Parteiflucht: der CDU fehlen die Reaktionäre

Interview mit Tai De Neue politische Landschaften erblühen vor unseren Augen. Ein Gespräch an der Seitenlinie.

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Ihre Freitag-Redaktion

Q:
Die große Koalition wird sich auf die Pegida zubewegen, oder?

A:
Jedenfalls die CDU. Die Pegida ist doch die CDU.

Q:
Wie bitte? Geißler und Süßmuth beg to differ.

A:
Einschränkung: sie ist oder war ein traditioneller Teil der Union. Die öffentlich-rechtlichen Medien hätten in der Vergangenheit auch mal den einen oder anderen Kreisparteitag der CDU besuchen können - da hätten sie unter Umständen, im Foyer, an den Stehtischen, sehr pegidasche Sachen gehört. Es wurde ja schon lange nicht mehr jede Mundwerkdisziplin von der Konrad-Adenauer-Stiftung gestählt. Dafür fehlt die Kohle.
Aber auf die Idee, sich auf diese Art an die Basis zu begeben, wäre der Journalismus komischerweise, nee, logischerweise, nie gekommen. Weißt du übrigens, wieviele "Parteien der Mitte" es in Schweden gibt?

Q: Erzähl'.

A:
Mindestens drei. Links gibt es die Sozialdemokraten, die Grünen und die Kommunisten. Und rechts gibt es die Schwedenpartei. Nur um die wichtigsten genannt zu haben.

Q:
Und die CDU muss es vermeiden, sich in drei Teile zu zerlegen?

A:
Sie wird versuchen, eine Partei zu bleiben. Ich sagte ja, sie kann außerparteiliche Bewegungen wie die Pegida nicht ignorieren. Und von der Straße kriegt sie solche Bewegungen höchstens noch mit Versprechungen, die sie schon aus rechtlichen Gründen nicht halten kann. Also gehen die einen in die Deutschlandpartei (die gibt es noch nicht, aber die kommen noch), oder sie gehen in die AFD, oder die AFD nennt sich um in Deutschlandpartei oder die Real-Union ...

Q:
Und die SPD?

A:
Die hat keine reaktionäre kleinbürgerliche Klientel, die sie erst fallenließ und die sie jetzt wieder aufsammeln wollen würde. OK, hat sie bestimmt, siehe Sarrazin. Das kommt davon, wenn man unbedingt in die "Mitte" will. Aber sie hat keine solche Klientel in dem Umfang wie die Union. Und wenn doch, dann sind die reaktionären Kleinbürger jetzt bei den Grünen. Wegen der erneuerbaren Energien.

Q:
Du bist ja selbst in der CDU. Wo gehst du hin, wenn sie sich zerlegt?

A:
Ich gucke mir dann in aller Ruhe an, welche der drei CDU-Teilparteien sich für meine bürgerlichen Freiheiten einsetzt und den geringsten Ideologieballast mit sich herumschleppt, und dafür werde ich mich entscheiden.

Q:
Ideologiefrei? Ich dachte, die Parteien hätten inzwischen zu wenig davon?

A:
Die Ideologien kommen heute nicht mehr von der politischen Sitzordnung, sondern werden von den Thinktanks geliefert. Kannst du dir die Merkelsche ohne ihre Buddies von Bertelsmann und Konsorten vorstellen? Man muss heute in der CDU glauben - mehr denn je glauben -, aber immer wieder an etwas anderes. Die moderne Mitmachpartei, in der auch für dich noch Platz ist. Heute für Atomenergie, morgen dagegen. Heute für den Irakkrieg, morgen gegen den Libyenkrieg. Heute Ausländerfreund, gestern Ausländerfeind ("jeder weitere Asylant ist ein SPD-Asylant"). Und das alles musst du als Unionsmitglied deinem Nachbarn erklären, der dich dafür auslacht. Und so wird aus dem CDU-Mitglied ein Kirchenratsmitglied in einer komischen Sekte.

Q:
Du könntest ja auch statt dessen austreten. Besonders gläubig hörst du dich jedenfalls nicht an.

A:
Ich habe schon so lange gewartet, da kann ich jetzt auch noch auf den Zerfall der Partei warten. Vielleicht bin ich danach schon jetzt in der richtigen Partei. Und vielleicht ist das auch so wie mit der Mitgliedschaft in der FN. Die Leute nerven einfach nur, aber auf die bevorzugte Automarke gibt es damit 25 Prozent Rabatt beim Neuwagenkauf. Außerdem und schließlich sind die Gruppenreisen nach Brüssel und in den Nahen Osten auch nicht zu verachten. Es ist ja nicht alles Wissen schlecht, dass die CDU sich inzwischen einkaufen muss, weil es bei ihr selber fehlt.

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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