KP Chinas: Die Vulgären sind von Gestern

Internetzensur. Ein Beschluss der KP Chinas sei so interpretierbar wie ein Orakelknochen, klagte 2011 die FAZ. Aber wer das "Orakel" verstehen will, muss die spätere Praxis beobachten.

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Die FAZ fand das seinerzeit vom ZK der KP Chinas veröffentlichte Kulturdokument widersprüchlich: es laufe sowohl auf Zensur und "Lenkung der öffentlichen Meinung" (guidance of public opinion) hinaus, als auch auf eine Funktion des Internets für Bürger, die daran interessiert seien, politische Vorgänge zu bewerten und zu überwachen.

Ein Politbüro - und es ist die ständige Kommission des Politbüros, nicht das Zentralkomitee der KP Chinas, das das letzte Wort hat - ist kein Parteitag, nach dessen Wahlprogramm man in späteren Koalitionsverträgen womöglich lange suchen müsste, um es wiederzufinden. Es ist langfristig angelegt. Seine Wirkung findet sich in der Presse Chinas, die von der Propagandaabteilung der KP Chinas nicht nur gesagt bekommt, worüber sie nicht berichten darf, sondern auch, worüber sie berichten muss - bis hin zu Details des Layouts.

Die Internationale Fernmeldeunion (ITU) ist weder ein Politbüro noch ein Parteitag. Es kam auf seiner Versammlung, vorige Woche in Dubai, auch zu keiner Resolution hinsichtlich des Internets, wie es sich Chinas, Russlands und viele andere Regierungen gewünscht hatten. Zum Beispiel der "Spiegel" stellt die Weigerung der USA und anderer Staaten, die ITU-Resolution (oder den Vertrag) zu unterstützen, als einen - wenn auch nicht selbstlosen - Einsatz für die Freiheit des Internets dar.

So kann die chinesische Presse mit dem Thema natürlich nicht umgehen. Statt dessen (Schlagzeile und Subschlagzeilen bei der "Volkszeitung":

Die meisten Länder unterstützen stärkere Internetüberwachung und Kontrolle / Den legalen Aufbau des Internets stärken, eine zivilisierte und gesunde Internetumgebung aufbauen / Amerikas Weigerung, den ITU-Vertrag zu unterzeichnen, beruht auf Hintergedanken.

Im Artikel selbst schreibt die "Volkszeitung" unter anderem:

Immer mehr Länder sind besorgt über internetbasierter Kriegsführung, internationaler Cyberkriminalität und Dissidenten zu Hause, welche "Twitter" und "Facebook" sowie andere Dienste verwenden, die nicht durch heimische Behörden kontrolliert werden. Viele Länder hoffen, dass die ITU beweisen werde, dass sie solche Probleme mit Hilfe der Entwicklung von Standards oder doch immerhin eines Meinungsforums lösen könne.

Das kann die ITU aber - nun erwiesenermaßen - nicht, befindet die Volkszeitung. Unbegreiflicherweise habe Amerika sich nämlich geweigert, den Vertrag zu unterschreiben, und habe statt dessen die Verhandlungen zornig verlassen. Und Grund zum Zorn habe Washington: immerhin schreibe ja (sogar) das Wall Street Journal, dass Amerika eine Niederlage in der digitalen Welt erlitten habe. Washington befand sich in der Minderheit.

Die Beglaubigung eines eigenen Standpunktes durch ausländische Medien bleibt der chinesischen Propaganda wichtig - so sehr sie das "Nachäffen des Auslands" unter Chinesen in anderen Kontexten auch verurteilen mag. Was das Wall Street Journal - genauer, der Kolumnist L. Gordon Crovitz - tatsächlich und im einzelnen schrieb, bespricht die "Volkszeitung" allerdings lieber nicht mit ihren chinesischen Lesern.

Die erwünschte Botschaft des "Volkszeitungs"-Artikels läuft in etwa darauf hinaus:

  • Wer sich der Zensur widersetzen möchte, befindet sich in der Minderheit (oder ist gar ein Außenseiter - eine im chinesischen Kontext eher beklagenswerte Position)
  • Amerika (und andere, kaum erwähnte Länder, die nicht zustimmten oder sich eine Bedenkzeit nahmen) ist isoliert
  • Internetfreiheit ist Krieg gegen verwundbare Völker
  • China ist in der Mitte der Völkerfamilie
  • Dissidenten sind isoliert.

Da die wenigsten Chinesen regelmäßig die "Volkszeitung" lesen, wird für eine Verbreitung des Artikels auf populäreren chinesischen Websites gesorgt.

Gleichwohl stehen Redakteure, die Vorgaben der Propagandaabteilung umzusetzen haben, vor keiner dankbaren Aufgabe. Es empfiehlt sich nicht, Artikeln wie diesen einen Kommentarthread hinzuzufügen - ständiges Zensieren wäre die Arbeit, die sich daraus ergäbe.

Huanqiu Shibao, eine Zeitung mit vergleichsweise nationalistischen, aber auch zornigen Lesern, bemühte sich im vergangenen Jahr, ihren Lesern die Tugend der Zensur näherzubringen - mit mäßigem Erfolg.

In der chinesischen Gesellschaft - einer Gesellschaft mit einer Vielzahl komplizierter Stimmen - ist Vertrauen in die Partei zur Vernunft für die Gesellschaft als ganze geworden. Dies ist eine wichtige Linie für Chinas gesellschaftlichen Zusammenhalt, und einer der grundlegenden Gründe dafür, dass China - seit dem Beginn der Reform und Öffnung - zwar vielfältig, aber nicht verstreut geworden ist. Auch wenn allgegenwärtige Diskussionen diesen Punkt berühren, so ist doch "Vertrauen in das ZK der Partei" zweifellos Chinas stärkste ideologische und politische Realität.

[...]

Es gibt keinen Widerspruch zwischen der Befreiung des Denkens und dem Vertrauen in das ZK der Partei. Es ist eben aufgrund dieser Vielfalt, aufgrund der Wahl zwischen vielen Optionen, dass wir verstehen: Vertrauen in das ZK, die Implementierung des Fahrplans der Partei, das ist verlässlicher als jede andere Methode, welche man uns vielleicht lehren möchte, und besser als jede andere Methode dazu geeignet, die Bedingungen zu schaffen, unter denen das Land und der Einzelne sich entwickeln können.

Die "Volkszeitung" unterstellt nicht ausdrücklich, dass "politisches Andersdenken" automatisch vulgär wäre - das ist in China nicht Brauch. Vordergründig ist mit "vulgär" (einem in China viel verwendeten Begriff) auch Pornografie oder überbordende Brutalität gemeint. Aber da solche "verbotenen" Inhalte schwer zu definieren sind, werden sie auch nur selten definiert. Möge es das Publikum doch für sich selbst herausfinden: anhand dessen, was die Behörden und Presseorgane praktizieren. Vermengt es in seiner eigenen Wahrnehmung aber Dissidententum und Pornografie, ist das aus KP-Sicht natürlich kein Schaden.

Die Konferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) in Dubai scheiterte in der vergangenen Woche. Für die Praxis der Zensur galt in China lange eine Schamgrenze; aber spätestens ab 2011 beschloss die KP Chinas offenbar, "offensiv" mit dem Thema umzugehen und die Zensur als Schutzfunktion für die nationale Sicherheit zu präsentieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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