Wer seine Zeitgenossen - oder auch nur eine ausgewählte Schar davon - auf hundertachtzig bringen will, der erzählt ihnen am besten, was sie endlich, endlich, endlich tun müssen, wenn sie sich nicht mitschuldig machen wollen. Rettung naht, wenn du dich einer kollektiven Wut anschließt - hashtag #metoo.
Derzeit ist Harvey Weinstein unter Verdacht. Wird er angeklagt, müssen die Gerichte urteilen. Bis die zu Ergebnissen gekommen sind, ist die derzeitige Hashtagaktion allerdings längst vorbei.
Denn der Hashtag soll ja über Weinstein hinausweisen. Das kann aber nur funktionieren, wenn man Weinsteins Schuld schon einmal voraussetzt. Und darum sollte man zumindest ein paar Minuten denken und fühlen, bevor man sich einem solchen Hashtag anschließt. Denn bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt juristisch die Unschuldsvermutung, und wenn man die Beteiligten nicht persönlich kennt oder gar involviert ist, ist die eigene Einschätzung von Schuld und Unschuld im konkreten Fall zu nichts gut.
Den Nutzen der Überlegung sollte man sich aber auch dann gönnen, wenn man wütend über #metoo wird. Dabei geht es mir nicht um die Frage, worüber man wütend werden dürfe, oder worüber nicht. Auch darüber, ob man über #metoo wütend sein darf, oder ob man mit dieser Wut nur den Überbringer der bösen Botschaft zu verdrängen versucht, wird schon genug gestritten.
Checkpoint #1
Halte ich Übergriffe oder Gewalt gegen Frauen lediglich für einen Nebenwiderspruch, dem zuviel Bedeutung beigemessen wird, weil doch diese Übergriffe nur die logischen Nebenerscheinungen eines generell gewalttätigen Systems sind?
- Wenn Nein - wenn ich dieses Gewaltproblem nicht als eins von vielen abtue -, kann ich #1 wohl abhaken.
- Wenn ja: sind dann nicht Hashtags wie #metoo auch nur Nebenwidersprüche eines generell gewalttätigen Systems, an denen ich achselzuckend vorbeigehen und mich weiterhin der Bekämpfung des Hauptwiderspruchs (gewalttätiges kapitalistisches Schweinesystem) widmen kann? Wozu dann die Wut?
Weitere Checkpoints folgen, wenn sie mir einfallen.
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Gerade in einem der derzeit auf der Plattform verbreiteten Wackelfenster versehentlich den Beitrag gelöscht - eigentlich wollte ich auf die nachstehenden Kommentare antworten. Zum Glück war noch ein zweites Fenster mit dem kompletten Beitrag geöffnet.
Zwei Kommentare wurden gepostet:
/autoren/poor-on-ruhr/@@images/c6bdde06-b558-4781-be91-9786bcfc4294.jpeg
@JR'S CHINA BLOG
Ich habe es nicht ganz verstanden. Habe mich in Sachen Weinstein aber noch nicht ein gelesen. Erfordert wohl Vorkenntnisse. Finde aber generell alles was Du schreibst Vernuenftig, auch wenn die Meinungen manchmal nicht genau deckungsgleich sind.
/autoren/magda/@@images/c738ca86-5c46-4b32-9fca-60badb04352a.jpeg
https://www.freitag.de/autoren/magda/@@images/c738ca86-5c46-4b32-9fca-60badb04352a.jpeg
Vielleicht sollte man - wenn man schon juristisch so "sauber" argumentieren will - feststellen, dass Weinstein unter äußerst "begründetem" Verdacht steht. Selbst, wenn es ihm gelingt, die Vorwürfe juristisch auszuräumen, ist Weinstein der Protagonist eines Systems, das solche Übergriffe beinahe schon normal erscheinen lässt. Dass ein Hashtag wieder verschwindet ist auch normal.
Iris Radisch von der Zeit hat sich zu dem Thema auch nochmal geäußert. Kann ich nur empfehlen.
http://www.zeit.de/2017/43/sexismus-medien-hollywood-harvey-weinstein
Es gibt einen sehr guten und sehr bekannten deutschen Serienfilmer, über den ähnliches bekannt ist, wie bei Weinstein. Ich werde mich hüten, den Namen zu nennen, obwohl in einer Doku vor vielen Jahren schon mal das darüber berichtet worden ist.
Was passiert eigentlich, wenn er sich juristisch mit guten Anwälten und allerlei intensiver Arbeit hinter den Kulissen aus der Sache windet? Es bleibt alles das bestehen, was ihm zum Vorwurf gemacht wird. Da kommt er nicht mehr raus. Und das ist auch gut so. Denn - es geht in der Tat um mehr als um Weinstein, der - aus welchen Gründen auch immer -jetzt unter Beschuss geraten ist. Er hat nicht nur Frauen, sondern auch seine Macht missbraucht und das sollte - nicht nur juristisch - thematisiert werden.
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