrannte. Bouazizi verbrannte sich selbst, genau eine Stunde nachdem eine Polizistin, unterstützt von zwei städtischen Amtsträgern, seine zwei Kisten Birnen, eine Kiste Bananen, drei Kisten Äpfel und eine aus zweiter Hand gekaufte elektronische Waage im Wert von etwa 180 Dollars konfisziert hatte. Die war sein einziges Kapital gewesen. Seine Selbstverbrennung löste eine Revolution aus – wenn auch abzuwarten bleibt, wie ruhmreich [Bezug zur britischen Glorious Revolution] sie sich entwickeln wird. Dies wird davon abhängen, inwieweit neue konstitutionelle Vorkehrungen in Ländern wie Tunesien und Ägypten den Wechsel von einem extraktiven zu einem inklusiven Staat sein werden; von der willkürlichen Macht einflussnehmender Eliten [im Sinne eines Lobbyismus, der den Staat zu Aktionen bewegt, die etablierte Marktteilnehmer bevorzugt] zu einer Herrschaft des Rechts für alle.
Ferguson argumentiert also marktwirtschaftlich, und in dem Sinne – zumindest aus seiner Sicht und der Sicht vieler seiner Zuhörer – freiheitlich. Eine vom Nepotismus unbehinderte unsichtbare Hand des Marktes soll offenbar stärker zum Zug kommen und damit eine im arabischen Kontext vergleichsweise größere soziale und unternehmerische Gerechtigkeit schaffen. Und dazu verwendet Ferguson – was sonst – eine Story, eine Geschichte.
Daraus lässt sich keineswegs automatisch ableiten, ob Ferguson eher ein Unterstützer oder Gegner einer ausländischen Intervention in Syrien wäre. Es geht aber um ein nicht unwesentliches, traditionelles westliches Verständnis der eigenen Gesellschaft und der übrigen Welt.
Viele Chinesen – arm oder reich, machtlos oder mächtig – würden Fergusons Argument oder Narrativ problemlos verstehen. Ob Araber oder Russen sie genauso gut verstehen würden, weiß ich nicht. Sogar Gerechtigkeit für Unternehmer – Klein- wie Großunternehmer – dürfte heute in chinesischen wie in europäischen Medien als ein politisch relativ heißes Eisen gelten; von Gerechtigkeit für Arbeitnehmer nicht zu reden. Diskutiert werden sie – wie man sieht – in der akademischen Welt und in einem Mittelstand (Hörer des BBC-Kanals Radio 4 dürfen relativ unbesehen dazu gerechnet werden), der sowohl wissbegierig als auch einigermaßen zufrieden mit seinen Lebensverhältnissen ist.
Zurück zum Begriff der „soft power“: in Amerika wird er vor allem unter außenpolitischen Aspekten diskutiert. Folgt man dem russischen Außenpolitikbeobachter Alexey Dolinskiy, wäre das in Russland ähnlich. (Es mag allerdings auch sein, dass er sich einem internationalen Publikum vergleichsweise gut verständlich machen kann, weil er der amerikanischen Diskussion folgen kann und entsprechend argumentiert.) Dolinskiy, Mitglied des Expertenrats der Regierung der Russischen Föderation und des Russischen Rats für Internationale Angelegenheiten (Expert Council of the Government of the Russian Federation / Russian Council for International Affairs), beschrieb im Juni die Entwicklung des russischen Soft-Power-Konzepts als ein Verständnis, das von der Einsicht in die Notwendigkeit internationaler Kommunikation gewandelt habe: zur Kenntnis der inhärenten Verbindung zwischen der Außenpolitik eines Landes und der Anziehungskraft und Autorität des Landes.
In den 1990ern habe das in Moskau kaum jemanden interessiert, so Dolinskiy. Tatsächlich blieb vom klassischen Propagandaapparat aus Sowjetzeiten nicht viel übrig, und was übrigblieb, stolperte resteweise - und vermutlich unter erheblichem Legitimationsdruck - durch die kargen Zeiten, in denen auch die hard power - das Militär - vernachlässigt wurde.
Um zu verstehen, worüber Advokaten der Anwendung und Entwicklung von „soft power“ eigentlich reden, helfen vielleicht einige Anmerkungen des Vorsitzenden des Vorsitzenden der Chinese Academy of World Agendas und Medienberater des Information Office des Staatsrats, Li Xiguang:
In 2007, the Chinese president Hu Jintao realized that soft power is a good term for promoting China’s new identity.*)
Für Li Xiguang stellte die Bemühung um soft power durchaus die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb dar:
But others say that the soft power means your value system, your political system. For me, personally, China should innovate its political system. We could have a democracy – maybe different from American democracy, maybe even better democracy than UK or America.
Li Xiguang folgt hier der breiten globalen Diskussion, die vor allem außenpolitische Aspekte berücksichtigt. Da die KP Chinas aber der Logik folgt, China sei nicht nur auf dem Gebiet der externen “soft power”, sondern auch der politischen Überzeugungskraft nach innen, gegenüber der chinesischen Bevölkerung, ein Entwicklungsland, folgt man in Beijing generell einem weiter gefassten, auch nach innen gerichteten, Konzept. Im Oktober 2010 verabschiedete die 6. Vollversammlung des Zentralkomitees der KP Chinas einen Beschluss zur Vertiefung der Reform des kulturellen Systems Chinas und der Förderung der kulturellen Industrie.
Schon die an ein ausländisches Publikum gerichteten chinesischen Presseartikel stellten zum Teil einen Bezug nicht nur zur nach außen gerichteten “soft power”, sondern auch solche zur “kulturellen Sicherheit” her – ein Begriff, der impliziert, dass die chinesische Kultur bedroht sei. Mit einem wie umfassenden – oder auch totalitären – Anspruch die tatsächliche “Kulturarbeit” von der KP vor knapp drei Jahren neu angeschoben oder auch redefiniert wurde, lässt sich in dieser ausführlichen Übersetzung des ZK-Dokuments durch den belgischen Sinologen Rogier Creemers nachlesen.
Der Verabschiedung des ZK-Dokuments war eine vergleichsweise freie akademische Diskussion sogar auf den Online-Seiten des Parteiorgans “Volkszeitung” (People’s Daily) vorangegangen. Eine liberale Position entwickelte dabei eine akademische Arbeitsgruppe, die sich insbesondere auf den damaligen – als ideologisch vergleichsweise liberal geltenden – Staatsratsvorsitzenden Wen Jiabao und den außen- und sicherheitspolitisch für eine vergleichsweise zurückhaltende Politik werbenden Ex-Diplomaten Wu Jianmin berief (was nicht zwangsläufig bedeuten muss, das einer der beiden Politiker oder beide die hier entwickelte Sicht auf soft power unbedingt lückenlos teilten – aber man hielt sie offenbar für potenzielle mächtige Fürsprecher des vorgestellten Konzepts). Soft power beginne zu Hause, argumentierte die Arbeitsgruppe, mit der Entwicklung von Werten, die zunächst überhaupt eine chinesische Öffentlichkeit überzeugen könnten.
Die Verbindung zwischen außen-und innenpolitischen Aspekten gilt allerdings ebenso – nur in anderer Ausprägung – auch für die chinesische politische Orthodoxie, die sich im Herbst 2010 behauptete. Hier allerdings stehen offenbar machtpolitische und Kontrollaspekte eher im Vordergrund als argumentative Überzeugungsarbeit oder die Schaffung “weicher” praktischer Fakten im chinesischen Alltag.
Trotzdem bringt die chinesische Führung bei der Anwendung von soft power nach innen und außen ganz eigene Erfahrungen mit. In den 1980er und 1990er Jahren ließ sie die “Bauern- und Arbeiterklasse” als Machtbasis weitgehend fallen und kooptierte statt dessen Unternehmer und Intellektuelle (letztere hatten im Maoismus als “stinkende neunte Kategorie” unter den “Klassenfeinden” gegolten). Nicht zuletzt mit der Eröffnung materieller und geschäftlicher Perspektiven für internationale Geschäftsleute gelang das der KP Chinas auch weltweit.
Unabhängig von geschäftlichen Einflüssen, die es in Amerika, China und Russland gleichermaßen gibt, kann keine politische Klasse in einem der drei Länder die Frage der Wohlstandsentwicklung außer Acht lassen. In diesem Zusammenhang zählt die kulturelle Zugkraft, wobei sich vergleichsweise leicht konstatieren lässt, dass die amerikanische global nach wie vor die größte Attraktivität aufweist. Vermuten würde ich, dass die chinesische soft power vor der russischen rangiert, aber da mag ich auch “chinablind” sein und das kulturelle Prestige des Landes überschätzen.
Tatsächlich haben alle noch so langfristigen Überlegungen von Akademikern, Diplomaten, Staatsbürgern oder Machtpolitikern nur bedingt Einfluss auf die soft power eines Landes. Es gibt keine Gründe zu glauben, dass die russische Führung das Völkerrecht eher über das nationale Interesse stellt als die amerikanische. Ihre Rolle im Syrienkonflikt ergibt sich daraus, dass sie den Status Quo verteidigt, und damit automatisch das Völkerrecht, soweit es um den Aspekt der Staatssouveränität geht. Hier ergibt sich eine Übereinstimmung des nationalen Interesses mit dem Souveränitätsprinzip. Allerdings ergeben sich daraus auch soft-power-relevante Narrative nach außen (gegenüber der Weltöffentlichkeit) und nach innen (gegenüber der russischen Öffentlichkeit).
Die Verbindung zwischen Russland und Syrien lässt sich unter dem Aspekt der soft power historisch und ideologisch begründen; zumindest, wenn man einem Artikel der Russland-Korrespondentin der New York Times, Ellen Barry, folgt. Die Lebensläufe vieler syrischer Bürokraten, so ihr Artikel, seien von Erfahrungen in russischen Bildungseinrichtungen geprägt. Die syrischen Eliten seien vielfach russisch orientiert. Und neben der Frage, ob man alte Freunde fallenlässt, zählen demnach auch kulturelle und religiöse Erwägungen: das Assad-Regime schütze religiöse Minderheiten und sei ein Bollwerk gegen radikalen Islamismus.
Hier stellt sich die Frage der Bündnistreue. Wie offen ein Land für russischen Einfluss ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wie verlässlich Moskau für seine Belange eintritt. Dabei kann ein Land wie Iran oder Syrien – ganz abgesehen von ideologischen Differenzen vor allem zwischen Iran und Russland – nicht das gleiche Maß an Unterstützung bis hin zu einem offenen Waffengang erwarten, wie es zum Beispiel Israel oder die Golf-Petrostaaten vermutlich von Washington erwarten dürften.
Aber beim Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen entstanden für Moskau offenbar Opportunitätskosten – auch unter dem Aspekt des Prestiges unter seinen mehr oder weniger eng Verbündeten –, die es nicht noch einmal eingehen will.
Amerikanische Prestigefragen gelten auch bei den Golf-Petrostaaten in ihrem Verhältnis zu Washington, das sich – jedenfalls noch – wiederum auf Ölexporte aus diesen Staaten angewiesen sieht. Syrien wird von den arabischen Golfstaaten nicht nur als Verbindungsgebiet für Pipelines aus der Golfregion in das östliche Mittelmeer angesehen, sondern auch als Stellvertreter eines größeren Feindes – des Iran.
Selbst wenn eine Abhängigkeit Amerikas – oder Europas – vom Öl nicht bestünde, fiele es Washington nicht notwendigerweise leicht, die mit ihm verbündeten arabischen Regime fallenzulassen. Denn hier stellt sich ebenfalls die Frage nach der Glaubwürdigkeit bestehender oder zukünftiger amerikanischer Bündniszusagen. Schon heute verlassen sich zum Teil autoritäre oder totalitäre Regime in Ostasien auf eine Rolle Amerikas als “Gegengewicht” zu China – nicht zuletzt Vietnam, das einen Nationalismus pflegt, der auch auf der Abgrenzung zur geschichtlichen und womöglich zukünftigen Hegemonialmacht China beruht. Ähnliches gilt – und vielleicht erst recht – für ältere direkte oder indirekte Verbündete Amerikas: Japan, die Philippinen, Südkorea oder (bedingt) Taiwan. Diese Länder werden aufmerksam beobachten, wie Amerika seine Rolle im Nahen Osten spielt, und für sich Schlüsse daraus ziehen.
Gefragt ist, zumal in Vietnam, vor allem Amerikas militärische Macht oder hard power. Aber die soft power hängt davon ab, ob Washington ein “Versprechen” halt, das der damalige Kommandant der USS George Washington im Sommer 2010 so ausdrückte: “Dieses großartige Kriegsschiff legt Zeugnis ab von der Entschlossenheit und dem Versprechen unseres Landes, dass wir immer in allen internationalen Gewässern des Pazifikraums bleiben werden, mit dem Versuch, zusammen mit allen anderen Ländern zu gewährleisten, dass es eine sehr stabile Umgebung bleibt.”
Eine Verlagerung oder Verschiebung der amerikanischen Marine zum Pazifik ist bereits im Gange: 60 Prozent der amerikanischen Kreuzer, Zerstörer, U-Boote und anderer Kriegsschiffe sollen bis 2020 im Pazifik stationiert sein, meldete das “Wall Street Journal” offenbar im Sommer 2012. Bisher verteilte sich die Navy laut dem damaligen U.S-Verteidigungsminister Panetta je zur Hälfte auf den Atlantik und den Pazifik. Hier wolle Amerika weiterhin eine pazifische Macht sein, erklärte U.S.-Präsident Obama im November 2011 im australischen Parlament.
Wirtschaftliche Gründe gibt es dafür ohnehin – schließlich bleibt die Westseite des Pazifiks ein vergleichsweise schnell wachsender Wirtschaftsraum. In der Militärakademie West Point erklärte Obama Anfang Dezember 2009:
Als Präsident lehne ich es ab Ziele zu setzen, die über unsere Verantwortlichkeiten, unsere Mittel oder unsere Interessen hinausgehen, und ich muss all diese Herausforderungen, denen unsere Nation sich gegenübersieht, abwägen. Ich habe nicht den Luxus, nur auf eine davon einzugehen. Ich bin mir sicher der Worte Präsident Eisenhowers bewusst, der – hinsichtlich unserer nationalen Sicherheit – sagte: ‘Jeder Vorschlag muss abgewogen werden im Licht einer breiteren Erwägung: der Notwendigkeit, ein Gleichgewicht in und zwischen nationalen Programmen zu halten.’
In den letzten Jahren haben wir dieses Gleichgewicht verloren. Wir haben es versäumt, die Verbindung zwischen unserer nationalen Sicherheit und unserer Wirtschaft zu verstehen. Als Folge einer Wirtschaftskrise sind zu viele unserer Nachbarn und Freunde arbeitslos und ringen darum, ihre Rechnungen bezahlen zu können. Zu viele Amerikaner sind besorgt hinsichtlich der Zukunft, vor der unsere Kinder stehen. Zugleich ist der Wettbewerb in der Weltwirtschaft schärfer geworden. Wir können es uns also schlicht nicht leisten, den Preis dieser Kriege zu ignorieren.
Das Land, das er vor allem aufbauen wolle, sei Amerika selbst, so Obama – nicht Afghanistan und nicht Irak. Und Syrien vermutlich auch nicht.
Im Nahen Osten mag die amerikanische soft power – wenn man in einem so offensichtlich ökonomischen und militärischen Zusammenhang davon sprechen kann – in den letzten Wochen gelitten haben. Absolutistisch herrschende Monarchen oder ihre Untertanen können kaum zu anderen Ergebnissen kommen. Aber vielleicht erinnert man sich in vielen Teilen der Welt später auch einmal an einen Sommer, in dem demokratisch verfasste Länder einen Militärkonflikt ablehnten, obwohl ihre Exekutiven ihn wollten – vielleicht. In Großbritannien blitzte ein Möchtegern-Feldherr im Parlament ab, und in Washington wurde eine Militäraktion – mit einem nahezu unvermeidlichen anschließenden Abnutzungskrieg wie im Irak – schon vor einer Abstimmung abgeblasen.
Politisch oder ideologisch rufschädigend muss das nicht sein. Ob allerdings der von Niall Ferguson 2012 angemahnte Wiederaufbau der Institutionen auch nur in Amerika oder in Europa gelingt, ist damit keineswegs entschieden. Was Lebensqualität bedeutet, lässt sich jeweils nur zu Hause definieren – egal ob im Westen, in Russland, in China, oder auch in Syrien.
Fortsetzung hier »
__________________
*) zitiert bei Philip Dodd, Soft Power, China, BBC World Service documentary, 26.04.2010
"Soft Power" bezieht sich auf das, was zum Image eines Landes beiträgt. Im deutschen Fall also Beckenbauer, BMW oder Goethe-Institut. Wo Stärke oder Tugend vermutet werden, erleichtern sie die Durchsetzung nationaler Interessen. Die Erkenntnis dürfte nicht neu sein, aber seit über zwanzig Jahren wird das Thema akademisch neu behandelt.
» Syrien & der Rest, 31.08.13
» Inkonsistenzen,20.07.13
America and China, 30.12.11
Kommentare 19
Hat geklappt, Herr Grabert. Geht klar, spätestens heute nachmittag.Die Glaubwürdigkeit einer Regierung oder einer Gesellschaft bemisst sich für mich immer entscheidend daran, wie sie mit Menschenrechten zu Hause umgeht. Ist m. E. ein recht praktischer Maßstab, und an dem gemessen geht es mir wie Ihnen - ich sehe in Chinas oder Russlands politischen Systemen nicht viel, was ich daran attraktiv fände.
George Kennan sah sich nach eigenen Angaben - oder vielleicht auch gestützt von altem Material, aber da wird ja heutzutage soviel hochgeladen, dass man leicht mal den Überblick verlieren kann - missverstanden: er sah "die Russen" keineswegs schon am Ärmelkanal stehen, und er wollte nicht gesagt haben, Washington müsse auf jede russische Herausforderung in jeder Ecke der Welt reagieren - und schon gar nicht in jedem Fall militärisch.
Und seien sie nicht so harsch zu den Soft-Power-Experten. Die müssen schließlich auch von irgendwas leben.
Davon abgesehen wird die militärische Komponente in der Außenpolitik sowieso überschätzt, und was wirtschaftlich drin ist, hängt sehr von der Berechenbarkeit (in naiveren Kreisen als denen der "Weltpolitik" würde man von Vertrauenswürdigkeit reden) ab, mit der sich die größeren und kleineren Mächte an der internationalen Konkurrenz beteiligen.
Außenhandelspolitik ist auch Außenpolitik, spricht Beijing. Und die Intellektuellen muss man bei Laune halten. Seit über dreißig Jahren sind sie nun schon überwiegend sehr brav, und vorher hatten sie nicht einmal dazu Gegegenheit.
P.S.: nach seltenen Erden wird inzwischen wieder weltweit gefahndet (Amerika hat da auch noch irgendwelche alten Minen in der - landeseigenen! - Wüste liegen), und vor allem Japan prospektet fleißig.
Von einem Krieg oder blutigen Komplott ist mir da in den letzten Jahren allerdings nichts zu Ohren gekommen. Wissen Sie mehr?
Ich fand in dem Zusammenhang der wirtschaftlichen Teilung Fergusons Vorträge 2012 interessant. Offenbar ein konservativer Historiker, das aber auch in dem Sinne, dass er eine gesellschaftliche und ökonomische Verfassung, in der bestimmte Marktteilnehmer bevorzugt werden, keineswegs für wettbewerbsfähig hält.
Wie die Weltwirtschaft aussieht, kann sich also durchaus auch jeweils lokal entscheiden. Neoliberale "Sachzwänge" gibt es dabei allenfalls in Grenzen.
Eines der besten Blogs, die ich hier seit langem las, JR´s China Blog.
Hard- und Softpower sind die Medaillen im Spiel der Mächte, das sich für mich wieder in eine Situation hinein entwickelt, die dem diplomatischen und politschen Spiel des 19.Jahrhunderts sehr ähnlich ist. - Eigentlich wurde die UN, davor der Völkerbund, als erster Versuch, einmal erfunden, um es, aus Erfahrung anders zu machen.
Denken Sie an das chinesische Land grabbing in Afrika, denken Sie an die derzeit gerade wieder einsetzende Verfolgungswelle gegen chinesische Blogger und Intellektuelle, sowie Korruptionskritiker.
Das ist alles Hard power, nicht soft, nicht von einer anziehenden chinesischen Staatsidee oder Gesellschaftsform oder Philosophie eingeführt und durchgesetzt. Dagegen stehen stehen die vielen Bürger mit denen wir ideologisch und grundsatzmäßig viel gemein haben, weil sie mit westlichen Werten und Taktiken gegen den Anspruch der Autorität vorgehen.
Im Falle Syriens lügen die Russen auf offener Bühne, um ein wenig Hard power in der Region zu halten und die Amerikaner logen vorher schon zu viel, dass ihnen, mögen sie Recht haben oder nicht, derzeit kaum jemand was glaubt. Sie haben zwar derzeit viel Hard- aber keine Soft power mehr.
Das "derzeit" gehört in Anführungszeichen, denn mit dem Schimpf auf die USA verhält es sich so, wie einst mit den blutroten Zeitungstiteln und Medienformaten gegen Russland und Putin (ZEIT).
Mich wundert immer die wechselhafte Anfälligkeit jenes Publikums, das sich hinter den schweren Papieren der FAZ oder der ZEIT verschanzt, für solcherlei Hang zum Kolportage-Denken.
Syrien ist auch der Schauplatz eines wieder aufgebrochenen Systemkampfs.
Die USA litten moralisch und ökonomisch, sie verloren aber eher Soft power, während die Hard power weiter, wenn auch mit weniger Soldaten, dafür aber technologisch, wächst. Russland und China gewannen, mit Rohstoffbesitz die Einen, mit der billigen Werkbank und der Abschaffung des Hungers die Anderen, vor allem Hard power.
Autoritäre oder gar diktatorische Regime verlassen sich stets auf ihre Schutzmächte, bis es schief geht. Das Syrien des Verbrechers und Massenmörders Assad auf die Russen, die Nordkoreaner auf die Chinesen, die Iraner auf den Schutz und die Wirtschaftsbeziehungen von Russland und China. Am Golf herrscht die unverbrüchliche Treue des Westens zu den autoritären Regimen.
In Afrika gehen alle Weltmächte die was auf sich halten mittlerweile mit Geld, Waffen und, das ist neu, mit Heerscharen von Anwälten, die Verträge und Provisionen aufsetzen und aushandeln, zu Werke.
Ich glaube aber, dass Sie mit dem brillianten Artikel etwas überziehen, denn die "Values" der USA werden nicht nur weiterhin fleißig kopiert, egal ob nun die Staats- und Wirtschaftsmacht besser oder schlechter dasteht. - Chinesen verlangen nach dem Grundprinzip des Habeas corpus, sie schreien nach den freien Kommunikationsmöglichkeiten, sie beklagen die mangelnden Chancen der Bürgergesellschaft auf Umweltzerstörung und miese Sozialstandards angemessen reagieren zu können, usw.
Die ganzen adäquaten Formen dazu, sie stammen aus dem Westen, aus den USA und nicht aus China oder Russland. Selbst der Widerstand von Studenten und Dozenten an den Hochschulen hat was von dem Impetus, den im 20.Jh. zuerst US-Unis ausbrüteten.
Das macht ihre umfassende Erinnerung an das Konzept Hard power, Soft power, mit dem sich erstaunlich weit und spannend Analyse betreiben lässt, keinen Augenblick weniger interessant und absolut lesenswert.
Der kulturelle Anteil der Soft power, einschließlich des neuen Zweigs via Internet, ob es sich nun um die Basics wie Pornografie, Sport, Film und Spiele aller Art handelt, oder ob sich hochseriöse und differenzierte Produkte finden lassen, stammen zu mehr als 80% aus dem Westen, die meiste Kommunikation läuft über diese Schiene und fast jede chinesische oder russische Seite die was auf sich hält, die mithalten möchte, kopiert dieses Mechanismen.
Woran liegt das, obwohl sich Euro- und Westzentrismus langsam ausleben? - Das sind ja Entwicklungen, für die ein halbes, individuelles Mernschenleben schon zu kurz ist.- Selbst die gefährdeten und häufig abgelehnten Zivilisationsanteile der Welt, zum Beispiel der Kommunismus, z.B. alte chinesische Traditionen aus der Vorwelt des Staats-Kommunismus, werden nur mit Methoden verteidigt, die allesamt aus der westlichen Welt stammen.
Z.B. wäre der "Sammel- und Ausstelltrieb", die Lust an echtem Konservatismus, dieser Formel von der Bewahrung der Schöpfung, die Ausformung eines differenzierten Geschichtsbewusstseins etwas, das alte chinesische Kultur vor der Überbauung rettete und in Asien dazu verleitet, Alpendörfer in Südkorea nachzubauen. (;-) Disneyland und Vegas sind überall.
Beste Grüße und nur weiter
Christoph Leusch
Vielen Dank für Ihre freundliche Kritik, Herr Leusch! Ich sehe einige Differenzen zwischen unserer Sicht - für heute abend will ich mich auf die Menschenrechte konzentrieren, damit es nicht zu spät wird.
Mein Bezug:
denn die "Values" der USA werden nicht nur weiterhin fleißig kopiert, egal ob nun die Staats- und Wirtschaftsmacht besser oder schlechter dasteht. - Chinesen verlangen nach dem Grundprinzip des Habeas corpus, ...
Aus meiner Sicht ist die Behauptung, die Menschenrechte seien universell, kein westlicher Anspruch, auch originär nicht. Sie gelten nicht nur für den Westen, und sie kommen nicht nur aus dem Westen. Mindestens Christentum, Buddhismus und Konfuzianismus scheinen mir Gemeinsamkeiten zu haben, die alle als Vorläufer der Menschenrechte gelten können. Die arabische Welt war auf dem Weg vor einigen Jahrhunderten viel weiter als die europäische, und von daher sehe ich in den Forderungen zivilgesellschaftlicher Araber nichts spezifisch europäisches oder westliches.
Zur chinesischen Opposition: es ist nicht so, dass jeder Chinese, der sich mit der Staatsmacht anlegt – überlegt oder versehentlich – das mit dem Ziel tut, exakt westliche Institutionen in seinem Land zu verlangen. Häufig geht es um ganz praktische Konflikte – sie können sowohl ethischer Natur sein (und die chinesische Ethik gibt eine ganze Menge dazu her), oder ganz praktischer Art (z. B. Enteignung ohne angemessene Entschädigung). Auf dem Gebiet der Ideen hat die Falun-Gong-Bewegung z. B. mit "westlichen Werten" möglicherweise weniger im Sinn als selbst die KP Chinas, und auch Chinesen mit einer zivilgesellschaftlichen Vision denken nicht unbedingt „westlich“. Einer Gewaltenteilung, die dazu helfen könnte, einer "Herrschaft des Rechts" näherzukommen, lässt sich allerdings wohl aus Sicht all derer etwas abgewinnen, die schon einmal ernsthaft mit der Staatsmacht im Konflikt waren.
Nehmen wir noch ein russisches Beispiel hinzu. Roy Medvedev war zu Sowjetzeiten ein bekannter Dissident. Heute darf man ihn wohl einen – wenn auch kritischen – Putin-Unterstützer nennen, und seine Vorstellung vom Verhältnis zwischen (orthodoxer) Kirche und Staat entspräche auch nicht just unserer Vorstellung vom Institutionenbau.
Der Eindruck, es gebe ideologische Übereinstimmung mit Dissidenten, entsteht sicher auch daraus, dass sich Dissidenten oft nur über ausländische Medien am öffentlichen Leben beteiligen können. Für die Dauer ihrer Unterdrückung im eigenen Land entsteht dabei sicher auch eine Art Nähe – die schließt ideologische Unterschiede aber nicht aus.
Das sollte aber niemanden in einem vergleichsweise freien Land irritieren. Dass Dissidenten überhaupt eine Öffentlichkeit finden können, ist ein Wert an sich, und verdient unsere Unterstützung.
Soviel für heute; morgen vielleicht mehr.
Wieso lacht der Typ rechts im Bild so blöd?
Dass Sie argumentierend antworten, ist schon bemerkenswert und Differenzen muss es ja geben, denn solche Einschätzungen sind ja nicht ein physikalisch-mechanisches Problem oder die Lösung einer Gleichung. - Lassen Sie sich nur Zeit, denn ich weiß, wie mühsam es ist eine gute Argumentation und einen guten Text, so nebenbei hier aufzubauen.
Zu Arabern und Menschenrechten. Ja, der Koran an sich, war zu seiner Zeit schon humanisierend. Das Recht des Stärkeren sollte durch Gerechtigkeit abgelöst werden. Ein Meilenstein. Aber, die bald folgenden Kalifate war nun wiederum eine Periode äußerster Aggression und der Beginn der innerislamischen Unterdrückung, denn die Machthaber brauchten einen Islam, der Opposition, nicht unbedingt die beiden anderen Buchreligionen, unterdrückte.
Vielleicht, wenn ich Zeit finde, schreibe ich auf ihr mehr noch dazu und füge noch ein paar Beispiele zu China hinzu. Vielleicht beschreiben sie mit der Philosophie und religiösen Haltung, Buddha und Konfuzius, aber die Seite der Erorberten, nicht der Eroberer, das mongolische Element. China und Binnenkolonisation.
So, wie es die Chinesen dann mit Japan pflegten, unter dem sie Jahrhunderte später dann schwer zu leiden hatten.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ich kann mir natürlich viel vorstellen, wenn der Tag lang ist, Herr Taylor - auch die ganze Welt, wie ich sie gerne hätte. Das heißt auch: ich kann mir Deutschland oder Europa als Land oder als Wirtschafts- und Gesellschaftszone vorstellen, in der Konsum über das eigentlich Nötige hinaus als langweilig oder sinnfrei gilt. Ein Blogger, Oberham, wirbt zum Beispiel für eine solche Lebensweise, wenn ich ihn richtig verstehe.
Unter solchen Voraussetzungen würden Marktmechanismen hier längst nicht mehr die gleiche Rolle spielen wie heute. Das würde allerdings auch bedeuten, dass "wir" uns technologisch zurückentwickeln würden, die durchschnittliche Lebenserwartung stagnieren oder sinken würden und vieles von dem, was in anderen Weltregionen möglich ist, hier nicht mehr möglich wäre.
Das würde gelten, wenn Ihr Szenario sich bewahrheitet, und wenn der größere Teil der Europäer da nicht mehr würde mitspielen wollen.
Aber soft power bedeutet für ein Land oder für eine Zivilisation - m. E. - auch ein Ort zu sein, an dem es sich zu leben (und zu arbeiten) lohnt. Eine Gesellschaft, die in dieser Hinsicht das Gleichgewicht verliert und ausschließlich auf den Wettbewerb setzt, ist kein solcher Ort. Ihm fehlt die Attraktivität. Ich gehe nicht davon aus, dass es eine wirtschaftliche Teilung geben wird, in der allerorts nur Marktmechanismen eine Rolle spielen werden. Davon abgesehen liefe das letztlich auch auf keine steigende Lebenserwartung mehr hinaus - davon, dass wenige Superreiche über hundert Jahre alt werden, und der restliche Durchschnitt bei, sagen wir, 60 Jahren liegt, ergibt sich kein Fortschritt, wie er zur Zeit auch von Neoliberalen noch gemessen wird.
In diesem Punkt finde ich auch die "Piraten" interessant. Mir ist es nicht so wichtig, was für einen Standpunkt sie zum BGE einnehmen, wie sie sich zum Renteneintrittsalter verhalten, usw.. Mich interessiert ihr Verhältnis zu dem von Ihnen angesprochenen Machtkonzentration. Machtkonzentration ist das Gegenteil von einem offenen Markt.
Ein anscheinend wenig beachteter Beitrag im "Freitag" sprach das im Sommer an: Digitale Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Deshalb stellt sich eine alte Frage neu: Wie wehren wir uns gegen Ausbeutung und stellen Selbstbestimmung sicher?
Das ist keine Offenmarktfrage im Sinne der FDP - hier beginnen sich die Frage nach den Grundrechten und den sozialen Rechten tatsächlich konkret zu mischen, und mir scheint, ab hier ergibt die Frage nach den Grundrechten und der Rolle der Politik richtig Sinn.
Nicht zuletzt darauf müsste die SPD eine Antwort finden, wenn sie mit ihrem Anspruch, sowohl zu "fordern" als auch zu "fördern" - beides finde ich ausgesprochen sozialdemokratisch - Ernst machen will.
Dann "muss" ich wohl auch nicht mehr Neuland wählen.
Ich möchte nicht mit einem Overkill an Argumenten antworten, Herr Leusch - ich tendiere allerdings zu sehr langen Kommentaren. ;-)
Vielleicht warte ich erst einmal ab, ob Sie noch etwas zu den Beispielen schreiben, die Sie gestern abend angeschnitten haben.
Auch für ein hochentwickeltes Land wie Taiwan gilt der Fluch des Öls.
:-(
Schon klar - aber auch Taiwan erhebt (als Republik China) Anspruch auf die Senkakus. Das kriegt nur niemand so richtig mit. ;-)
Und wenn es das nicht täte, wär's auch egal. China erhebt schließlich Anspruch auf Taiwan und die Senkakus.
Insofern war Ihr Kommentar auch gar kein Fehler.
Allerdings erhebt die Republik China keinen unmittelbaren Anspruch auf China (ein Land, das in Taiwan auch unter dem Namen China-Festland bekannt ist).
Andererseits erhebt die Republik China - also Taiwan - auf ihren Landkarten von China immer noch Anspruch auf die äußere Mongolei (also das Land, wo die Hauptstadt Ulan-Bataar heißt).
Natürlich nur insoweit, wie sie noch Anspruch auf China erhebt.
Sorry that I've got you into this, Tai De.
Also nochmal: Sorry that I've got you into this, Tai De.
"Der Freitag". Da, wo man seine Kommentare in einen Editor schreibt, um sich bis zur Seitenladung die Zeit zu vertreiben. :-(
Ich gehe mal zu dem Thema in unserer Diskussion, die dem des Beitrags am nächsten ist, Herr Leusch:
Ich glaube aber, dass Sie mit dem brillianten Artikel etwas überziehen, denn die "Values" der USA werden nicht nur weiterhin fleißig kopiert
Da sehe ich einen Widerspruch zu Ihrem davorstehenden Argument, die soft power Amerikas habe eher soft power als hard power verloren. Gelitten hat allerdings der Glaube, die amerikanische Regierung wolle "das Beste für China". Aber eine Regierung oder politische Klasse und ihr Land kann man nicht gleichsetzen – die eines demokratisch verfassten Landes noch viel weniger als in einem totalitären. Sie ist zwar gewählt, aber sie bestimmt nicht in vergleichbarem Umfang wie eine totalitäre das öffentliche Bewusstsein.
http://justrecently.files.wordpress.com/2011/12/voice_1989_october_november_p_4.jpg?w=322&h=303
So sah sich die damalige United States Information Agency in den 1980ern selber gern: als diejenige Instanz, die Chinesen aufklärte und über tatsächliche Sachverhalten informierte - Chinese students listening to VOA broadcasts during the demonstrations in Tiananmen Square", "Voice", Oct/Nov 1989, p. 4 (ein Voice-of-America-Magazin).
Tatsächlich folgte der „Glaube“ vieler Chinesen an Amerika in den 1980ern und 1990ern just amtlichen amerikanischen Medien, insbesondere der VoA - mithin den amerikanischen Regierenden. Mit der Desillusionierung bezüglich der U.S.-Regierung ging dann aber auch gleich eine Desillusionierung hinsichtlich von in Amerika oder im Westen angewandter Verfassungsprinzipien und ihrer Möglichkeiten einher. (Selbstredend leistete die chinesische Propaganda in diesem Desillusionierungsprozess viel "Geburtshilfe" - aber ohne einige globale Fakten wäre ihr das schwergefallen.)
Selbstrktische - amerikanische - Propagandisten hätte klar sein können, dass ihr Kredit in China nicht nachhaltig war - aber die Fähigkeit von Propagandisten zur Selbstreflexion kann man, glaube ich, fast nur überschätzen.
Ein ähnliches Muster der Enttäuschung wie spätestens ab dem letzten Jahrzehnt in China glaube ich in der Art zu erkennen, in der ein Großteil der damaligen DDR-Bevölkerung 1989/90 auf Helmut Kohl reagierte – wobei Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidat sicherlich das Seine dazu tat, Kohl gut aussehen zu lassen. "Starke, rettende Männer" waren gefragt.
Aber ich selbst will mit meinem Beitrag gar nicht nahelegen, die USA hätten letzthin weltweit an soft power erheblich verloren. Einmal von hier über die Oder, und man wird ein wesentlich freundlicheres Bild von Amerika antreffen als auf unserer Seite. Gleiches gilt für eine Vielzahl weiterer Länder.
In dem Zusammenhang hätte ich erst einmal eine Frage - vorausgesetzt, sie lässt sich ohne weiteres beantworten: berücksichtigen Ihre Zahlen die Schattenwirtschaft?
My, der Taylor und der Tlacuache. Werfen ständig mit Zahlen um sich, ...
... ohne einen Link zu denselben und weiterem Kontext.
Zielt aber tatsächlich in Richtung der Frage, wie "divers" die Weltwirtschaft tatsächlich ist - sowohl nach Geld- als auch nach Güterströmen.
Dieser Link ist leider auch nicht sehr spezifisch; ich melde mich heute nachmittag oder abend mit Details zu meinem Kommentar von gestern abend wieder.
Macht doch nix! ;-)
Ich werde heute abend nicht mehr alt, aber mir scheint, um einen Begriff davon zu bekommen, wie Geld geschöpft wird, ohne dass die Zentralbanken das überhaupt mitbekommen, müssen wir einen Blick auf Orte wie Wenzhou werfen.
Allein in der chinesischen Geschäftswelt sind private Finanzierungsmodelle sehr beliebt, und dabei geht es nicht um die Produktion von Drogen, sondern von ganz normalen Glühbirnen, Fahrradketten, Glühbirnen, Feuerzeugen ...
Ich denke, auch in Südasien spielt dieser informelle Sektor eine große Rolle.
Es müssen gar nicht immer illegale Unternehmen sein, die Geld brauchen. In China zum Beispiel kommen KMU an Kredite zum üblichen Zinssatz bei den üblichen Banken kaum ran. Die werden bevorzugt an Spezln (Großunternehmen, Staatsbetriebe usw.) vergeben.