In Krisen bleibt das Kurzwellenradio gefragt

Kommunikation. Kein Medium ist so tot wie zuerst behauptet.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es gebe einen Trend zur scheinbaren Unzerstörbarkeit des Internets, merkte Gustlik im Oktober 2011 an:

Was macht man dann im Erdbebengebiet oder in Bürgerkriegsregionen, wo die gesamte Infrastruktur lahmgelegt ist? Wollen die Damen und Herren der ungetrübten Netzwelt etwa Podcasts mit Verhaltensregeln zur Gewinnung von Trinkwasser verschicken?

So oder ähnlich scheint das mittlerweile auch die japanische Regierung zu sehen. Seit dem 30. März sendet Radio Japan (NHK World) Berichten zufolge über Kurzwellensender in Japan, Großbritannien und Abu Dhabi nach Osteuropa. Nicht etwa in dort ortsüblichen Sprachen, sondern auf Japanisch. Aus welchen Motiven heraus diese Sendungen aufgenommen würden, sei nicht bekannt, erklärte Kai Ludwig von Radio Eins (RBB) in seiner Medienrubrik am 30. März.

Allerdings liegt der Verdacht wohl nicht fern, dass es diese Sendungen gibt, weil das Tokioter Auslandsradio von der Existenz japanischer Kurzwellenhörer in der Region ausgeht.

-

Auch Russland denkt (vielleicht) um

Anfang des Jahres stellte Radio Rossii seine Lang- und Kurzwellensendungen ein. Radio Rossii sei der einzige Radiosender, der ganz Russland versorge und dabei ähnlich wie der britische Inlandssender BBC Radio 4 eine Mischung aus Nachrichten, Hörspiele und Bildungsprogramme anbiete, so die BBC zur Einstellung der russischen Langwelle. Ein Teil der Kurzwellenanlagen war zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits demontiert, insbesondere diejenigen, über die der Auslandsdienst Radio Moskau - später die "Stimme Russlands" - seit den 1950er Jahren gesendet hatten.

Kurzwellenbasiertes russisches Auslandsradio wird es wohl nicht wieder geben.

Aber hinsichtlich der inländischen Sendetechnik kamen in den letzten Wochen offenbar auch einige Funktionsträger in Russland ins Grübeln. Radio Eins zitiert eine russische Meldung, der zufolge der Sicherheitsrat der Russischen Föderation am 19. Mai beschloss, eine neue, wahrscheinlich beim Verteidigungsministerium anzusiedelnde Behörde zu gründen, die 2016 die Zuständigkeit für amplitudenmodulierten Hörfunk übernehmen solle.

Amplitudenmodulierter Hörfunk (AM-Rundfunk) wird über Lang-, Mittel- und Kurzwelle verbreitet. Erwähnt werden bei Radio Eins - allerdings unspezifisch und nicht zwangsläufig bezogen auf die Überlegungen des russischen Sicherheitsrats - mehrere Mittelwellenfrequenzen sowie allgemein die Kurzwelle.

Auch hier mag die Ukraine-Krise ein Umdenken bewirkt haben. Anfang März begannen Vesti-FM/Rossia-24 mit Sendungen auf Mittelwellenfrequenzen. Dies sei offenbar als Vorsorgemaßnahme für den Fall zu werten, dass der russische Sender aus den ukrainischen Kabelnetzen entfernt würde - was dann auch prompt geschehen sei, so Radio Eins im März 2014.

Ob Kurz-, Mittel- oder Langwellensendungen in Russland zukünftig wieder regelmäßig oder nur fallweise ausgestrahlt werden sollen, ist offenbar noch unklar.

-

AM-Rundfunk: in Deutschland eine Marginalie

http://justrecently.files.wordpress.com/2014/02/stentor_the_caller.jpg?w=363&h=465

So laut wie fünfzig Männer sollte seine Stimme sein: "Der Rufer", eine Skulptur von Gerhard Marcks, 1966, ist dem "Stentor" Homers nachemfunden. Als Marcks den Auftrag von Radio Bremen zu dieser Arbeit erhielt, sendete man auf FM, Mittel- und Kurzwelle; heute aber nur noch auf angemieteten FM-Sendern - und per Internet.

Der frühere Auslandsrundfunk der Bundesrepublik, die Deutsche Welle (DW), betreibt nur noch in Kigali/Ruanda Kurzwellensender. Allerdings existiert die früher von der Deutschen Welle und später von privaten Unternehmen betriebene Sendeanlage Wertachtal nach wie vor, auch wenn sie seit Mai 2013 nicht mehr regelmäßig betrieben wird - und von der Deutschen Welle überhaupt nicht mehr. Eine weitere frühere DW-Sendeanlage in Jülich wurde demontiert nicht mehr.

Trotzdem kann der Rundfunk in Deutschland - grundsätzlich - auch über Wertachtal hinaus immer noch auf Kurzwellensender zurückgreifen, was allerdings nicht in erster Linie dem öffentlich-rechtlichen Sektor zu verdanken ist. Ein Kurzwellensender in Kall-Krekel (Eifel) überträgt Radioprogramme im Auftrag mehrerer Privatsender, ein Missionssender sendet aus dem ostfriesischen Weenermoor auf zwei Kurzwellenfrequenzen, und in Nauen im Bundesland Brandenburg existiert seit 1906 ein "Hochfrequenz-Sendestandort" , heute betrieben von dem Kölner Unternehmen "Media Broadcast".

Zu DDR-Zeiten übertrug man von dort unter anderem Kurzwellensendungen des Auslandsdienstes Radio Berlin International, und von 1990 bis zur Einstellung des kurzwellenbasierten Radiodienstes in Europa wurden Programme der Deutschen Welle übertragen.

Seit 2012 sendet auch der Norddeutsche Rundfunk aus Nauen über Kurzwelle: einmal im Jahr, für vier Stunden am 24. Dezember, überträgt Nauen die Traditionssendung "Gruß an Bord".

In diesem Jahr wird das Seefahrerprogramm wohl noch einmal auch auf Mittelwelle übertragen. Danach allerdings ist voraussichtlich nicht nur für das Weihnachtsprogramm und für die täglichen Seewetterberichten für Nord- und Ostsee Schluss, sondern für die Mittel- und Langwellensendungen aller ARD-Hörfunksender, inklusive denen des Deutschlandradios.

Radio Bremen, der kleinste ARD-Sender, der ohnehin zu drastischen Sparmaßnahmen tendiert, beendete seine Mittelwellensendungen bereits 2010.

-

China hält am Kurzwellenrundfunk fest

Der zunehmend sparsame Umgang mit Lang-, Mittel- und Kurzwellensendern ist in erster Linie ein nordamerikanisches und europäisches Phänomen. Japan verhält sich auf diesem Gebiet hingegen konservativ, und die chinesischen Behörden sind ohnehin weit davon entfernt, auf diese Wellenbereiche zu verzichten - weder bei Inlands- noch bei Auslandssendungen. Im Oktober 2011 wandte sich laut einem chinesischen Radiobericht die 6. Plenarsitzung des 17. ZK der KP Chinas ausdrücklich auch den Katastrophenschutzaspekten des Kurzwellenrundfunks zu und sah im 12. Fünfjahrplan Maßnahmen dazu vor.

Bei einem Erdbeben in der Provinz Sichuan im April 2013 kamen dann dem Bericht zufolge zwei Kurzwellenfrequenzen für die Übertragung öffentlicher Rundfunkprogramme zum Einsatz, mit praktischen Informationen und psychologischer Unterstützung aus einem Studio unmittelbar im Erdbebengebiet.

Verwandte Themen


Mainstream recognition, 25.06.14
Niemand wagt es, 15.05.14
» Krimkrise, 16.03.14
» Interkulturelle Medienarbeit, 11.12.12

Updates/Related


IRDR trial, 04.06.14

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

JR's China Blog

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden