Medienarbeit: das Wort hat die Auto-Industrie

Reisezeit. Die chinesische Automobilindustrie wendet sich an die chinesische Öffentlichkeit: Parteikader sollen von internationalen Marken auf einheimische Dienstwagen umsteigen.

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Das Neujahrs- oder Frühlingsfest hat in China in etwa den Status, den die Weihnachtsfeiertage in Deutschland einnehmen. Es ist das Familienfest des Jahres. Dieses Jahr beginnt das Frühlingsfest am 10. Februar. Vor allem seit der Öffnung der chinesichen Wirtschaft, in deren Verlauf exportorientierte Unternehmen Produktionsstätten - überwiegend in den Küstenprovinzen - einrichteten, ist das Frühlingsfest Reisezeit. Lohn- und Wanderarbeiter und -arbeiterinnen wollen nach Hause. Häufig heißt das: in die fernen Binnenlandsprovinzen. Viele sind tagelang unterwegs.

Es ist eine Zeit, in der das Eisenbahnministerium in relative Unruhe versetzt wird, denn die Reisewelle ist der Belastungstest des Jahres für die Leistungsfähigkeit der Eisenbahn. Vor allem bei schlechten Wetterlagen, bei starkem Schneelfall oder bei Eisregen, kann es passieren, dass Reisende tagelang in Bahnhöfen "stranden". Die Auswirkungen solch widriger Wetterumstände reichten Ende Januar 2008 bis in Chinas südliche Provinz Guangdong. Allein im Bahnhof der Provinzhauptstadt Guangzhou warteten etwa 200000 Reisende auf Züge in ihre Heimatprovinzen. Und wenn die Nachfrage nach Fahrscheinen das Angebot übersteigt - das ist die Regel -, braucht es noch nicht einmal unbedingt schlechtes Wetter, um Reisewilligen einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Auch im Jahr 2008 hatten manche der Reisekandidaten ihre Familien seit mehreren Jahren nicht gesehen, und viele von ihnen dürften letztlich unverrichter Dinge an ihren Arbeitsorten geblieben sein. Das Verständnis für die technischen Probleme hielt sich in Grenzen. Die Partei schickte seinerzeit den Staatsratsvorsitzenden Wen Jiabao zu den Gestrandeten, wo er in seiner Rolle als Opa Wen Öl auf die Wellen der Empörung verteilte.

Wenn die Bahn in einer Saison wie dieser scheitert, müssen Mitarbeiter des zuständigen Ministeriums um ihre Posten bangen. Aber selbst wenn die Bahn funktioniert, reisen zumindest Wander- oder Lohnarbeiter und -arbeiterinnen unter Bedingungen, die ein europäischer Ausländer kaum zumutbar finden würde.

Bei aller Leidensfähigkeit chinesischer Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel: wenn die eigenen Lebensbedingungen bescheiden sind, fallen die Annehmlichkeiten, welche sich Parteikader überwiegend gönnen, der Bevölkerung umso unangenehmer auf. Und das ist eine gute Saison für die chinesische Automobilindustrie, ein nicht ganz neues Thema auf die mediale Tagesordnung zu setzen. Wenn es den Kadern schon besser geht, sollen sie sich wenigstens in relativer Bescheidenheit üben.

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Shanghai, ca. 2000: ein Auto gleicht nicht mehr dem anderen.

Die Pekinger Zeitung Beijing News greift das Anliegen auf:

Aufrufe aus der Autoindustrie, führende Provinzpolitiker sollten ein Beispiel geben und im Inland produzierte Autos benutzen, haben im vergangenen Monat an Fahrt gewonnen. Nachdem das Politbüro [in Peking] acht Regeln zur Verbesserung des Arbeitsstils veröffentlichte, gibt eine Provinz nach der anderen Durchführungsregularien heraus. Darunter sind die Parteikomitees und Provinzregierungen von Ningxia, Hunan, Gansu, Xinjiang, und anderen Provinzen: Provinzführer sollen, wenn sie ihre Dienstwagen wechseln, im Inland produzierte Wagen wählen. [...] Shanghai, Guangzhou und andere Regionen sind aktiv geworden und haben begonnen, Inlandautos als Dienstwagen zu verwenden.

Die kürzliche Nachricht, der Shenzhener Parteisekretär habe einen Elektrowagen der BYD Auto Co., Ltd. verwendet, um zum Volkskongress und zur örtlichen politischen Konsultativkonferenz Shenzhens zu gelangen, zog kürzlich viel Aufmerksamkeit auf sich. Dem folgte eine Bestimmung beim Nationalen Volkskongress und der Politischen Konsultativkonferenz der Provinz Guangdong, dass nur die Marke Chuanqi der Guangqi Honda Automobile Co. Ltd. zu diesen Konferenzen zugelassen sei.

Diese sich immer weiter verbreitenden Verwendung von Inlandsmarken durch Partei und Staat sei zu einer Welle des neuen Stils geworden. Wu Song, General Manager der Guangqi Honda Automobile Co. Ltd., sagte, dass dieser Faktor dazu führe, dass die Verkaufszahlen für Chuanqis auf dem KFZ-Markt Guangdongs sehr schnell anstiegen. Vertreter der Automobilindustrie sagen, dass mit den Vorschriften des Politbüros zur Verbesserung des Arbeitsstils und den acht Regeln zur engen Verbindung mit den Massen, die Wahl von inlandsproduzierten Autos zu einem Trend werde. Ferner würden möglicherweise noch strengere und restriktivere Maßnahmen getroffen, welche die führenden Politiker dazu verpflichten würden, beispielhaft inlandsproduzierte Fahrzeuge zu verwenden.

Nach den Beispielen aus Guangdong geht der Artikel auf weitere Dienstwagenwechsel in weiteren Provinzen ein.

Die "Bewegung" aus der obersten Parteiriege in Peking und ihre regionale Umsetzungen stießen aber auch auf Widerstände, zitiert Beijing News den Vize-Generalsekretär der China Automobile Dealers Association, Luo Lei. Und laut weiteren Branchenvertretern, so Beijing News, gebe es auch Druck aus multinationalen amerikanischen und europäischen Konzernen sowie von der amerikanischen und von europäischen Regierungen. Die European Chamber of Commerce prüfe die chinesischen Dienstwagenverordnungen gerade und könnte die europäischen Regierungen am Ende zu Gegenmaßnahmen auffordern. Dabei, so Beijing News, verbiete die Welthandelsorganisation WTO die Dienstwagenregelungen keineswegs, und zitiert dazu einen Wissenschaftler der Beijing Normal University mit Details aus dem WTO-Abkommen.

Beijing News diskutiert die Relation zwischen der Verwendung von bestimmten Automobilmarken durch Parteikader und ihrem generellen Markteinfluss recht unbefangen. Die Zeitung lässt dabei auch die Top-Kader und ihre Vorliebe für Audis nicht aus. Der Anteil des Audi A6L an den Dienstwagenankäufen habe 2011 etwa 20 Prozent betragen. Zu Beginn des Neuen China [also ab 1949] waren die meisten Dienstwagen im Inland produziert. Die Auswahl sei [ohnehin] begrenzt gewesen auf Marken wie Rote Fahne und Shanghai Brand usw., aber die Qualität habe seinerzeit viele Probleme aufgeworfen. Mit der Reform und Öffnung habe China Marktprinzipien für den technologischen Wandel erstellt und den Automobilmarkt zunehmend für internationale Angebote geöffnet.

Bei den First Automotive Works [im nordostchinesischen Changchun] wurden Audis, Crowns und Jettas produziert; in Shanghai der Santana und andere joint-venture-basierte Fahrzeuge, und ihr Anteil an den öffentlichen Dienstwagen nahm stetig zu.

Aber ab 2009 ermutigte ein Plandokument des Staatsrates die Entwicklung von inlandsproduzierten Autos, so Beijing News.

Spätestens ab hier wird mit der Wahl statistischer Beispiele auch klar, dass joint-venture-produzierte Marken in dem Sinne nicht (mehr ohne weiteres) als inlandsproduzierte Fahrzeuge gelten.

Öffentlich verfügbaren Zahlen zufolge machten vor 2010 die Käufe joint-venture-produzierter Dienstwagen nahezu 90 Prozent am Gesamteinkauf aus, so Beijing News, und von Januar bis Juni 2011 lag dann der Anteil der inlandsproduzierten Fahrzeuge immer noch bei lediglich 20 Prozent. Qualitätsprobleme spielten dabei immer noch eine große Rolle. Aber der Vizepräsident der Great Wall Motor Company, Shang Yugui, moniert lt. dem Artikel auch Image- und "Gesichtsfaktoren" unter den potenziellen offiziellen Käufern.

Auch die kommerzielle "Blogosphäre" kommt zu Wort: man müsse sich doch nur ansehen, wie das mit den Dienstwagen in Amerika, Japan, Deutschland oder Südkorea gehandhabt werde, zitiert Beijing News einen "Blogeintrag" Dong Yangs, des stellvertretenden executive chairman der China Association of Automobile Manufacturers. Um Chinas Automarken zu stärken, benötige man die Unterstützung aller Sektoren der Gesellschaft, so Dong Yang, und das heiße nicht zuletzt der Dienstwagenbeschaffer.

Tatsächlich, so Beijing News, sei der Ankauf von heimischen Dienstfahrzeugen in den letzten zwei bis drei Jahren durchaus gestiegen, aber bei der Produktqualität sei nur wenig Fortschritt zu verzeichnen gewesen. Der Trend sei also erkennbar, aber zuviel Hast dabei schade nur.

Ein Sonderreporter des Central People's Broadcasting Station sieht es ähnlich: die Qualität der politischen Arbeit hänge auch von der Qualität ihrer Arbeitsmittel ab.

Politisch spannender aber bleibt in den nächsten Tagen, welche Qualität das Eisenbahnministerium den laobaixing, den "einfachen Leuten", bieten kann, die sich auf die Reise von ihren Arbeitsorten in ihre Heimatprovinzen machen, um dort das Frühjahrsfest zu feiern.

Das Eisenbahnministerium hat dem Handelsblatt zufolge den Ausbau tausender Bahnkilometer mit Anleihen finanziert, die zu einer Verschuldung der Bahn geführt hätten - in einem Ausmaß, das volkswirtschaftlich relevant sein könnte.

Unbestreitbar ist die chinesische Bahn "systemrelevant". Und: angesichts der Ausbaukosten würden die Tickets [...] aus sozialen Gründen viel zu billig verkauft, zitierte das Handelsblatt im September vorigen Jahres einen beteiligten Ingenieur.

Zwischen Gesetzen und Erlassen, öffentlicher Meinung, Industrie und Handel, und den Medien bestehen Wechselwirkungen. Diesen Wechselwirkungen möchte ich schrittweise und beitragsweise auf die Spur kommen, Was eignet sich besser dazu, als über die eigene Gesellschaft etwas hinauszugucken?

Zugegeben: die mediale Lenkung unterliegt in China anderen Einflüssen als in Deutschland. Aber gleichzeitig erlaubt diese Perspektive vielleicht auch das eine oder andere "Wiedererkennen".

Völlig selbsterklärend wird dieser Beitrag nicht sein, auch nicht mit den eingefügten Links. Er ist ein erster Versuch.

Links innerhalb der Zitate (fett hervorgehobene Blockquotes) wurden während der Übersetzung eingefügt.



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