Russische Regionalmacht sucht Partner

Ostasien Russland ist eine Regionalmacht - auch in Asien - und sucht verbesserte Beziehungen zu Japan. Japan wiederum will seinen internationalen Status normalisieren

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Russische Regionalmacht sucht Partner

Bild: Toru Hanai/AFP/Getty Images

Die Öffentlichkeiten West- und Mitteleuropas sind es gewohnt, die Welt in zwei Blöcken zu sehen: links auf der Weltkarte Amerika und die Nato-Mitgliedsländer, rechts Russland.

Dabei werden verschiedene Dinge übersehen. Zum einen ist Russland im weltweiten Maßstab längst nicht mehr der Gegenpol zu Amerika, auch wenn Moskau - zumal in der europäischen Nachbarschaft - mit seiner Aggression gegen die Ukraine, seiner Syrienpolitik und seiner symbolmächtigen Asylpolitik für Edward Snowden immer wieder unerwartet stark auftritt. Der globale Gegenpol Washingtons aber ist Beijing, auch wenn sich z. B. Deutschlands politische Klasse offenbar vom russischen Nachbarn weit stärker herausgefordert fühlt.

Zum anderen sind Europa und der Nahe Osten für die USA immer weniger die Weltregion, in der man überzeugen müsste. Dass Amerika weder in der Ukraine noch in Syrien nachhaltige Interessen verfolgt, ist nicht in erster Linie einer - möglicherweise - abnehmenden ökonomischen oder politischen Kraft geschuldet, sondern einer Verlagerung der von Washington wahrgenommenen Interessen auf den Fernen Osten.

Europa als Testfall für Ostasien

Aber auch Russland wendet sich stärker als bisher dem Fernen Osten zu. Und ebenso wie Amerika trifft auch Moskau - zumindest thematisch - im Fernen Osten gleich wieder die Ukrainekrise an, wenn es um existierende Bündnisse (Amerika) oder um mögliche Bündnisse (Russland) am Westpazifik geht. Europa und der Nahe Osten verschwinden nicht vom globalen Radar, aber sie gelten vor allem als Testfall für die Frage, welche Rücksichten Washington und Moskau auf die Belange asiatischer Regierungen nehmen wollen.

From the Middle East to Ukraine, questions are being asked about the U.S. ability and willingness to maintain peace. If it cannot or will not, who will fill the void?,

fragte vor einem Jahr ein Autor des "Nikkei Asian Review".

Anthony Rinna von der Forschungsgruppe Sino-NK notierte vor gut einem Monat,

Japan and Russia have especially found ample opportunity to conduct a coordinated response to the most recent security crisis in North Korea. Japan and Russia have also sought to increase their economic and financial ties, which are particularly important for the development of the Russian Far East.

Den russischen "pivot to the East" mit japanischer Hilfe behinderten jedoch zwei Probleme, so Rinna: der langjährige Streit um die südlichen Kurileninseln, die seit dem Ende des zweiten Weltkriegs von Russland kontrolliert und von Japan beansprucht werden, und Japans Ausrichtung am Westen im Ukrainekonflikt.

Und auch wenn eine "Eindämmung" Chinas das erstrangige Ziel des amerikanisch-japanischen Bündnisses sei,

U.S. strategic containment of Russia also continues to be an important factor in the Japan-U.S. alliance, which comprises one key flank of the American strategic posture in Asia.

Von daher fällt Rinnas Ausblick auf die nächsten Jahre russisch-japanischer Beziehungen auch nicht euphorisch aus: Japan werde, wenn es eine stärkere militärische Kooperation mit Russland bei gleichzeitiger Beibehaltung des Bündnisses mit den USA wünsche, schon sehr geschickt vorgehen müssen.

Bündnistreue bedeutet aber keineswegs den Verzicht Japans auf eine eigene Außenpolitik. Wenn es um die Rückgewinnung der Souveränität über die südlichen Kurilen geht, ist eine Begegnung mit Putin für Regierungschef Shinzo Abe durchaus drin - auch wenn US-Präsident Obama sich in einem Telefongespräch mit dem japanischen Premier am 9. Februar gegen dessen Reisepläne ausgesprochen haben soll.

Japan müsse sich in seiner Russlandpolitik sehr vorsehen, damit Russland für verbesserte Beziehungen mit Tokio auch Gegenleistungen bringe, warnte im Mai 2013 - vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine - die "Japan Times". Das gilt nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine nicht weniger: Putin muss zeigen, was ihm eine Kontinuität in der japanischen Russlandpolitik - unter erschwerten Bedingungen für Japan - wert ist.

Ukraine als Testfall - auch für Japan

Vorsehen muss Japan sich auch in seiner Ukrainepolitik. Bisher gilt Tokio als interessierter Wirtschafts- und Handelspartner der Ukraine, wie in einem Beitrag des bereits erwähnten Anthony Rinna für die Website "East Asia Forum" im April dargestellt. Im wirtschaftlichen Sinne jedenfalls habe die Ukraine in Japan "keinen Freund verloren", so Rinna, und japanische Investitionen in dem Land würden vermutlich weitergehen, so lange die Ukraine eine hinreichend gesunde und risikoarme Umgebung darstelle. Aber politisch bleibe die Zukunft der Beziehungen zwischen Tokio und Kiev unsicher.

Auch hinsichtlich der japanischen Glaubwürdigkeit ist für Abe Vorsicht geboten. Jedes Bündnis - auch die politische Verbindung Tokios zu Kiev, die keine Sicherheitsversprechen für die Ukraine enthält, ist disponibel, wenn dafür nur der politische Ertrag für Japan groß genug ist.

Aber dann müssen auch japanische Entscheidungen darüber fallen, wie wichtig - z. B. - die im November vorigen Jahres in einem Kommuniqué mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Marke Rutte aufgezählten "gemeinsamen Anliegen" (shared concerns) hinsichtlich der Ukraine wirklich sind - und warum sich die USA, japanischen Erwartungen entsprechend, als verlässlicher Anwalt von Demokratie in Syrien oder staatlicher Souveränität der Ukraine beweisen sollen, wenn Tokio selbst es damit womöglich gar nicht so genau zu nehmen gedenkt.

Russlands Japan- und Chinapolitik

Nicht nur Tokio, sondern auch Moskau muss bündnispolitische Rücksichten nehmen. Allerdings sind die russischen Verpflichtungen China gegenüber nicht vergleichbar mit den japanischen gegenüber Amerika. Schon im Dezember 2013 - die russisch-japanische Verständigung hatte in dem Jahr erheblich an Fahrt gewonnen -, bereitete ein Doktorand am Russlandforschungszentrum der Shanghaier East China Normal University, Cui Heng, die interessierte chinesische Öffentlichkeit mit einem gelehrten, nur bedingt nachrichtentypischen Artikel darauf vor, dass Russlands Bereitschaft, bei der Gestaltung seiner Beziehungen zu Japan Rücksicht auf China zu nehmen, begrenzt seien - ungeachtet der Tatsache, dass die sino-russischen Beziehungen zur Zeit "die besten ihrer Geschichte" seien.

Insbesondere die Generation der Politiker um den amtierenden Premierminister Shinzo Abe habe angesichts der wirtschaftlichen Erfolge ihres Landes ein Bewusstsein staatlicher oder nationaler Größe entwickelt und strebe eine Normalisierung der japanischen Staatlichkeit an. Die Wiederbelebung der japanischen Konjunktur seit Abes Amtsantritt habe dieses Bewusstsein ebenfalls gefördert, so Cui. Zur Normalisierung gehöre nicht zuletzt die Beendigung des Kriegszustands mit Russland. Der Status quo sei zwar militärisch kaum relevant, habe aber großes symbolisches Gewicht. Mit einem Friedensabkommen mit Russland könne Japan auch seinen Status als Kriegsverlierer weitgehend ablegen, interpretierte Cui, und kam dann zu einem Punkt, der Russlands Japanwahrnehmung erheblich von der chinesischen - und auch der amerikanischen - unterscheide:

Es sind nicht nur geopolitische Überlegungen, aus denen Russland gerne bereit ist, vorteilhafte Beziehungen mit Japan zu entwickeln. In Russlands geschichtlichen Erinnerungen gibt es nicht viel Hass gegen Japan. Im Zeitalter der großen Reiche waren die japanisch-russischen Beziehungen im Fernen Osten wettbewerblicher Art. Viele Russen sprechen noch von der Niederlage des Jahres 1905, aber der Ferne Osten galt nicht als Gebiet, dass die russischen Nerven vergleichbar hätte treffen können wie die krachende Niederlage im Krimkrieg. Damals wurde Japan nicht als Bedrohung für Russland wahrgenommen, und aus einer anderen Perspektive: hätte es antijapanische Gefühle gegeben, hätte es keine Revolution gegeben. In der damaligen Wahrnehmung war die Niederlage auf das Unvermögen der [russischen] Regierung zurückzuführen, und nicht auf einen starken Gegner. Die hervorragenden Leistungen der sowjetischen Roten Armee von 1945 führten zu einer großen [positiven] psychologischen Einstellung bei den Russen, aber immer noch ohne dass man Japan als großen Feind hätte sehen können.

Ausblick

Sicher steht Japans Russlandpolitik vor einer bündnispolitischen Herausforderung. Dass diese Russlandpolitik allerdings überhaupt an Konturen gewinnt, ist nicht zuletzt darum vorstellbar, weil es zwischen Washington und Tokio kaum Differenzen in der Sicht auf China - den hauptsächlichen Gegenpol des US-japanischen Bündnisses - gibt. Wenn von Differenzen in diesem Punkt überhaupt die Rede sein kann, dann nur, weil Japan mit noch größerem Misstrauen auf China blickt, als Amerika es tut.

Anmerkung

Diese Betrachtung geht nicht von einer Präsidentschaft Trumps aus - was keineswegs heißen soll, dass es keine geben kann. Solche Umstände vorausgesetzt, ergeben sich sicherlich einige neue "unknowns". Kim Jong-un immerhin scheint auf Trump zu wetten.

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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