Korea: Keine Chance auf Denuklearisierung

Unerträglicher Schmerz Die Situation auf der koreanischen Halbinsel ist hoffnungsloser, als Donald Trump offenbar glaubt. Sie bleibt aber auch berechenbarer als allgemein angenommen.

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Korea: Keine Chance auf Denuklearisierung

Foto: SAUL LOEB/AFP/Getty Images

Nordkoreas "Historischer Moment"

Am 7. Februar führte Nordkorea einen Raketenstart durch. Pyongyang sprach von einem Satellitentransport - als solchen hatte es die Aktion einige Tage zuvor auch bei der zuständigen Internationalen Seeschiffahrts-Organisation in London angemeldet.

Das schien der Rest der Welt allerdings nicht zu glauben: einen Monat zuvor, am 6. Januar hatte Nordkorea einen Atomtest durchgeführt, und angesichts weitgehend vergleichbarer technologischer Plattformen für Weltraum- und ballistische Raketen wird davon ausgegangen, dass Pyongyang mit dem Start einer (dreistufigen) Raumrakete UN-Restriktionen (bezogen auf zweistufige ballistische Raketen) umgehen wollte.

Auch Beijing gab sich seinem peinlichen Verbündeten gegenüber ungläubig und "bedauerte" den Satellitentransport, der - so hob die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums hervor - unter Verwendung ballistischer Technologien durchgeführt worden sei.

Dass es sich beim Atomtest vom 6. Januar um den erfolgreichen Test einer Wasserstoffbombe gehandelt habe, wie von Pyongyang behauptet, wurde wiederum mindestens im Westen und in Südkorea mit Skepsis aufgenommen, und halbamtlich zweifelte auch Beijing. Zwar wolle er nicht ausschließen, dass Nordkorea bereits in kleinem Umfang über Wasserstoffbombentechnologie verfüge; die zur Verfügung stehenden Daten jedoch "unterstützten keinen 'Wasserstoffbombentest'", erklärte Militärforscher Du Wenlong von der PLA Academy of Military Science gegenüber dem chinesischen Zentralfernsehen CCTV.

Keine Zweifel bestanden an der Wunderwaffe des nordkoreanischen Fernsehens: "Himmel und Erde erbeben angesichts dieses historischen Moments", verkündete die - speziell zum historischen Anlass aus dem Ruhestand reepiphanierte - Nachrichtensprecherveteranin Ri Chun-hee laut "New York Times".

Südkoreas Reaktion

Und die südkoreanische Führung bebte - vor Wut. Ginge es nach Südkoreas Außenminister Yun Byung-se, beträte die nordkoreanische Führung jetzt die Welt der Schmerzen:

"Ich glaube, es ist Zeit für die internationale Gemeinschaft, null Toleranz gegenüber Nordkoreas zügellosen Provokationen zu zeigen", erklärte er vorigen Donnerstag, vier Tage nach dem nordkoreanischen Raketenstart, auf der Sicherheitskonferenz in München, und: "es ist nun Zeit, Pyongyang unerträgliche Schmerzen zuzufügen, so dass es die richtige strategische Wahl trifft, wie es der Iran bereits getan hat."

Südkorea sieht sich unmittelbarer von Pyongyangs Atomtests betroffen als andere Nachbarn oder an den "Sechsparteiengesprächen" beteiligte Opponenten gegen eine Nuklearisierung der koreanischen Halbinsel. Denn anders als für die Welt außerhalb der koreanischen Halbinsel steht für Seoul - wie auch für Pyongyang - die Wiedervereinigung der beiden Koreas weiter auf der Tagesordnung, wenngleich außerhalb der amtierenden südkoreanischen Regierung erhebliche Zweifel an Sinn und Machbarkeit einer solchen staatlichen Einheit gehegt werden.

Zwischen Korea und Deutschland bestehe ein besonderes Verhältnis aufgrund der schmerzlichen Erfahrung der [nationalen] Teilung, erklärte die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye im März 2014 während eines Berlin-Besuchs.

Ihre Forderung, "akribische Vorbereitungen" für die Verwirklichung der koreanischen Einheit zu treffen, dürfte sie damals ernst gemeint haben, und sie selbst jetzt noch ernst meinen. Grundsätzlich stellt sich die Situation auf der koreanischen Halbinsel nach dem mutmaßlich vierten Atomtest Pyongyangs am 6. Januar und einem neuerlichen Raketentest am 7. Februar - auch gar nicht so viel anders dar als zuvor: Amerika einerseits und China (mittelbar auch Russland) andererseits finden zwar im Weltsicherheitsrat einen gemeinsamen Nenner für Sanktionen gegen Pyongyang, aber keine, die den Bestand des nordkoreanischen Regimes ernstlich in Frage stellen würde.

Zudem dürften amtliche koreanische Wutanfälle - ob nördlich oder südlich der Demarkationsgrenze - einer ähnlichen Ritualisierung unterliegen wie die von Oskar Weggel vor knapp zwanzig Jahren geschilderten Demonstrationen der südkoreanischen Zivilgesellschaft:

[Studentendemonstrationen] .. spielen sich fast immer in einem ganz bestimmten Straßenabschnitt vor der jeweiligen Universität ab, finden zu einer bestimmten Uhrzeit statt und verlaufen mit fast eintöniger Präzision nach demselben Gewalt- und Gegengewaltmuster. Kameraleute, die diesen Vorgang einmal gefilmt haben, bräuchten ihn eigentlich kein zweites Mal aufzunehmen, sondern könnten mit Archivmaterial arbeiten, ohne das äußere Geschehen zu verfälschen. Was sich ändert, ist nur der jahreszeitliche Belaubungszustand der Straßenbäume. Dicht neben dem Kampfplatz bereits geht das Leben ganz normal weiter. [...] 1)

Für manche südkoreanischen Unternehmen ist das Leben seit voriger Woche allerdings keineswegs mehr normal. Ein von Nord- und Südkorea gemeinsam betriebener Industriepark in der nordkoreanischen Stadt Kaesong ist einstweilen - und vermutlich längerfristig als bei einer vorherigen Krise 2013 - eingestellt. Am Donnerstag voriger Woche wies Pyongyang alle Südkoreaner aus, die im Kaesonger Industriepark tätig waren, nachdem Südkorea zuvor die Produktion - zumindest zeitweilig - einstellen wollte. Aus dem Versuch, südkoreanisches Anlagevermögen und Warenvorräte aus Kaesong nach Südkorea zu verbringen, wurde ebenfalls nichts: laut einer Meldung von Radio Japan am Freitag kündigte das nordkoreanische Komitee für Wiedervereinigung an, das südkoreanische Vermögen in Kaesong einzufrieren. Ebenfalls am Freitag meldete China Radio Internationals Mandarinservice, den Südkoreanern sei lediglich die Mitnahme persönlicher Besitzgegenstände erlaubt worden. Den Industriepark habe Pyongyang zum militärischen Sperrgebiet erklärt.

Mit einer Produktion von über 500 Millionen USD im Jahr 2015 mag der nord-südkoreanische Produktionswert in Kaesong zumindest für Südkorea volkswirtschaftlich überschaubar gewesen sein. Allerdings kritisierte den Produktionsstopp in Kaesung laut dem deutschsprachigen Radiodienst des südkoreanischen Senders KBS als "Strategie" für die Parlamentswahlen im April. Ebenfalls laut KBS sieht sich Seoul zu Entlastungsmaßnahmen für die betroffenen Unternehmen veranlasst. Die oppositionelle Saenuri-Partei Allen im Industriepark ansässigen Unternehmen werde ein Tilgungsaufschub gewährt. Unternehmen, die Kredite aus einem innerkoreanischen Kooperationsfonds aufgenommen hätten, würden außerdem die mit den Krediten verbundenen Zinszahlungen gestundet.

Chinesisch-Nordkoreanische Beziehungen

China habe die "totale Kontrolle" über Nordkorea, behauptete Donald Trump, ein aussichtsreicher Bewerber für die republikanische Präsidentschaftskandidatur, in einem CNN-Interview - ohne China gäbe es in Nordkorea nichts zu essen. Folgt man den Statistiken, erscheint Trumps Argument einleuchtend.

Von 2009 bis 2011 stiegen Nordkoreas Exporte (Importe) nach China von 348 Millionen (1,47 Mrd) auf 2,5 Mrd (3,7 Mrd) USD. Insgesamt erreichten Nordkoreas Exporte (Importe) 2011 einen Wert von 3,7 Mrd (4,3) USD. Auch nach einem Rückgang des nordkoreanisch-chinesischen Handels in den Jahren 2014 und 2015 auf zuletzt 2,3 Mrd (2,6 Mrd) USD darf durchaus von einer existenziellen nordkoreanischen Abhängigkeit von China gesprochen werden. 2)

Eine weitere chinesische Abhängigkeit Nordkoreas von China besteht in dem von Beijing gebotenen militärischen Schutz. Ein amerikanisch geführter Angriff auf Pyongyang - sei es zur Besetzung des Nordens oder auch zu einem kurzfristigen "regime change", ist undenkbar - mindestens indirekt wirkt hier auch ein "nuklearer Schirm" Beijings für seinen Verbündeten.

Gleichwohl geht die Vorstellung fehl, Beijing könne das Verhalten der nordkoreanischen Führung erheblich beeinflussen. Weder die wirtschaftliche noch die militärische Versorgung aus China stellt Pyongyang zufrieden. Angesichts der chinesischen Öffnung "zum Westen" oder zu den internationalen Märkten seit 1978 gelten Chinas Führer in Nordkorea als »Weicheier - ungeachtet einiger eigener nordkoreanischer Gehversuche in Richtung privatwirtschaftlicher Mechanismen. Überhaupt hat es in Nordkorea Tradition, sich selbst als ökonomischen Zwerg, dafür aber als »ideologischen weißen Riese anzusehen.

Auch dass China sich diversen internationalen Resolutionen und Sanktionen gegen Nordkorea angeschlossen hat, kann von der dortigen Führung nicht als vertrauensbildende Maßnahme aufgefasst werden.

Dass Pyongyang unter solchen Umständen unentwegt nach nuklearer Bewaffnung strebt, ist - zumindest unter den Prämissen des Regimes - nur folgerichtig, und ohne einen Sturz des Regimes auch nicht veränderbar. Es gibt keine vorstellbaren Garantien - weder aus Beijing noch aus Washington -, die die nordkoreanische politische Klasse zur Aufgabe ihres atomaren Ziels bewegen könnten.

Amerikanisch-Chinesische Beziehungen

Einmal abgesehen von der Frage, ob es eine eine westliche Garantie zur Nichterweiterung der NATO nach erfolgter deutscher Einheit jemals gab oder nicht: Voraussetzung für tragfähige Garantien dieser Art - in Ost oder West gleichermaßen - wäre eine Situation, in der sich alle beteiligten Parteien in der Lage sähen, einen bündnisfreien Status zu beginnen oder beizubehalten. Davon kann in Ostasien nicht die Rede sein. Auch ohne ein strukturelles Bündnis begibt sich kein Nachbar Chinas der Möglichkeit, Amerika und China gegeneinander auszuspielen und damit die eigenen Spielräume zu erweitern - weder Nordkorea als Chinas "Verbündeter", noch irgendein anderer Staat des früheren imperial-chinesischen Einflussbereichs. Und weder Amerika noch China als strategische Rivalen werden auf die Option verzichten, in Ostasien Bündnisse zu schließen oder aufrechtzuerhalten - seien sie partnerschaftlich oder hegemonial geprägt.

Bräche das nordkoreanische Regime zusammen, gäbe es also für China keine Garantien, dass ein nordkoreanisches Vakuum nicht unverzüglich von Südkorea und den USA gefüllt würde. Und marschierte China präventiv in den Norden Koreas ein, würde es damit nicht nur - wie zuvor Russland - eine für sich selbst proklamierte Einhaltung des internationalen Rechts verletzen; es würde auch einen direkten Krieg, zumindest aber einen ökonomisch katastrophalen Temperatursturz in den Wirtschaftsbeziehungen mit den USA riskieren. Und nicht zuletzt würde ein chinesischer Einmarsch einen ohnehin schon existierenden Antagonismus vieler früherer Tributarstaaten gegen China weiter zementieren - in Südkorea ganz besonders.

Es gibt also aus chinesischer Sicht keine überzeugende Alternative zur Unterstützung des jetzigen nordkoreanischen Regimes. Sie kostet weniger viel als alle absehbaren alternativen Szenarios.

Das weiß auch die amerikanische Seite - und ein frisch gewählter Präsident Trump würde sich sehr schnell mit den fernöstlichen Realitäten anfreunden müssen, wenn die amerikanische Politik dort nicht an Realitätssinn, und in der Folge erheblich an Einfluss, verlieren soll.

Frustrationen

Unmittelbar frustrierend dürften die Entwicklungen der letzten sechs Wochen für die südkoreanische Regierung sein, und insbesondere für Präsidentin Park Geun-hye. Ihre öffentliche Unterstützungsrate in Südkorea wird zwar kaum von einem Näherrücken der nationalen koreanischen Einheit abhängen, wohl aber von einer entspannten Koexistenz mit dem Norden, bei zumindest punktueller Kooperation, wie zuletzt am Industriestandort Kaesong. Wenn die Opposition in Seoul der Regierung vorwirft, die Schließung des Industrieparks leichtfertig oder vorsätzlich ins Werk gesetzt zu haben, dann just darum, weil solche Vorwürfe dem Ansehen bei den Wählern durchaus schaden können.

Ein Telefongespräch Parks mit dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping ergab für die Präsidentin nichts Neues, und schon gar keine Fortschritte in ihren Versuchen, auf internationalen Wegen Einfluss auf den Norden zu nehmen. China sei nach wie vor "nicht bereit", sich zu Nordkorea anders zu verhalten als bisher, formulierte ein Kommentator der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap. Diesen vorsichtig formulierten Befund ergänzte er mit Zitaten zu Parks mutmaßlich enttäuschten Erwartungen: Jonathan Pollack, ein Mitarbeiter der Brookings Institution, habe hervorgehoben, wie sehr sich Park um gute Beziehungen zu Beijing bemüht habe, inklusive ihrer Teilnahme an einer chinesischen Militärparade im vergangenen September.

Unter unerträglichen Schmerzen, wie vom südkoreanischen Außenminister in München gefordert, wird die Führung in Pyongyang also auch zukünftig nicht leiden müssen.

Aber auch für Beijing bleibt die Situation unbefriedigend. Zum einen kränkt es gesichtsbewusste Chinesen, von einer "Gang" (für eine solche halten auch viele Chinesen die nordkoreanischen Eliten) in aller Weltöffentlichkeit an der Nase herumgeführt zu werden. Zum anderen stärkt die nordkoreanische Rolle in der Region die Rolle der USA. So, wie Pyongyang sich (ohne große Kosten seinerseits) einen chinesischen militärischen Schutzschirm leistet, so leisten sich die meisten übrigen Nachbarstaaten einen amerikanischen. Selbst Japan und Südkorea könnten angesichts einer nordkoreanischen atomaren Bewaffnung ihre historischen Antagonismsn zu entschärfen, fürchtete bereits 2010 der chinesische Militärprofessor Zhang Zhaozhong. Die japanisch-südkoreanische Bereitschaft dazu scheint zu steigen.

Neben der - durchaus »aggressiven - chinesischen Rolle im südchinesischen Meer bleibt Nordkoreas Haltung ein zweiter starker Ankertross für die militärische und politische US-Präsenz im Fernen Osten.

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Notes

1) Oskar Weggel: "Die Asiaten", München 1989, 1994, 1997, S. 148.
2) FAO/WFP Group and Security Assessment Mission to the Democratic People's Republic of Korea, Rom, 28.11.13, S. 7

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