Der Name sagt's: gemeint ist kein deutscher Tennis-Veteran, sondern Kim Jong-un. Aber wenn es um Nordkorea geht, muss eben auch für einen Spiegel-Titel das Niveau einer auflagenstarken Boulevardzeitung reichen.
Und das reicht der Leserschaft ja anscheinend auch. Nordkorea in der deutschen Presse ist ein Bühnenstück: bizarr, irrsinnig, und schon im Februar 2012 galt - laut Spiegel: der Wahnsinn geht weiter. Gott sei Dank. Sogar Menschen mit formaler Hochschulreife "diskutieren" das Thema auf diesem Level.
Denn wer interessiert sich schon für Erfolgsgeschichten? Südkorea, Taiwan, oder Singapur, zum Beispiel? Oder - immerhin eine materielle Erfolgsgeschichte - China? Solchen Stories nähert man sich zwar mit mehr Respekt als dem Kim-Staat, kann aber als Journalist offenbar ebenfalls kaum umhin, auch diese immer wieder mit etwas Ironie zu verbrämen. Das schafft Distanz, und die ist dringend nötig. Denn technisch oder wirtschaftlich "überholen" dürften "die" uns ja eigentlich gar nicht. Eigentlich sind die ja alle kim, also eine latente gelbe Gefahr. Wenn sie nur nicht so gut fürs Business wären.
Geschäftliche Bedenken kann man im Fall Nordkoreas bedenkenlos beiseite wischen - und fertig ist das Schreckgespenst.
Gelegentlich kolportiert werden die dynastischen Narrative Nordkoreas. Insbesondere das Kimsche Weihnachtsevangelium wird immer wieder gerne genommen: wie Kim Jong-il, Sohn des nordkoreanischen Staatsgründers und Vater Kim Jong-uns, 1942 angeblich in einem geheimen Militärlager auf dem Baekdu-Berg (im japanisch besetzten Gebiet) geboren wurde, wie ein doppelter Regenbogen seine Geburt ankündigte, und ein neuer Stern am Himmel erschien. Jong-ils Vater Kim Il-sung soll fromme protestantische Eltern gehabt haben - eine wunderschöne Pointe. (Und noch dazu eine, bei der sich der Leser auskennt.)
Die nordkoreanischen Narrative sind unbestreitbar äußerst selbstgenügsam. Sie werden permanent wiederholt, als erzähle die Führung dem Volk damit noch etwas neues. Das Problem ist nur: die deutsche Presse ist nicht weniger selbstgenügsam, wenn es um den angehenden Atomstaat geht. Das Land wird in der "freien Presse" präsentiert wie eine Dame mit Bart (oder Bombe), oder ohne Unterleib, oder als Geisterbahn. Ostasien at its worst, zur Befriedigung mittelalterlicher Sensationslust in Mitteleuropa.
Aber der Unterschied zwischen einem anständigen Zirkus einerseits und weiten Teilen der Presse anderseits liegt darin, dass das, was schwarz auf weiß berichtet wird, tendenziell nicht als Illusion aufgefasst, sondern für real gehalten wird. Dass es für den nordkoreanischen "Irrsinn" möglicherweise Motive gibt, die auch von europäischen Staatsführern für "rational" gehalten würden, wenn sie nicht gerade die Kim-Dynastie antrieben, wird üblicherweise nicht einmal in Betracht gezogen: das Ziel einer unabhängigeren Position sowohl von Amerika als auch China, zum Beispiel. Unter diesem Vorzeichen liegt es für Pyongyang durchaus nahe, beide Großmächte gleichzeitig zu "verärgern".
Nicht zu reden vom Nationalismus als Mittel zum Machterhalt für eine korrupte, verbrecherische nordkoreanische "Elite". Auf dem Auge wiederum sind viele "Linke" blind.
Nationalismus legitimiert viele Regime, nicht nur das nordkoreanische. Desinformation und Einschüchterung stabilisiert viele Regime, nicht nur das nordkoreanische. Aber wen interessieren schon die Hungertoten oder die Straflager? So lange Amerika an einem Konflikt beteiligt ist, knipst sein Schatten den meisten "Linken" das Licht aus. Der Rest des Schauplatzes bleibt unbesichtigt.
Als Palästinenser und Araber fühlte sich Edward Said im vorigen Jahrhundert ins Klischee gepresst. Es sei die Wahrnehmung des Westens gewesen, der Rechtfertigungen für die Kolonialpolitik westlicher Staaten geliefert habe, und es sei den arabischen Eliten anzulasten, dass sie sich die Sichtweisen westlicher Orientalisten zu Eigen gemacht hätten.
Man muss nicht rechts oder mainstream sein, um sich für derartige Kritik angreifbar zu machen - man kann dabei auch sehr links sein. (Und fast selbstredend wurde seinerzeit umgekehrt Said vorgeworfen, er habe den ganzen Okzident über einen Leisten geschlagen.)
Frank Welsh, gelernter (nicht hauptberuflicher) Historiker und Archiv-Besucher, stellte in A History of Hong Kong (1993) den Wissensstand des chinesischen Beamten Lin Zexu (Lin Tse-hsü) - dem Anti-Opium-Agenten des chinesischen Kaisers - wie folgt dar:
Die Briten, glaubte er, seien außerstande, ohne regelmäßige Zufuhr von Rhabarber und Tee zu existieren: 'Wenn China diese Vergünstigungen mitleidlos für diejenigen kappt, die darunter leiden, wie können die Barbaren sich am Leben erhalten?' Es gebe, so glaubte er, keine echte Möglichkeit eines Konfliktes - wie sollten die Barbaren hoffen, die Macht der Himmelsdynastie herauszufordern? Ihre Truppen konnten niemals an Land kämpfen, da ihre Beine zu gebunden waren, als dass sie hätten boxen oder ringen können. Ihre Schiffe mochten groß sein, aber hilflos in flachen Gewässern. Vor allem aber war Lin überzeugt davon, dass Großbritannien als Bittsteller nach China komme, so wie alle Barbaren [...]*)
Hat jetzt jemand gelacht? Vielleicht lohnt es sich statt dessen mal zu fragen, was wir eigentlich heute über Nordkorea wissen. Lins Theorien - wenn er sie denn hatte - entwickelten sich in den 1830er Jahren.
In jenem Jahrzehnt steckte die Telegraphie noch in ihren Kinderschuhen. Technisch zumindest sind wir bei der Informationsübermittlung mittlerweile weiter.
*) Frank Welsh: A History of Hong Kong, London, 1993.
Auch der rationale Zeitungsleser braucht ab und zu eine Gruselgeschichte. Je fremder, desto besser..
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Voice of Korea, 08.03.2013
Kommentare 15
Danke für den tollen Text. Scvhade, dass unsere großen Medien nicht so wie Sie sachlich und qualitativ hochwertig berichten.
Das kommt mir immer so vor, dass da ein wahnsinniger Irrer aufgezeigt werden soll, obwohl die meisen Menschen hier keine Ahnung von dem Land haben. Bei Saddam , der sicher ein gefährlich Mensch war, wurde trotzdem sehr viel dazu gelogen um jegliche Gewalt der USA zu rechtfertigen. Damit wollte ich aber nicht als Fan von Kim Jon-un outen. :O) Das Ganze ist schon brandgefährlich.
Bei Schvade, in 13:38 war das v zuviel. Es soll Schade heissen.
Ich wollte noch schreiben, dass diese mediale Konstruktion von Hassfiguren, der sie so informativ aufklärerisch entgegenwirken, auch immer das Denken der Menschen verhindern soll.
Damit wollte ich aber nicht als Fan von Kim Jon-un outen. :O) Das Ganze ist schon brandgefährlich.
Noch zu Ihrem vorigen Kommentar: um Unterstützung für Tyrannen geht es mir sicherlich auch nicht - und es gäbe selbst dann, wenn Amerika und China keine Eigeninteressen verfolgten und einander nicht misstrauten - keinen Königsweg zur Entschärfung der Situation, Nordkorea selbst ist eben auch ein Konfliktbeteiligter, und zwar einer, den man "für voll nehmen" sollte. Daran fehlt es mir in der Berichterstattung häufig.
Insofern stimme ich zum Beispiel auch nicht mit Herdens Satz überein, die südkoreanische Präsidentin Park Geun Hye habe mit einem martialischen Statement nicht eben glücklich agiert. Hier greift schlichtweg die Logik der Abschreckung. Über ihren Wert kann man generell streiten, aber Beschwichtigungen aus Seoul hätten Nordkorea durchaus zu Provokationen ermutigen können. Grenzüberschreitungen hat es in den letzten Jahren ja einige gegeben. Und auch darauf stünde dann Südkorea wieder vor der Frage: freundlich summen oder mal kurz einen Kommandoton anschlagen? Oder gar zurückschießen?
Dann vielleicht doch besser von vornherein eine spaßfreie verbale Botschaft.
Bedenkenswert. Das mit dem Spiegel-Titel sehe ich auch nicht anders.
Nur eine Frage habe ich: Muss jeder, der das westliche Theater in Sachen Nordkorea, dieses "nützliche Schreckgespenst", ja auch diesen westlichen Irrsinn, weil realitätsfern, kritisiert, immer dazu erklären, dass er natürlich auch Einschüchterung, Desinformation, Propaganda, Straflage und Hunger in Nordkorea kritikwürdig findet, soweit es bedingt ist durch das Handeln der in Nordkorea Mächtigen und Entscheidenden? Muss für alles, was es in diesem Land an Problemen gibt, immer auch bzw. nur die nordkoreanische Führung verantwortlich gemacht werden, damit die Kritik an der westlichen Politik gegenüber diesem Land gehört oder vielleicht akzeptiert wird? Sind immer erst diese Gessler-Hüte zu grüßen? Ich habe damit u.a. das Problem, dass ich zwar relativ gut einschätzen kann, was die westlichen Motive, Interessen, Beweggründe und Ziele auch in Asien sind und sein könnten, was auch immer wieder durch verschiedene Quellen und Autoren gewissermaßen ungefragt bestätigt wird, aber eben aufgrund zu geringer Kenntnisse über die tatsächlichen Verhältnisse in Nordkorea mir kein annähernd abschießendes Urteil darüber erlauben kann und will und deshalb auch keine schnellen Verurteilungen aufgrund solcher Ereignisse wie der Hungersnöte vornehme, während mir solche Urteile wie "korrupte, verbrecherische nordkoreanische 'Elite'"eben immer wieder als etwas zu vereinfachend und genau in die Dämonenstrategie des Westens in bezug auf die "Schurkenstaaten" passend vorkommen. Gut, wenn alle "Eliten" aller Länder per se als korrupt und verbrecherisch zu bewerten sind, wenn sie das auch realiter sind, dann habe ich da keinen Widerspruch, nicht mal den Funken eines Zweifels.
Aber vielleicht habe ich nur ein Problem mit den Aussagen "So lange Amerika an einem Konflikt beteiligt ist, knipst sein Schatten den meisten 'Linken' das Licht aus. Der Rest des Schauplatzes bleibt unbesichtigt." Vielleicht fühlte ich mich da ungerechtfertigt angesprochen. Vielleicht verstehe ich das nur wieder mal falsch. Das kann am Autor liegen oder an mir als Leser.
Da fällt mir noch eine theoretische Frage ein: Wer würde sich für Nordkorea interessieren, wenn die USA sich nicht seit Jahrzehnten für die Region interessierten und dort tun würden, was sie da tun usw usf, wenn alles anders wäre, ... Was mich wieder zu der Erkenntnis führt: Das Eine ist wie meist mit dem anderen verbunden, in verschiedenster Hinsicht.
Muss für alles, was es in diesem Land an Problemen gibt, immer auch bzw. nur die nordkoreanische Führung verantwortlich gemacht werden, damit die Kritik an der westlichen Politik gegenüber diesem Land gehört oder vielleicht akzeptiert wird?
Aus meiner Sicht: ja. Nicht, weil dann vielleicht meine Kritik eher akzeptiert wird, sondern weil die Gessler-Hüte tatsächlich von manchen Seiten gerne ignoriert werden.
Wenn ich die Menschenrechte eines Nordkoreaners nicht so ernst nehme wie die eines Europäers, gibt es keine Grundlage, auf der ich meine Rechte oder die mir nahestehender Menschen glaubwürdig einfordern oder verteidigen kann.
Und natürlich ist eins mit dem anderen verbunden. Aber das stärkste Verbindungsglied ist die Verantwortung einer staatlichen Regierung oder "Elite" gegenüber der Bevölkerung. Wenn die nicht funktioniert, funktioniert der Rest - also die Außenbeziehungen - dauerhaft auch nicht.
Übrigens: wäre nicht Amerika "das Problem", wäre es Japan. Entschuldigungen für einen Nationalismus, der innere Defekte übertünchen oder -riechen soll, gibt es immer.
Allerdings hatte ich Ihren Beitrag bei diesem gar nicht im Blick - da gönnte ich mir gerade eine Pause, weil mich die Art, wie über eine neue Bloggerin hergefallen wurde, ziemlich angewidert hat - sie hatte die Nerven gehabt, einige positive Anmerkungen zum amtierenden Papst zu machen - dafür wurde dann im Internet nach ihrer Identität geforscht.
Sie beklagen - m. E. zu Recht - eine zunehmende Vorliebe für autoritäre (oder elitäre) Konzepte in der politischen und wirtschaftlichen Klasse. Wenn wir da eine Differenz haben, dann vor allem die, dass die dazugehörigen Schmuckblatt-Telegramme (Daniel Bell usw.) aus meiner Sicht überschätzt werden. Sie sind nur der ideologische Klunker zu sehr viel materielleren Interessen.
Und - wie gesagt - wenn man sich dagegen wendet, Arbeitslager und komplettes Regierungsversagen ohne Rechenschaftspflicht aber zum "Gesslerschen Hut" erklärt, finde ich das nicht glaubwürdig. Dass Menschenrechte nicht teilbar sind, mag man zum unverbindlichen Dogma erklären - aber dann sind auch die MR ein unverbindliches Dogma.
Lieber JR's China,
.. unter Vorbehalt im Blick auf Seriösität .. aber ein Tip von einer Freundin aus Deutschland ..
gute Unterhaltung ..;-)
http://www.youtube.com/watch?v=FQZH2qF5WaE
;-) .. http://www.youtube.com/watch?v=VjcpRHuPjOI ..;-)
Guten Abend
AD
Und ich muss zugeben, dass ich mich nach zwei Wochen dauersäbelrasseln schon mehrmals dabei ertappt habe zu wünschen dass es endlich losgeht.
Damit würde der nächste Akt der Aufführung immer noch nicht kürzer, und wir - das Publikum - würden immer noch nicht nach Hause entlassen. ;-)
Es würde nur - wie Sie ja selbst sagen - zu zusätzlichem Elend führen.
Aber einen Vorteil hat das Internet: man muss sich nicht jeden Scheiß reinziehen, sondern kann sich Quellen seiner Wahl suchen. Empfehlenswert finde ich z. B. Sino-NK. Übelst akademisch, braucht außerdem oft lange, um zum eigentlichen Punkt zu kommen, und in den Kontext muss man sich reinlesen oder Sachbücher bemühen.
Aber es lohnt sich. Leider sind solche Quellen meistens auf Englisch, und das macht das Einlesen nicht einfacher. Das sagt aber wohl auch einiges über die Beschränktheit "unserer" Medienlandschaft aus. Manchmal vermisse ich den deutschen Dienst der BBC.
Habe Nordkoreaner Computer und Internet?
Die Oberklasse hat so ziemlich alles, was zu einem solchen Stand dazugehört. Ganz sicher Handys, und in manchen Fällen auch Internetzugang. Die Oberklasse ist wohl auch in etwa der Teil der nordkoreanischen Bevölkerung, der ein ausländischer Besucher ausführlicher begegnet, wenn er dorthin reist. Es gibt eine Fernseh-Doku von Diego Bunuel, die das Leben dieser Gesellschaftsschicht zwar alles andere als tendenzfrei abbildet - aber im Grunde ist das auch allemal besser als die ständige "geostrategische" Betrachtungsweise.
Dass in Nordkorea Menschen an Hunger starben oder sterben, wird gelegentlich auch im chinesischen Internet geschrieben - allerdings vor allem in informellen Foren, deren Glaubwürdigkeit kaum zu überprüfen ist. Wenn in der chinesisch-nordkoreanischen Grenzregion viele Lebensmitteltransporte unterwegs sind, gilt das zumindest als Indiz - und ebenfalls in der Grenzregion leben viele Angehörige der koreanischen Minderheit in China, die vielfach auch Verwandtschaft in Nordkorea haben und versuchen, diese zu unterstützen. Es gibt anscheinend auch chinesische Geschäftsreisende, die zu helfen versuchen (und vorher dafür noch die nordkoreanischen Beamten bestechen müssen).
Als ich vor rund drei Jahren einen Chinesen danach fragte, der dort gewesen war, meinte er nur, es sei "schlimm", und er wolle lieber nicht davon anfangen. Es ist nach meinem Eindruck in erster Linie die Unfähigkeit der nordkoreanischen Führung, auch nur für die grundlegenden Existenzgrundlagen der Bevölkerung zu sorgen, die auch Chinesen oder andere Nachbarn des Landes schockiert und abstößt. Auch viele Chinesen, die älter als fünfzig Jahre alt sind, erinnern sich ja daran, wie Hunger sich anfühlt.
Solche Motive scheinen mir nicht deckungsgleich mit den europäischen zu sein, und sie sind anscheinend recht verbreitet.
Hm, da ich immer zuerst davon ausgehe, dass ich was falsch verstehe, ein paar Fragen zum besseren Verständnis, um meinen potenziellen Irrtum zu korrigieren:
Darf also, wer Nordkoreas Führung nicht kritisiert, die Politik der USA gegenüber diesem Land nicht kritisieren?
Ist Japan als „Sündenbock“ nicht prädestiniert angesichts seiner unrühmlichen Rolle in der koreanischen Geschichte über rund 40 Jahre, die das Vorspiel für die Teilung und den Korea-Krieg und manches Folgeproblem mitverursachte? Warum geben andere auch immer noch Anlass für nützlichen Sündenbock-Nationalismus? Ist das in anderen Nationen anders, gibt es da so etwas gar nicht (mehr)?
Der Nationalismus Nordkoreas ist besonders schlimm und der der USA z.B. als Antipode in dem Konflikt, mit dem in Gestalt der "nationalen Sicherheit" noch jeder direkte oder schmutzige indirekte in den fernsten Weltgegenden begründet wird und mit dem genauso bei Bedarf und überhaupt von inneren Problemen abgelenkt wird, ist weniger schlimm?
An welcher Stelle habe ich „Arbeitslager und komplettes Regierungsversagen ohne Rechenschaftspflicht“ als Gesslerschen Hut bezeichnet?
Woher wissen Sie, dass die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Nordkoreas mit allen dramatischen Folgen wie den Hungersnöten nur durch „komplettes Regierungsversagen ohne Rechenschaftspflicht“ bedingt sind? Haben Sie Informationen, dass in Nordkorea vielleicht eine Führung an der Macht ist ähnlich der Pol Pot-Clique einst in Kampuchea, die ihr eigenes Volk vernichtete, was nicht durch westliche Menschenrechtskrieger, sondern die kommunistische vietnamesische Armee mit entscheidend beendet wurde?
Wer sollte Nordkorea auf den „rechten Weg“ führen?
Haben Sie Informationen, dass es den USA bei dem Drohtheater gegen Nordkorea tatsächlich um die Menschenrechte der Nordkoreaner geht? Sollte deshalb die US-Politik nicht kritisiert werden, weil sie vielleicht wenigstens indirekt den Nordkoreanern hilft und ihre Situation verbessert, wozu die eigene Regierung nicht in der Lage ist? Wer setzt sich in dem Theater um Nordkorea für die Menschrechte der nordkoreanischen Bürger ein? Und wer stellt diese Rechte in Frage? Tut er das, wenn er die US-Politik kritisiert?
Was hat das alles mit der US-Politik im Pazifik zu tun, die Nordkorea als willkommenen Anlass nutzt und braucht eben für ihre Strategie, den pazifischen Raum zum Großübungsplatz des US-Militärs zu machen zur Sicherung ganz handfester nationalistischer Interessen (wobei der Nationalismus auch wieder nur die Camouflage für noch handfestere Materielle Interessen ist)?
Das sind so ein paar Fragen, die mir durch Ihre Antwort auf meinen Kommentar kamen. Ich bin mir ehrlich gesagt noch nicht sicher, wie ich Ihre Antwort verstehen und werten soll. Vielleicht verstehe ich sie ja nicht richtig, weil ich auf einem Auge "blind" bin ...
Ach, und weil sie so passend sind, solch Texte von "Blinden", hier drei davon zum Thema:
"How Obama is Creating a Crisis on the Korean Peninsula - What’s Annoying the North Koreans?" fragt Gregory Elich bei Counterpunch
"'We learned the lesson in Yugoslavia, Iraq, Afghanistan: be strong.' - What North Koreans Think" beschreibt Stansfield Smith bei Counterpunch
"The United States vs. North Korea" ist Thema von Christopher Brauchli bei Common Dreams
Darf also, wer Nordkoreas Führung nicht kritisiert, die Politik der USA gegenüber diesem Land nicht kritisieren?
Ich gehe erstmal davon aus, Sie meinen die Frage rhetorisch, Herr Springstein. Es steht jedem frei, seine Kritik so anzubringen, wie er das für richtig hält - und es steht jedem frei, solcher Kritik zu widersprechen, also seinerseits Kritik zu üben.
Ist Japan als „Sündenbock“ nicht prädestiniert angesichts seiner unrühmlichen Rolle in der koreanischen Geschichte über rund 40 Jahre, ...
Rechnen Sie lieber in Jahrhunderten, Herr Springstein. Vor der Frage, wie sie sich zu China verhalten sollen, stehen die Koreaner mindestens seit dem 13. Jahrhundert (wenn man die damaligen Reiche auf der Halbinsel als koreanisch betrachten will), und zwischen China und Japan standen die Koreaner spätestens seit Ende des 16. Jahrhunderts.
Warum geben andere auch immer noch Anlass für nützlichen Sündenbock-Nationalismus? Ist das in anderen Nationen anders, gibt es da so etwas gar nicht (mehr)?
Ich würde sagen, diese Art Nationalismus gibt es so gut wie überall, aber in ganz unterschiedlicher Intensität und in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Spezifischer kann ich Ihre Frage nur beantworten, wenn ich sie spezifischer verstehe.
Zu Absatz 4 Ihres Kommentars: ich halte die amerikanische Politik nicht für auffallend schmutziger als die anderer Länder - sie reicht bisher allerdings weiter als die anderer Länder.
An welcher Stelle habe ich „Arbeitslager und komplettes Regierungsversagen ohne Rechenschaftspflicht“ als Gesslerschen Hut bezeichnet?
Sie schrieben zuvor:
Muss für alles, was es in diesem Land an Problemen gibt, immer auch bzw. nur die nordkoreanische Führung verantwortlich gemacht werden, damit die Kritik an der westlichen Politik gegenüber diesem Land gehört oder vielleicht akzeptiert wird? Sind immer erst diese Gessler-Hüte zu grüßen?
Meine Antwort war: aus meiner Sicht: ja. Und ich füge hinzu: wer an diesen "Gesslerschen Hut" grußlos vorbeigeht, übersieht, dass es für die äußeren Konflikte Nordkoreas durchaus innere Ursachen gibt. Ein Mindestmaß an Respekt für die Rechte der eigenen Bürgerinnen und Bürger ist eben auch eine praktische Angelegenheit.
Haben Sie Informationen, dass in Nordkorea vielleicht eine Führung an der Macht ist ähnlich der Pol Pot-Clique einst in Kampuchea, die ihr eigenes Volk vernichtete, was nicht durch westliche Menschenrechtskrieger, sondern die kommunistische vietnamesische Armee mit entscheidend beendet wurde?
Nein, habe ich nicht. Habe ich das an einer Stelle behauptet?
Wer sollte Nordkorea auf den „rechten Weg“ führen?
Das können nur die Nordkoreaner selbst - bzw., sie werden es auf absehbare Zeit nicht können.
Haben Sie Informationen, dass es den USA bei dem Drohtheater gegen Nordkorea tatsächlich um die Menschenrechte der Nordkoreaner geht?
Klar - haufenweise. Solche Informationen liefern sowohl US-Regierungsagenturen als auch (gefühlt) jede zweite Menschenrechtsorganisation in den USA. Das heißt allerdings nicht, dass diese Informationen für mich glaubwürdig wären. In den internationalen Beziehungen geht es nur sehr selten hauptsächlich um Menschenrechte - und wenn das einmal der Fall ist, hält sich die Bereitschaft zum Engagement dafür in Grenzen.
Ich meine, bis auf Ihre letzte Frage müsste ich Ihre Fragen aus dem achten Absatz damit beantwortet haben. Zu Ihrer letzten Frage dort - Und wer stellt [die Menschenrechte der nordkoreanischen Bürger] in Frage? Tut er das, wenn er die US-Politik kritisiert?:
Nein. Damit stellt er keine Menschenrechte in Frage. Das tut er meines Erachtens dann, wenn er sie marginalisiert und glaubt, sie ließen sich aus der Betrachtung des äußeren Konflikts lösen. Vorenthaltene Rechte bedeuten, profan gesagt, die Vorenthaltung fundamentaler Bedürfnisse, und daraus ergeben sich innere Konflikte, die allenfalls sehr schwer zu steuern sind - und die ein Land durchaus auch verwundbar machen. An dem Punkt ist es dann allerdings Zeit, zwischen einer Führung und den Geführten - und ihren jeweiligen Interessen - zu differenzieren.
Was hat das alles mit der US-Politik im Pazifik zu tun, die Nordkorea als willkommenen Anlass nutzt und braucht eben für ihre Strategie, den pazifischen Raum zum Großübungsplatz des US-Militärs zu machen zur Sicherung ganz handfester nationalistischer Interessen (wobei der Nationalismus auch wieder nur die Camouflage für noch handfestere Materielle Interessen ist)?
Das ist Ihre Lesart, Herr Springstein. Ich finde, es gibt mindestens benso gute Gründe zu vermuten, dass Washington mit einer "denuklearisierten" koreanischen Halbinsel besser klarkäme, weil ihre Verbündeten bei einem Andauern des nordkoreanischen Rüstungsprogramms schwer davon abzuhalten wären, sich ihrerseits nuklear zu bewaffnen. Allerdings nutzt die US-Politik die Situation, in der sie sich mit China zu arrangieren hat, soweit wie möglich zu ihren Gunsten (und zu Chinas Lasten) - wobei ich jetzt allerdings die Behauptung anderer übernehme, das liege im amerikanischen Interesse. Ebenso gut ließe sich argumentieren, ein Großteil der für die internationale militärische Präsenz angelegten Mittel ließen sich besser zu Hause anwenden.
All das aber ist catch-as-catch-can wie seit Jahrtausenden gehabt. Ich finde das im nuklearen Zeitalter ziemlich gefährlich, aber es sind Regeln, die nicht nur von den USA gesetzt oder praktiziert werden.
Zu Ihrem nächsten Kommentar hätte ich zunächst einige Fragen: machen Sie sich die Positionen aus den drei verlinkten Artikeln komplett oder nur teilweise zu eigen? Welche Ausführungen daraus sind Ihnen in unserer Diskussion besonders wichtig oder anwendbar?
Danke für Ihre Antworten auf meine nicht rhetorisch gemeinten Fragen. Das reicht.
Die Texte, auf die ich zuletzt hingewiesen habe, sind einfach ein Leseangebot an Interessierte, nichts weiter.
Ich gestehe, es juckt mir zu sehr in den Fingern, mich doch noch mal zu äußern, als das ich mein Vorhaben, das nicht zu tun, wahrmachen kann.
Aber ich will nur zu zwei Äußerungen von Ihnen etwas bemerken:
Zum einen zu Ihrer Behauptung, „dass es für die äußeren Konflikte Nordkoreas durchaus innere Ursachen gibt.“:
Ja natürlich, würde Nordkorea nicht seit Ende der japanischen Besatzung und des Korea-Krieges versuchen, einen eigenen Weg zu gehen, mit allen Problemen schon von der Ausgangslage her, hätte es weniger Probleme mit den USA, die den südlichen Teil der koreanischen Insel weiterhin besetzt halten. Wenn es der nordkoreanischen Führungen gelingen würde, die eigene Bevölkerung ausreichend zu versorgen und ihr (nach westlichen Maßstäben oder welchen?) Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zu gewähren, so wie es z.B. die USA ihren eigenen Bürgern gewähren, ja natürlich, dann würden die USA und die anderen westlichen Regierungen keinen Regimewechsel in Pjöngjang mehr anstreben. Ja, und wer seine inneren Probleme nicht löst, dem muss halt auch mal beigebracht werden wie das geht, wie eben Jugoslawien, der Irak, Libyen und manches andere Land gezeigt haben. Wenn die mehr für ihre Bürger getan hätten, hätten die USA und ihre westlichen Verbündeten gar nicht überfallen und angreifen müssen … Aber das ist im Fall Nordkorea wahrscheinlich alles ganz anders. Oder die jugoslawische, irakische, libysche und alle anderen betroffenen Führungen haben wie die nordkoreanische die USA und die Freiheit des Westens bedroht, um von ihren inneren Problemen abzulenken, weshalb der Westen da gar nicht anders reagieren konnte, als sie zu bestrafen. Diese schon weggebombten „Eliten“ hatten bloß das Problem, dass sie keine Atombomben hatten oder deren Besitz glaubhaft vorgaukeln konnten …. Solche Ergebnisse wie im Irak, dass heute ein Viertel der Iraker mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen muss und mehr als 20 Prozent der arbeitsfähigen irakischen Bevölkerung arbeitslos ist, wie 3sat-Kulturzeit am 9.4.13 berichtete, müssen da halt in Kauf genommen werden. Die Iraker haben ja jetzt statt Sicherheit Hoffnung, wie unlängst ein irakischer Künstler in einer arte-Doku über den Irakkrieg sagte.
Zum zweiten zu ihrer Behauptung „die amerikanische Politik [ist] nicht für auffallend schmutziger als die anderer Länder“:
Dazu bleibe ich mal ernst: Kein anderes Land der modernen Welt hat allein im 20. und 21. Jahrhundert so viele andere Länder überfallen und mit offenen und verdeckten Kriegen überzogen wie die USA, und das im Namen der „nationalen Sicherheit“. Das hat sich nicht mal die nordkoreanische Führung getraut, die zumindest so nationalistisch war, dass sie nach dem Ende der japanischen Besatzung versuchte die Teilung des Landes durch Krieg zu überwinden, soweit meine Kenntnisse über den beginn des Korea-Krieges richtig sind. Hm, wenn das nicht „schmutzig“ ist … Da braucht gar niemand mit Dreck auf die blutverschmierte US-Fahne zu werfen. Das organisieren die US-Führung und die Mächtigen dieses Landes schon selbst. Die Opfer in Folge dieser Kriege habe ich nicht gezählt. Was allein die koreanischen Opfer angeht, ist interessant, was dazu die anscheinend leider nicht mehr existierende „Korea Truth Commission“ (KTC) aus süd- und nordkoreanischen Vertretern ermittelte. Ihr Bericht, denn sie Anfang dieses Jahrtausends auch in Berlin vorstellte, was ich persönlich miterlebte, ist leider nicht online verfügbar. Sollte ich das gedruckte Exemplar, das ich habe, zu Hause demnächst (hoffentlich) wiederfinden, wäre ich gern bereit, daraus zu zitieren. Hier gibt es etwas nachzuhören von einem Auftritt von KTC-Vertretern in Toronto 2001.
Das soll und muss reichen, sonst wird es endlos befürchte ich. Es geht nicht darum, die nordkoreanische Führung von irgendwas reinzuwaschen, sondern darum Ursache und Wirkung im aktuellen Konflikt nicht zu verdrehen oder dem Land vorzuwerfen, es sei mindestens teilweise selbst Schuld an der anhaltenden Drohkulisse ihm gegenüber. Wenn es die inneren Probleme Nordkoreas so nicht gäbe, gäbe es den äußeren Konflikt genauso, dessen bin ich mir sicher. Dazu haben die USA und ihre westlichen verbündeten leider zu oft bewiesen was sie von nationalen Versuchen, unabhängige Wege zu gehen, halten. Das haben selbst Länder zu spüren bekommen, in denen die eigene Bevölkerung besser versorgt wurde als in Nordkorea.
Mir ist schon klar, dass die allerbesten Argumente die aus welchen Grund auch immer festgefügtesten Meinungen nicht erschüttern können. Es war mir bloß wichtig, auf das Erwähnte hinzuweisen. Den ironischen Ton in der ersten Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen, weil ich Ihre Behauptung schon teilweise absurd finde.
Ach und ein kleiner Nachtrag zur USA: Da fand ich etwas, was ich nicht für mich behalten kann und was passt, und zwar eine Rezeension des Buches von Joe Bageant "Auf Rehwildjagd mit Jesus". Im Deutschlandfunk hieß es dazu u.a.: "Mit essayistisch leichter Feder und viel grimmigem Humor entwirft der Autor Joe Bageant ein erschreckendes wie erhellendes Bild der ländlichen USA. Das Buch geht über europäische Klischeevorstellungen hinaus, ..." und beschreibe "eine US-amerikanische Gesellschaft, die weitaus verbohrter, fundamentalistischer und Demokratie ferner erscheint als so manches osteuropäische Land mit kommunistischer Vergangenheit."
Aber wenn Nordkorea seine inneren Probleme bewältigt hat und deshalb nicht mehr soviel für äußere Konflikte sorgt, dann werden die USA diesem leuchtenden Beispiel folgen und etwas friedlicher mit sich und dem Rest der Welt umgehen ...
Ja, das war mein letztes Wort, voller Hoffnung, dazu an dieser Stelle.
Ja, und wer seine inneren Probleme nicht löst, dem muss halt auch mal beigebracht werden wie das geht,
Das sehe ich nicht so - vor allem nicht bei zwischenstaatlichen Beziehungen. Es mag allerdings sein, dass ich mit meiner abweichenden Sicht auf staatliche Souveränitätsrechte einer Minderheit angehöre.