Hat Amerika eine dienende Funktion?

Gaucks Aufschrei. Ein Interview unter Zeitgenossen. Heute mit Tai De.

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JR: Tai De, du wirkst verstimmt.

Tai De: Nein, amüsiert. Ich habe den Deutschlandfunk gehört.

JR: Welche Sendung?

Tai De: Die Nachrichten. Heute morgen um acht Uhr, rund zehn Minuten. Sie haben mich wieder zum Lachen gebracht.

JR: Mit einer Meldung, mit allen Meldungen?

Tai De: Nach der zweiten Meldung ließ meine Konzentrationsfähigkeit nach.

JR: Kannst du die Meldungen kurz wiedergeben?

Tai De: Erste Meldung war, dass sich unser Bundespräsident über die bösen Amerikaner echauffiert, die angeblich der Untersuchungsausschuss sehr interessiert. Aber besonders erheiternd war die Kombination der ersten und der zweiten Meldung. Bundeskanzlerin Merkel besucht China, und zur Zeit besucht sie ein Sozialprojekt für die Integration von Wanderarbeitern. Da weiß man doch gleich, in welche Richtung unsere Eliten neue ökonomische Freundschaften spinnen.

JR: Ist es nicht normal, dass man zum einen empört ist, dass das eigene Land von Freunden ausspioniert wird, und auf der anderen Seite, dass man gerne Geschäfte macht, wo sich Geschäfte bieten? Daran ist doch nichts verwerflich?

Tai De: Verwerflich? JR! Das ist doch im internationalen staatlichen Verkehr keine Kategorie! Sonst müssten wir womöglich noch darüber diskutieren, ob es nicht unethisch wäre, eine Hilfskraft aus dem BND zum mutmaßlichen Spion zu erklären, der doch möglicherweise nur das gemacht hätte, was sein Arbeitgeber möglicherweise auch getan hätte. Nur eben auf eigene Rechnung. Und in diesem Fall wäre das ein Dienstvergehen, aber eben kein Landesverrat, oder?

JR: Aber unser Bundespräsident empfände doch so. Und würde das nicht die Gefühle vieler ausdrücken?

Tai De: Draußen im Lande an den stationären und mobilen Endgeräten?

JR: Ja, genau!

Tai De: Ja, aber mein Gott ... das ist doch deren Problem! Genauso, wie es ein Problem der Bundesrepublik Deutschland ist, wenn relevante Daten mehr oder weniger ungesichert den Bündnispartnern zur Verfügung gestellt werden - und man sich hinterher auch noch über "Spionage" echauffiert.

JR: Handelt es sich denn aus deiner Sicht um eine Duldung der Spionage oder handelt es sich um eine aktive Mitwirkung an der Spionage?

Tai De: Fragen wir doch erstmal, ob es überhaupt Spionage ist!

JR: OK, ist es überhaupt Spionage?

Tai De: Wenn Deutschland in den letzten hundert Jahren ein Hort des Friedens gewesen wäre - wie z. B. die Schweiz -, dann wäre diese Spionage ein außerordentlich unfreundlicher Akt.

Da aber alles, was wir an Demokratie haben, von unseren amerikanischen und britischen Freunden überhaupt erst möglich gemacht wurde, kann ich persönlich es ihnen nicht übelnehmen, wenn sie sich dafür interessieren, was daraus gemacht wird. Auch sechzig oder siebzig Jahre, nachdem sie es unter großen Opfern möglich gemacht haben.
Bei einer Kanzlerin wie Merkel können sie sich nicht sicher sein, in welche Richtung der sogenannte NSA-Skandal gelenkt wird. Ist es denn überhaupt ein Skandal? Oder wird der sogenannte NSA-Skandal von deutscher Seite - von Regierungsseite - gezielt dazu genutzt, eine Distanz zu den europäischen britischen und amerikanischen Bündnispartnern herzustellen? Du erwähntest gerade die Ethik. Berechenbarkeit wäre ethisch, in den internationalen Beziehungen. Deutschland ist eine Wanderdüne. Also nicht berechenbar.

JR: Frage eins - ist der Gauck-Aufschrei nicht ein ganz natürlicher Vorgang, und Frage zwei - hat denn die Bundesregierung etwas gegen die NSA?

Tai De: Fangen wir an mit Frage zwei! Was sollte Merkel gegen die NSA haben? Der Bundesnachrichtendienst ist doch nichts weiter als eine schwer kurzsichtige Tochter der amerikanischen Dienste. Und zur ersten Frage: die Bundesrepublik Deutschland hat ein massives Interesse daran, Ergebnisse der amerikanischen Dienste mitnutzen zu dürfen.

JR: Worüber braucht sie denn Informationen?

Tai De: Über all das, was sie selbst nicht organisiert bekommt. Davon abgesehen rutscht Deutschland ja sowieso schon vom Kern des westlichen Bündnisses an seinen Rand. Härter ausgedrückt: es handelt sich möglicherweise um einen unausgesprochenen Ausschluss aus den inneren Zirkeln. Das tut einigen führenden Natojournalisten ja auch richtig weh, wenn ich richtig gehört habe. Nicht mehr so recht zur Familie zu gehören. Ist eben scheiße, wenn man sich vorher schlecht benommen hat.

JR: Wieso? Wer hat sich denn schlecht benommen?

Tai De: In Washington und London wird doch genau wahrgenommen, wie sich Deutschland totalitären Regimen gegenüber verhält.

JR: Verhält Cameron sich anders?

Tai De: In geschäftlicher Hinsicht keineswegs. Man differenziert in London aber besser zwischen dem Geschäftlichen und politischer Nähe. Und Deutschlands politische Nähe zu totalitären politischen Systemen ist zum Teil erschreckend. Schauen wir uns doch einmal an, welche Möglichkeiten der chinesischen Einparteiendiktatur gegeben wird, in Deutschland Einfluss bis in den Schulunterricht hinein zu nehmen. Über die Konfuziusinstitute. Das ist ja offensichtlich gewollt.

JR: Das gibt es allerdings auch in angelsächsischen Ländern.

Tai De: Oh ja! In angelsächsischen Ländern gibt es aber auch Universitäten, die solche Kooperationen komplett ablehnen.
Auch dort wird differenziert, und damit wird eine öffentliche Debatte erst möglich. In Deutschland ist das gar kein Thema. Die Schein-Kommunisten winken mit dem Geld, und die Deutschen lassen Politik Politik sein. Erstmal fressen.

JR: Ablehnende Positionen soll es gegeben haben, ja. Und das Gegenteil dazu auch.

Ich möchte noch einmal auf die Spionageaffäre zurückkommen. Hat die deutsche Bundesregierung etwas gegen die NSA? Du sagst, sie hat nichts dagegen, weil sie ja selbst gar nichts gebacken bekommt.

Tai De: Die Bundesregierung hat so lange nichts ... Deutschland, seine Eliten, betrachten die USA und die amerikanischen Soldaten offensichtlich als ihren persönlichen Wach- und Schließdienst. Das wurde auch in der "Welt" recht deutlich, als die richtig böse auf Obama wurden, weil der in Syrien oder im Irak nicht so richtig spurt. Wenn dieser Wach- und Schließdienst so unverschämt ist, selbst Fragen zu stellen, dann werden die Deutschen pampig. Das ist momentan der Fall. Und dann wird auch gerne mal ein bisschen der Mob in Marsch gesetzt - ob nun von links oder von rechts, ist dann ja auch egal ...

JR: Um was für Informationen handelt es sich denn? Was erfährt die Bundesregierung über die NSA, was sie sonst nicht erfahren würde? Rucksackbomber auf dem Weg nach Frankfurt am Main?

Tai De: Ja. Ohne Kooperation mit den anderen Diensten wäre Deutschland immer noch Vorbereitungsgebiet zum Beispiel für den islamistischen Terrorismus - so, wie es das in der Vergangenheit bedauerlicherweise war -, und außerdem wüssten die deutschen Dienste wohl überhaupt nicht mehr, was auf der Welt los ist.

JR: Muss man dafür Daten in einer Menge ansaugen, die man selbst niemals sinnvoll verarbeiten kann?

Tai De: Nein, das muss man nicht.

JR: Ist es nicht Kennzeichen einer totalitären Bürokratie, es trotzdem zu tun?

Tai De: Da gehen wir doch wohl alle d'accord. Nur: sich einerseits diese Dienste zunutze zu machen, mit ihnen massiv zu kooperieren, und jetzt mal im Vergleich ... Ein paar Papiere aus einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss sind doch wohl Peanuts im Vergleich zu dem, was unter der Regierung Schröder mit deutschen Staatsangehörigen passierte. El Masri, zum Beispiel. Oder gehen wir in die 1970er zurück. Als Genschman sich nicht dafür interessierte, wen die argentinische Militärjunta so in ihren Kellern hatte.

Aber das war ja nicht so schlimm, nicht? Waren ja keine bösen Amis, sondern nur ein paar argentinische Faschisten. Gibt es dazu eigentlich schon einen Untersuchungsausschuss?

Und darf ich noch eine Frage beantworten, die du nicht gestellt hast?

JR: Aber bitte.

Tai De: sollte ich einmal in einem Land festgehalten werden, Schwierigkeiten bekommen oder unter sonst irgendeine Willkür fallen, hoffe ich, dass Deutschland dort nicht diplomatisch vertreten ist und die Briten dort für Berlin die Geschäftsträger sind. Die deutschen Botschaften interessiert ein Deutscher in Schwierigkeiten ungefähr so viel wie das Wetter von gestern auf Taiwan.
Leider hat Berlin sich den Regimen der Welt so genehm gemacht, dass es an deutschen Botschaften in kaum einer Hauptstadt der Welt fehlt.

JR: Darf ich auch noch eine Frage stellen?

Tai De: Aber bitte.

JR: Hat Amerika aus Sicht der Bundeskanzlerin eine dienende Funktion?

Tai De: Gut möglich. Aber da Merkel im Gegensatz zur "Welt" fast nichts sagt, sind wir da auf Vermutungen angewiesen.

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