Nordkoreas Chinaskepsis: ohne Fehl und Tadel

Die reine Lehre Geht es um nationale Identität, sieht sich Nordkorea zwei Großmächten gegenüber: Amerika und China. Der Umgang mit beiden bestimmt Pyongyangs Außenpolitik

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Eine chinesische Flagge am Yalu, dem Grenzfluss zwischen Nordkorea und China
Eine chinesische Flagge am Yalu, dem Grenzfluss zwischen Nordkorea und China

Foto: MArk Ralston / AFP / Getty

Chou Wen-mo war ein chinesischer christlicher Priester. Ab 1795 soll er sechs Jahre lang in Korea gewesen sein und im Untergrund missioniert haben.

Es gibt viele Möglichkeiten, die Folgen der Verhaftung Chous und der sich anschließenden, offenbar immer weiter um sich greifenden Verhöre im Jahr 1801 zu interpretieren - Jai-keun Choi, ein amerikanisch-koreanischer Presbyterianer, betrachtet diese Verhöre als Mittel innenpolitischer Auseinandersetzungen.

Gestützt auf Ausführungen und Arbeiten des italienischen Koreanistikers Maurizio Riotto entwirft Aaron McNichols in einem Beitrag für die Website Sino-NK ein Bild mit Bezügen zur Gegenwart der chinesisch-nordkoreanischen Beziehungen.

Korea - zur Zeit der "Chou-Krise" um 1801 noch vereint - wandte auf seine Beziehungen mit China eine Politik des sadae ("den Großen dienen") an, ein mehr oder weniger konfuzianisches Konzept1).

Die chinesische Ming-Dynastie allerdings erfüllte für Korea, das ein Tributar Chinas geworden war, durchaus einen Zweck: sie wehrte in den 1590ern zwei japanische Invasionsversuche auf Korea ab.

Aber wenn es um konfuzianische Werte ging, war Korea orthodoxer als China - und hier fand die Politik des sadae ihre Grenzen.

Zwischen der chinesischen Qing-Dynastie und dem Papsttum gab es zwar durchaus Reibungen und bald auch ein langanhaltendes Zerwürfnis, wie hier von der nationalistischen chinesischen Zeitung Huanqiu Shibao dargestellt. Unter einem kaiserlichen chinesischen "Schirm" aber war das Christentum in China nicht verboten; in Korea hingegen galt es als eine Bedrohung des konfuzianischen Systems.

Nachdem man Chou Wen-mo für schuldig befunden hatte, wurde er enthauptet - ohne das China vorher um Erlaubnis gefragt worden wäre. Dies geschah entgegen der Konvention, beziehungsweise entgegen den Verpflichtungen der koreanischen Regierung gegenüber China. Denn vor einem Prozess gegen einen Untertanen der chinesischen Qing-Dynastie hätte man sich dort eine Genehmigung einholen müssen.

Ein vergleichbarer Konflikt zwischen China und Nordkorea ergebe sich heute, so Riotto, wiedergegeben von McNichols: charakteristisch für den nordkoreanischen Staat sei nicht die "beispiellose Epidemie, herbeigeführt durch die Sowjetunion, sondern eher eine Rückkehr zu bekannten koreanischen Traditionen nach dem Ende der japanischen Kolonisierung":

Ein konfuzianisches Land ist ein säkulares, in dem alles Land Eigentum des Königs (und anschließend dem Staat), so wie ein kommunistisches Land. Da es keine Religion gibt, werden berühmte Menschen verehrt und angebetet. Die Gründer einer Dynastie werden taejo. Sie werden als Götter verehrt, und die Zeitrechnung folgt der Errichtung der Dynastie.

Riottos Modell eines defensiven Fundamentalismus ergebe sich aus Nordkoreas Sorge um den Erhalt nationaler Identität vor allem anderen. Darum ergebe sich auch eine Abweichung von konuzianischen Idealen: die Songun-Politik.

Und hier ergibt sich auch Konfliktpotenzial mit China - denn während die Songun-Politik zunächst die Verteidigungsbereitschaft gegenüber Amerika, Japan und den "südkoreanischen Marionetten" zur höchsten politischen Priorität Nordkoreas machte, setzen in der nordkoreanische Führung oder "Elite" nun auch Zweifel am chinesischen Bündnispartner ein.

Dies geschehe zum einen der weltanschaulichen, "kapitalistischen" Abweichungen Chinas wegen, dann aber auch, weil Beijing bei den Versuchen, die koreanische Halbinsel zu "de-nuklearisieren", mit Amerika zusammenarbeite - bis hin zu Sanktionen gegen Nordkorea.

Sie [die nordkoreanischen "Eliten"] fürchten, wie Tibet zu werden. Ich glaube nicht, dass der Westen versteht, das die Isolierung Nordkoreas [das Land] in die Hände Chinas gibt2),

zitiert McNichols Riotto, aus einer Veranstaltung am Trinity College in Dublin im Januar.

Praktisch liege jetzt Nordkoreas Interesse am ehesten darin, Misstrauen zwischen China und den USA zu säen - McNichols Beitrag enthält einige Szenarien, derer Pyongyang sich bedienen könnte, oder derer es sich in der Vergangenheit bereits bedient hat.

Aber diesen Manövern liegen eben auch Ideologien zu Grunde, die älter sind als der Kalte Krieg.

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Fußnoten

1) Hatten die Beziehungen zwischen der chinesischen Ming-Dynastie und der koreanischen Joseon-Dynastie möglicherweise die Bezeichnung harmonisch verdient, waren die Beziehungen der nachfolgenden chinesischen Qing-Dynastie zu den Koreanern von zwei chinesischen Invasionen geprägt. Das geschah noch, bevor die Qing-Dynastie die Ming in China endgültig stürzte.

2) Grundlage dafür ist - aus der Sicht der nordkoreanischen Führung (in der Darstellung McNichols - er zitiert ) die Art der Ansprüche, die seinerzeit von China auf Tibet und Xinjiang erhoben wurden. Die nordostchinesische Stadt Changchun ist der Ort, an dem eins von drei koreanischen Königreichen, Goguryeo, gegründet wurde - jedenfalls nach der einen oder anderen koreanischen Lesart. Sollte China der Kim-Dynastie zu verstehen gegeben haben, Changchun sei schon immer chinesisch gewesen, mag das durchaus für nordkoreanische Befürchtungen hinreichen, im Falle eines Zusammenbruchs des Kim-Regimes "tibetisiert" zu werden - unabhängig davon, wie rational oder irrational eine solche Furcht wäre. McNichols jedenfalls teilt diese Befürchtung keineswegs.

Man kann die geschichtlichen Grundlagen einer aktuellen Ideologie überbewerten - vielleicht liegt es für Fachleute nahe, das zu tun. Aber in der Tagespresse finden Erörterungen wie die nebenstehende kaum statt. Dabei wäre es sicherlich sinnvoll zu fragen, auf welchen Fundamenten - von Furcht und Desinformation einmal abgesehen - die nordkoreanische Diktatur eigentlich steht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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