Projekt Größenwahn

Der Euro - eine Überprüfung der euroländischen, "alternativlosen" Vorstellungen ist unerwünscht. Real existierende Alternativen sind eine Beleidigung.

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Zugegeben: wer einen langen, wütenden Kommentarthread haben will, muss es genau so machen wie Zeit Online am Mittwoch:

Die EU war für die Briten schon immer "somehow nasty". Jetzt deutet vieles auf einen Austritt hin. Das liegt auch an Deutschland, analysiert Jürgen Krönig, London.

Wie bitte? Wir? Das Volk der Mülltrenner, Kernenergieabschaffer (die Kernenergie war übrigens auch mal alternativlos), friedlichen Revolutionäre und Kriegsabstinenzler?

http://justrecently.files.wordpress.com/2011/03/just_another_german_press_review.jpg?w=429&h=571

"The past isn't dead. It isn't even past." (William Faulkner)

Großbritannien habe das Ende seines Empire psychologisch noch nicht verarbeitet, mutmaßen deutsche Hobby-Freuds. Dass es vielleicht ganz gut ist, dass Großbritannien - selbst in mancher Hinsicht ein Sanierungsfall - den Euro nicht als Währung übernahm, möchte offenbar keine größere deutsche Zeitung laut sagen. Ihre Leser könnten dann nämlich auf die Idee kommen, dass eine auflagenfreie Transferunion für Griechenland uns deutlich billiger gekommen wäre als das Euro-Projekt.

Aber es geht doch um den Frieden in Europa! Europa oder Krieg! Und wer ein Europa ohne Krieg will, kommt am größten europäischen Kriegsgegner nun einmal nicht vorbei.

Dieses Bild scheinen jedenfalls manche Kommentare aus dem Land der beleidigten Leberwürste nahezulegen. Dass es den einen oder anderen Briten angesichts solcher Argumente ein bisschen gruselt, sollte man eigentlich verstehen können.

Vor allem aber: ganz unabhängig davon, was die hauptsächliche Motivation zur Euro-Abstinenz der Briten war: sie war volkswirtschaftlich sinnvoll. Für manch andere Europäer wäre sie es auch gewesen.

Man darf davon ausgehen, dass Merkel, Hollande oder Barroso das durchaus klar ist. Es mag auch durchaus stimmen, dass ein Ende des Euro jetzt tatsächlich schlimmere Folgen hätte als die Sanierung Südeuropas in einer gemeinsamen Währungsunion.

Aber auch hier liegt ein Problem, das benannt werden müsste. Das Projekt Größenwahn hat nämlich nicht nur Versprechungen gemacht, für die Griechen, Portugiesen oder Spanier jetzt teuer bezahlen (mindestens in Griechenland ausschließlich die Normalverbraucher und sozial schwächsten Bürger) - sie hat auch die Weltwirtschaft gefährdet. So lange man Südeuropa für kreditwürdig hielt, nützte das existierende Arrangement der deutschen Wirtschaft: wir exportieren, ihr konsumiert. Jetzt taumelt das europäische Modell, und der Rest der Weltwirtschaft taumelt mit. Dafür immerhin sind wir Europäer "groß" genug.

Wer einen Außenhandelsüberschuss erwirtschaftet, spart logischerweise einen Teil seines Einkommens aus den erbrachten Lieferungen und Leistungen. Wer ein Außenhandelsdefizit verzeichnet, konsumiert hingegen mehr, als er erwirtschaftet. Der Ökonom Michael Pettis benennt die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Aufstellungen in Deutschland und den Krisenländern, welche diese Strukturen noch verschärfte:

Unterbewertete Währungen [bezogen auf China und Amerika, nicht Euroland] und im Verhältnis zur Produktivität niedrige Löhne [das betrifft auch das Verhältnis Deutschlands zu den europäischen Krisenländern] reduzieren den realen Wert der Einkommen in den Haushalten, und subventionieren Hersteller und Mitarbeiter. Steuern auf Konsum und Einkommenssteuern reduzieren ebenfalls die realen Einkommen der Haushalte, und wenn sie zur Subventionierung von Infrastruktur verwendet werden, reduzieren sie die Produktionskosten.*)

Die angelsächsische Presse diskutiert diese Probleme. Unsere tut das nicht. Umgekehrt unterschätzen vor allem Südeuropäer offenbar das Ausmaß, in dem sich Deutschland in Haftung für sie begibt - und die Verantwortungslosigkeit ihrer politischen Klassen. Dass eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit nicht existiert - und damit auch nicht viel gegenseitige Wertschätzung -, ist ähnlich problematisch wie die Existenz einer "gemeinsamen Währung" ohne gemeinsame "Wirtschaftsregierung".

Und dass eine große mitteleuropäische Volkswirtschaft außerhalb Eurolands existiert, stellt offenbar nicht nur für größenwahnsinnige kontinentaleuropäische Politiker eine handfeste Beleidigung dar. Geht es um Großbritannien, lässt sich so mancher deutsche Internetbürger in seiner Piefigkeit von keinem Politiker übertreffen. Nicht einmal von Volker Kauder.

Das aber ist destruktiv. Wer ein Europa der Alternativen haben möchte, und keins der "Alternativlosigkeit", sollte vor allem seine eigene politische Führung kritisieren, und nicht die britische.

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Fußnote

*) Im Original:

Notice how these work. Undervalued currencies and low wages relative to productivity have the effect of reducing the real value of household income and subsidizing manufacturers and employers. Consumption and income taxes also reduce household income in real terms, and by using them to subsidize infrastructure they reduce production costs.

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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