Ma Shui-long, taiwanischer Komponist

Kultur und Zugehörigkeit Am 2. Mai 2015 starb der taiwanische Komponist Ma Shui-long im Alter von 75 Jahren: in Deutschland, in den 1970er jahren, entdeckte er "seine" chinesische Musik.

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Die Musikwissenschaftlerin Yan Lu-fen, deren Lehrer Ma zeitweise gewesen war, erinnerte in einem am 15. Mai veröffentlichten Nachruf an den Komponisten: wie er in seiner Heimatstadt Keelung das Massaker des 28. Februar 1947 (oder seine Folgen) erlebte, Anfang der 1960er Jahre Musik studierte (und mit Hilfe von Nachtschichten finanzierte), seinen Wehrdienst gesundheitlich knapp überlebte und dann inselweit mit ersten Kompositionen auffiel, wie zum Beispiel "Regnerischer Hafen".

Von 1972 bis 1975 studierte Ma mit einem Vollstipendium in Regensburg und erlebte dort eine wohl gar nicht unfreundlich gemeinte Bemerkung eines deutschen Musikprofessors als "Kulturschock": offenbar täten auch asiatische Musiker viel zur globalen Verbreitung deutscher Musik. Das habe Mas Nationalgefühl angespornt, so Yan, und ihm Anlass gegeben, darüber nachzudenken, warum Bach so viel von italienischer Musik gelernt, aber erst über eine deutsche Verarbeitungsphase selbst mit globaler Wirkung komponiert habe - worin also kulturelle Entwicklung bestehe und wie sich ihre Zugehörigkeit definiere.

Als Ma 1975 nach Taiwan zurückkehrte, erlebte die dortige Musikbranche gerade eine nationalistische Suche nach Modernisierung, so Yan, an der sich Ma mit verschiedenen Stücken, unter anderem einer Adaption der Injustice to Dou E, beteiligte.

Während in Taiwan mit wachsender Opposition gegen das vom Festland auf die Insel geflohene KMT-Regime auch der taiwanische Nationalismus wuchs, lag Mas Schwerpunkt offenbar eher auf der chinesischen Variante des Nationalismus - ungeachtet der Tatsache, das er geborener Taiwaner war.

Auch international bekannt wurde Ma Shui-longs Konzert für Bambusflöte und Orchester (1981), dessen einleitenden Takte obendrein in leicht abgewandelter Form als Kennmelodie der Nachrichtensendungen im taiwanischen Rundfunk verwendet wurden.


Das Konzert für Bambusflöte und Orchester, 1. Satz, mit dem taiwanischen "Giant Orchestra"

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Ma lasse die Musikinstrumente mit einer europäischen Stimme, aber mit einer asiatischen Denke sprechen, so die "New York Times" im März 1987.

In ähnlichen Begriffen erklärte Ma seine Herangehensweise zwei bis drei Jahre später auch selbst: mit wenigen Ausnahmen könne er ein westliches Musikinstrument "chinesisch sprechen lassen".

Im selben Interview formulierte er auch Schlüsse, deren Grundlagen sich bei ihm in Deutschland gebildet hatten: ein Orchester auf internationaler Tournee müsse immer auch ein Werk aus dem eigenen Land spielen. Das sei nicht nur eine Sache des nationalen Stolzes, sondern hat auch mit kulturellem Austausch zu tun.

Wo die Quellen des Ma'schen Nationalstolzes lagen, formulierte der Komponist allerdings nicht in absoluten Ansagen. Das Konzert für Bambusflöte und Orchester verortete er gedanklich zwar in Jiangnan, also in etwa das Hinterland westlich, nördlich und südlich des heutigen Shanghai, war aber auch durchaus offen für die herausfordernde Frage Yan Lu-fens, ob nicht das persönliche Erleben einer Landschaft Voraussetzung dafür sei, sie musikalisch repräsentieren zu können - Ma Shui-long war nie in Jiangnan gewesen.

Ma und Yan wurden sich schließlich mehr oder weniger einig darüber, dass es sich wohl eher um eine Jiufen-Erfahrung gehandelt habe: Jiufen, liegt rund zehn Kilometer entfernt von Mas Geburtsstadt Keelung.

Note

Das Konzert für Bambusflöte und Orchester kann (einstweilen) auf einem Podcast des taiwanischen Auslandssenders RTI nachgehört werden, ab 22' 40'' - Herunterladen mit Rechtsklick. Auch die vorangehenden Erläuterungen sind hörenswert.

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Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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