Russland ist keine "Gegenmacht"

Vergeißlert. Wer zu etablierten Mächten Gegengewichte bilden will, sollte nicht auf etablierte Mächte und ihre Methoden setzen

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Konrad Adenauer 1955 in Moskau
Konrad Adenauer 1955 in Moskau

Foto: Bundesarchiv (CC-by-SA)

Ein Land – zumal ein relativ fremdes – hat den Nachteil und den Vorteil, dass es sich hervorragend als Projektionsfläche für Ängste und Hoffnungen eignet. Ein Nachteil ist das, wenn man davon ausgeht, das konkretes Wissen besser sei als gute oder ungute Gefühle. Ein Vorteil, wenn sich damit Ängste zu eigenen Zwecken schüren lassen. Die CDU als wahlkämpfende Partei wählte vorzugsweise die Sowjetunion: Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau (1953). Differenzierter fiel im Grunde schon Heiner Geißlers Verleumdung der SPD als die fünfte Kolonne der anderen Seite (1983) aus.

Aber zwischen 1955 und 1983 war ja auch einiges geschehen, was die Pauschaldämonisierung erschwerte. Ganz abgesehen davon, dass viele Deutsche Russland aus eigener invasorischer Anschauung kannten: nach 1955 war es auch den Daheimgebliebenen nicht mehr gar so fremd. Adenauer war inzwischen in Moskau gewesen und hatte mit der Sowjetführung über die Freilassung deutscher Kriegsgefangener verhandelt, und danach hatten Bonn und Moskau diplomatische Beziehungen miteinander aufgenommen. 1965 rechtfertigte Adenauer die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Moskau in einem Interview mit Günter Gaus und bescheinigte „den Russen“, sie haben das mir gegebene Versprechen sehr korrekt eingehalten in der Freilassung der Gefangenen, außerordentlich korrekt und gewissenhaft.

Man musste also, zumal sich auch erste deutsch-deutsche Annäherungen anbahnten, spätestens nach 1965 zu etwas ferneren Drohkulissen greifen, und das tat im Bundestagswahlkampf 1969 Adenauers Nach-Nachfolger Kurt-Georg Kiesinger: „Ich sage nur China, China, China…“. Was umso praktischer war, als es zwischen Bonn und Beijing – oder auch zwischen Bonn und Taipei – seinerzeit keine diplomatischen Beziehungen gab: China, dunkel drohende Welt.

Russland ist keine Supermacht

Mancher, der sich in der Vergangenheit hinsichtlich Russlands gegen seinen Willen verkohlt oder vergeißlert fühlte und sich darüber ärgerte, verschrödert sich heute freiwillig.

Oder Russland als selbstgebastelte Gegenmacht zu den USA. Wer das allerdings glaubt, sollte es ganz schnell wieder vergessen. Russland ist keine Supermacht, und wird auch keine mehr. Gesprächstermine mit Moskau glaubt man in Washington ausfallen lassen zu können; Termine mit Beijing aber keineswegs.

Auch Beijings Verhältnis zur Krimkrise ist nicht eindeutig, und kann es nicht sein. Denn wenn das Selbstbestimmungsrecht der Völker jetzt nicht nur im Westen, sondern auch in Moskau formal hochgehalten wird, stellen sich Fragen für Russen, Kasachen, aber vor allem Tibeter oder Uighuren in der chinesischen „Volksrepublik“. Allenfalls ließe sich sagen, Moskau sei auf Westkurs eingeschwenkt - gestern Kosovo, heute Krim -, und Beijing vermeidet offene Kritik daran.

Und irgendwann, wenn ganz viele Chinesen in Sibirien leben, wird man vielleicht über das Selbstbstimmungsrecht der Chinesen ebendort reden müssen. Dann nämlich, wenn – oder falls – Beijing irgendwann Moskaus Beispiel folgen möchte.

Kitay, Kitay, Kitay!

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