IS-Gewerkschaften und schmutzige Löffel

Koreanische Hölle Eine Demokratisierung der Wirtschaft strebt die oppositionelle Minjoo-Partei an. Derweil punktet die Park-Regierung mit "Antiterrorgesetzen".

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Gesetze können im südkoreanischen Parlament nur verabschiedet werden, wenn zuvor drei Fünftel der Abgeordneten ihre Bereitschaft zu einer Abstimmung erklärt haben, notiert Steven Denney auf "Sino-NK", einer Fachwebsite für fernöstliche Angelegenheiten.

Bestünden allerdings Gefahren für die öffentliche Sicherheit, durch Krieg oder Naturkatastrophen, dürfe der Parlamentssprecher einen Gesetzentwurf auch ohne dieses Dreifünftel-Quorum zur Abstimmung freigeben.

Genau das tat der südkoreanische Parlamentssprecher Chung Ui-hwa am 23. Februar. Ein fünf Jahre alter Entwurf zur Terrorismusbekämpfung harrte noch immer seiner Verabschiedung, und selten war die Gelegenheit so günstig: immerhin hatte Nordkorea seit Jahresbeginn die Region und den UN-Sicherheitsrat mit einem Atom- und einem Raketentest in →Unruhe versetzt und Amerika und China dazu veranlasst, Nordkorea mit "beispiellosen" →Sanktionen zu belegen.

Aber auch mit dem einsamen Beschluss Chungs war der Krieg noch nicht gewonnen. Immerhin dient die Dreifünftelbedingung der Erfüllung eines Harmonieprinzips, wie es fast überall in Ostasien in der einen oder anderen Weise erfüllt werden muss. Oder wie der Rechtswissenschaftler und Sinologe es mit Bezug auf den chinesischen Kulturraum ausdrückte: 51-Prozent-Mehrheiten seien kaum akzeptabel, und erst bei 90 Prozent lasse sich von einem Konsens reden.

Also griff die oppositionelle Minjoo-Partei (Demokratische Partei) zum nächsten, seit 2012 im parlamentarischen Betrieb vorgesehenen Mittel: dem Filibuster.

Der südkoreanische Geheimdienst (National Intelligence Service, NIS) erklärte in der Woche vor dem parlamentarischen Abstimmungstermin, er habe Informationen erhalten, denen zufolge der nordkoreanische oberste Führer und erste Parteisekretär Kim Jong-un Vorbereitungen zu Terrorangriffen gegen Südkorea angeordnet habe.

Derartige Befürchtungen seien nicht völlig unplausibel, so die australische Nachrichtenwebsite news.com.au, und führte dazu sowohl militärische Angriffe aus dem Norden bis ins Jahr 2010 als auch den Anschlag auf den südkoreanischen Flug 858 im Jahr 1987 an, dem 115 Menschen zum Opfer fielen. News.com.au wies aber auch auf eine Unmöglichkeit hin, Behauptungen zur Vorbereitung nordkoreanischer Terrorangriffe unabhängig zu bestätigen.

Laut der Informationen, die der NIS für die regierende Saenuri-Partei bereitstellte, richteten sich die Terrorprojekte des Nordens potenziell gegen Anti-Pyongyang-Aktivisten, gegen Überläufer aus Nordkorea, gegen südkoreanische Reigerungsbeamte, aber auch gegen öffentliche Massenversammlungspunkte wie zum Beispiel U-Bahnen. Neben einer Terrorgefahr aus Nordkorea zählen allerdings auch vermutete südkoreanische IS-Mitglieder zu den Bedrohungsszenarien.

Auch für Seoul könnte die Warnung gelten, die der Bürgerrechts- und Außenpolitikforscher Doug Bandow vor knapp einem Jahr an die Obama-Administration richtete: Washington solle die Terrorismusdefinition nicht zu weit treiben; seit 1987 habe Pyongyang gegen niemanden einen terroristischen Anschlag verübt.

Trotzdem gab die Minjoo-Partei ihre Filibusterkampagne am zweiten März auf: sie habe negative Rückwirkungen angesichts der im April stattfindenden Neuwahlen zum Parlament befürchtet, so Associated Press.

Am dritten März verabschiedete das Parlament in Seoul Gesetze "für Anti-Terror-Aktivitäten", zur "Förderung der Menschenrechte in Nordkorea", sowie eine neue Wahlkreiseinteilung. Laut dem deutschen Dienst von KBS Seoul gewährt das Gesetz

dem Geheimdienst NIS weitreichende Kompetenzen für eigene Ermittlungen. Der NIS kann künftig Daten über Ein- und Ausreisen, Finanztransaktionen und die Kommunikation verdächtiger Personen im Zusammenhang mit dem Terrorismus sammeln.

Noch mehr Zeit bis zu seiner Verabschiedung als das "Antiterrorgesetz" hatte das Gesetz zu Menschenrechten in Nordkorea gebraucht, dabei aber laut KBS immerhin zu einer Übereinstimmung zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen gefunden:

Im Mittelpunkt steht die Gründung eines Archivs, einer Stiftung und eines Beirats zur Menschenrechtssituation in Nordkorea. Bis zuletzt umstritten waren die Bestimmungen über das Grundprinzip und die Pflichten des Staates. Schließlich konnten sich die Saenuri-Partei und die größte Oppositionspartei, Minjoo-Partei Koreas, auf eine Formulierung einigen, die lautet: Der Staat muss sich für die Förderung der Menschenrechte in Nordkorea, die Entwicklung der innerkoreanischen Beziehungen und die Schaffung des Friedens auf der koreanischen Halbinsel einsetzen.

Die Terrorwarnungen passen der Regierungspartei und der Präsidentin Park Geun-hye durchaus ins Konzept: als im November 2015 maskierte Demonstranten an gewerkschaftlich organisierten Protesten in Seoul teilnahmen, befand die Präsidentin, der IS verhalte sich ganz ähnlich. Insbesondere bei den über sechzigjährigen Südkoreanern habe Park eine starke Basis, so ein Artikel des "Nikkei Asia Review" Ende Februar. Einige Wochen vorher hatte die "Washington Post" (via "South China Morning Post") ein Stimmungsbild unter zwanzig- bis dreißigjährigen Südkoreanern gezeichnet, das wesentlich düsterer ausfiel. Der "goldene" oder eben auch der "schmutzige Löffel", mit dem im Mund man geboren sei, entscheide über den Zugang zu den besten Universitäten und Traumjobs einerseits, und den schlechtbezahlten Überstundenjobs ohne Sozialleistungen.

Dieses Korea hat gar einen besonderen Namen: "Hölle Joseon", eine Redensart, der zur fünf Jahrhunderte langen Joseon-Dynastie zurückreicht, in der konfuzianische Hierarchien in Korea Wurzeln schlugen, und in der ein Feudalsystem darüber entschied, wer vorankam und wer nicht.

Auf Verständnis ihrer Eltern können die jungen Menschen, die im WaPo-Artikel zu Wort kommen, offenbar nicht rechnen:

"Meine Eltern finden, ich gebe mir nicht genug Mühe", sagte Yeo Jung-hoon, 31, der für ein Umwelt-NGO arbeitete, jetzt aber eine Facebook-Gruppe namens "Gewerkschaft ungelernter Arbeiter" betreibt. "Einmal, nach einem Meeting, sagte mein Chef vor aller Ohren: 'Ich glaube nicht, dass du für diesen Job geeignet bist'. Ich fühlte mich gedemütigt, aber ich kam da nicht raus, weil ich das Geld brauchte. Es ist eine Hölle ohne Ausgang."

Die höllische Nachbarschaft aus dem Norden signalisiert derweil ein baldiges Ende des irdischen Jammertals:

Verehrter Führer, geben Sie uns nur den Befehl.
Wir werden sofort stürzen
und die USA-Imperialisten in diesem Land vernichten,

dichtete der deutsche Dienst der "Stimme Koreas" aus Pyongyang ein Lied nach, "in dem sich der starke Wille der ganzen Armee und Bevölkerung der DVRK zur Vernichtung der Feinde widerspiegelt."

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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