Hinrichtungen in Taiwan

Kein Moratorium Sechs zumTod verurteilte Häftlinge wurden am vergangenen Freitag in Taiwan (auch bekannt als Republik China) hingerichtet.

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Der stellvertretende taiwanische Justizminister Chen Ming-tang gab die Hinrichtung der Häftlinge durch Erschießen am Freitagabend Ortszeit bekannt. Über die Orte der Hinrichtungen gab es in der Presse unterschiedliche Angaben. Die Delinquenten wurden vor ihrer Erschießung offenbar unter Narkose gesetzt. Sie hätten unschuldige Männer, Frauen oder Kinder getötet und dabei grausame Methoden, unter anderem Brandstiftung, angewendet, so Chen. Laut Radio Taiwan International (RTI-Deutsch) wurden die Hingerichteten für den Tod von insgesamt zehn Menschen verantwortlich gemacht.

Menschenrechtsaktivisten kündigten an, sie würden gegen die Entscheidung des Justizministeriums für die Vollstreckung der Todesstrafe klagen. Die taiwanische Regierung habe gegen internationale Übereinkommen verstoßen, die in Taiwan Gesetzeskraft hätten. Peter Huang, damals Vorsitzender der Taiwaner Sektion von Amnesty International, hatte bereits im April 2009 in der englischsprachigen Taipei Times erklärt, die Ratifizierung zweier internationaler Abkommen - des International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR) und des International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR) - durch das Taiwaner Parlament seien einhergegangen mit einem Gesetz zu ihrer Umsetzung.

Offenbar stehen diese Abkommen der Todesstrafe nicht grundsätzlich im Wege, aber die Kritiker ziehen in Zweifel, dass die Schwere der jeweiligen Tat vor einem Todesurteil oder einer Vollstreckung in allen Fällen hinreichend geprüft würden - laut Artikel 6 des ICCPR dürfe die Todesstrafe nur in schwersten Fällen angewandt werden (most serious crimes). Lt. dem Office of the (UN) High Commissioner for Human Rights ist dies so zu verstehen, dass die Todesstrafe eine ziemlich außergewöhnliche Maßnahme (a quite exceptional measure) sein müsse. Außerdem äußern die Kritiker der Todesstrafe in Taiwan Zweifel daran, dass die Behörden das Recht und die Prozesse korrekt anwendeten und durchführten.

Lt. der staatlichen Nachrichtenagentur CNA stehen nach der Erschießung der sechs Häftlinge zur Zeit noch fünfzig Häftlinge auf der Todesliste. Das letzte Todesurteil wurde im Januar gesprochen; und auch im Dezember 2012 waren sechs zum Tode Verurteilte exekutiert worden.

Zwei Tage vor den Hinrichtungen hatte Taiwans Präsident Ma Ying-jeou in einem Treffen mit Vertretern der World Coalition to Abolish the Death Penalty erklärt, die Regierung wolle die Todesstrafe zwar beibehalten, aber ihre Anwendung reduzieren.

Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton beklagte in einer Erklärung am Samstag die Hinrichtungen und fügte hinzu, Taiwans Behörden (unter Vermeidung des Begriffs "Regierung" im Sinne der "Ein-China-Politik") setzten Handlungen fort, die weltweit ausgedrückte Besorgnisse missachteten. Die Hinrichtungen stünden im Widerspruch zu den Empfehlungen eines Expertenausschusses, der am 1. März ein sofortiges Moratorium empfohlen habe.

Auf eine Aufforderung des EU-Parlaments, die Todesstrafe sofort zu beenden, reagierte eine Sprecherin des Taiwaner Außenministeriums am Samstag mit der Aussage, ein solcher Schritt sei nur mit dem Einverständnis der Bevölkerung möglich. Ähnlich äußerte sich der taiwanische Premierminister Jiang Yi-huah. Die große Mehrheit der Taiwaner unterstütze die Todesstrafe, so Jiang.

Zweifel an ihrer Richtigkeit allerdings könnte die Mehrheit der Taiwaner durchaus hegen, wenn sie es denn wollte. 1997 wurde der Soldat Chiang Kuo-ching von einem Erschießungskommando hingerichtet. Das Urteil hatte auf Vergewaltigung und Ermordung eines fünfjährigen Mädchens gelautet. Offenbar war der Verdächtige durch Folter zu einem Geständnis gezwungen worden. Damals galt Taiwan bereits als Demokratie - die erste freie Präsidentschaftswahl erfolgte 1996. Präsident Ma entschuldigte sich im Januar 2011 bei Chiangs Angehörigen.

Die Frage der Rechtsstaatlichkeit in Taiwan hingegen wirft häufiger Zweifel auf.

Von 2000 bis 2008 war Chen Shui-bian taiwanischer Präsident - er war der erste Präsident der Republik China, der nicht der Nationalpartei (KMT) angehörte. Die KMT war fast ein Jahrhundert lang zunächst in Festlandchina und später auf Taiwan faktisch eine Staatspartei gewesen und hatte überwiegend mit Hilfe von "Notstandsgesetzen" regiert. Chen war vor seiner Präsidentschaft ein klassischer Oppositioneller.

Als Chen wegen Korruption vor Gericht stand, stellte sich die Frage, warum gerade er, und nicht zum Beispiel sein KMT-Vorgänger Lee Teng-hui, gegen den ebenfalls Verdachtsmomente vorlagen.

Der Jura-Professor Jerome Cohen, Rechtsprofessor an der Harvard University und dort seinerzeit Mentor des seit 2008 amtierenden Präsidenten Ma Ying-jeou, sah in einem Ausfall der Staatsanwaltschaft gegen den angeklagten Chen Shui-bian "einen zunehmend beunruhigenden Zirkus".

Die taiwanische Öffentlichkeit ist nicht so politisiert, wie seine Medien oder auch die Bloglandschaft das vielleicht vermuten lassen. Aber von einer Kultur des Vertrauens zwischen Behörden und Bevölkerung zu sprechen wäre gewagt.

Chen Shui-bians Administration hatte eine Abschaffung der Todesstrafe in Taiwan angestrebt. Von 2006 bis 2009 galt ein informelles Moratorium für die Todesstrafe. Allerdings verfügte die Chen-Administration nie über eine gesetzgebende Mehrheit, und wie viele andere Ziele mochte das der Abschaffung der Todesstrafe zumindest unter anderem auch vom Wunsch motiviert sein, größere internationale Anerkennung für Taiwans Souveränität zu finden.

Die Erweiterung taiwanischer Optionen auf der diplomatischen Bühne stehen für die KMT hingegen nicht im Vordergrund. Anders als Chen und seine Parteigänger sehen sie sich weitaus stärker als eine Partei der Republik China, und ein taiwanisches Profil steht für sie nicht so sehr im Vordergrund.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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