Radio Prag: "etwas vom Geist des Landes"

Radio und Internet Die deutschsprachige Redaktion beim tschechischen Auslandssender Radio Prag setzt bei der Verbreitung ihrer Hörprogramme vor allem aufs Internet.

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"Vorwärts, Links, keinen Schritt zurück" ist ein Lied für Parteikonferenzen, deren Delegierte viel Zeit mitgebracht haben.

Geschrieben wurde der schmissige Tune von dem tschechischen Komponisten Jan Seidel, der 1998 im Alter von 90 Jahren starb. Radio Prag, der Auslandssender der Tschechoslowakei, fasste sich in seinen täglichen Ausstrahlungen der 1980er Jahre kürzer: von der schwungvollen Revolutionsoper spielte man zu Sendebeginn als Erkennungszeichen nur die ersten Takte. (Ab 1989/1990 lieh man sich dann etwas aus Antonín Dvořáks 9. Sinfonie, "Aus der Neuen Welt".)

Radio Prag war unter den Auslandsradios der Warschauer Vertragsstaaten neben Radio Berlin International ein Sender, der auf Hörberichte seiner Zuhörerschaft mit nicht nur mit den üblichen "QSL-Karten" reagierte, sondern obendrein mit üppigem, allerdings meiner Erinnerung nach nicht sonderlich informativem Prospektmaterial. Aber die erste Bestätigungskarte von Radio Prag habe ich bis heute behalten - sie bestätigt einen Hörbericht vom 30.12.1985. Und auch eine zweite ist in den Sammelkarton gewandert - mit der Bestätigung eines Hörberichts vom 31.08.2016.

Dabei hatte Radio Prag - inzwischen nur noch der Auslandsdienst der tschechischen Republik - seine Kurzwellensender bereits im Jahr 2011 abgeschaltet. Lediglich die englischsprachigen und spanischsprachigen Redaktionen senden noch einige Stunden täglich über einem Kurzwellensenderpark in Florida. Aber da viele regelmäßige Hörer des tschechischen Auslandsdienstes die Schließung der tschechischen Kurzwellen bis heute beklagen, mietete man zum achtzigsten Jahrestag seiner Gründung Sendezeit von einem in Armenien betriebenen Sender. Das Motiv, ein augenscheinlich absaufendes Kofferradio zur See, mochte eher prophetisch als inspirierend aussehen - was das Medium Kurzwelle betraf. An einer fortdauernden Existenz Radio Prags auf Internetbasis zeigte die Leiterin des Referats Öffentliche Diplomatie am Außenministerium hingegen keine Zweifel:

Meines Erachtens ermöglichen Internet und Social Media, ein interessantes Zuhörerspektrum zu erreichen – zum Beispiel die tschechischen Expats der neuen Zeit oder potenzielle Besucher Tschechiens. Ich denke, dass sich Radio Prag künftig eher in diese Richtung weiterentwickeln dürfte.

Und der frühere Chefredakteur des Senders, David Vaughan, fand, vielleicht sei es die Rolle von Radio Prag, "etwas vom Geist des Landes ins Ausland zu übertragen".

Über Radio Prag selbst gibt es womöglich gar nicht viel zu sagen: die Jubiläumssendung im August 2016 war nicht sonderlich spannend - ein Ausflug einer Redakteurin Radio Prags ins Tonarchiv des tschechischen Inlandsradios, gut vierzehn Jahre zuvor, hatte nur gut zehn Minuten gedauert, war aber historisch ergiebiger gewesen als die über zwanzigminütige Jubiläumssendung in eigener Sache.

Wer allerdings über Tschechien informiert werden möchte, ist mit Radio Prag nicht schlecht bedient - und vielleicht erfährt er tatsächlich etwas vom "Geist des Landes". Zumindest aber erfährt er etwas von der Vielfältigkeit der europäischen öffentlichen Meinung: auf eine Verschärfung des EU-Waffenrechts reagierte die tschechische politische Klasse mit der Ankündigung, man werde sich bemühen, negative Folgen daraus für legale Waffenbesitzer in Tschechien zu vermeiden. Drei Monate später, im Juni 2017, zeigte das tschechische Parlament, wie das gemeint war: mit einer Verfassungsnovelle werde

tschechischen Waffenbesitzern erlaubt, im Notfall mit ihrer Schusswaffe einzugreifen. Das Innenministerium begründet die Erweiterung des Rechts auf Waffengebrauch mit der verschärften Sicherheitslage in Europa. Man könne so im Falle eines Anschlags wie in Nizza oder Berlin schneller reagieren, und die regulären Sicherheitskräfte würden entlastet,

meldete im Frühsommer Radio Prag.

Den internationalen Terrorismus dürfte das kaum schrecken. Aber darum ging es wohl auch gar nicht, sondern darum, wie es der tschechische Verteidigungsminister formuliert hatte, "den legalen Waffenhaltern in Tschechien in einem hohen Maß [zu] ermöglichen, ihre Waffen zu behalten."

Wäre man in Brüssel - und in Deutschland - nicht bereits mit der Polenkritik ausgelastet gewesen, hätte das obstinate Tschechien sich womöglich am überraschendsten Ort der Welt wiedergefunden: in deutschen Massenmedien.

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Radio Prag, Wikipedia, acc. 21.05.17

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