Skizzen einer erneuerten Demokratie - 3

Demokratie Dieser Post ist der dritte Teil einer Reihe über die Erneuerung der Demokratie (vgl. die beiden Links unter "Info"). Er fasst meine bisherigen Wahrnehmungen zusammen.

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"Das ist Gerechtigkeit", sprach die alte Dame, als sie im "Bürgermeisters-tuhl" des Altenheims Platz nahm. Sie war nämlich jetzt die Älteste, und hatte darum Anspruch auf diesen Sitz. Dann zählte sie all diejenigen auf, von denen sie immer nur verarscht worden war (sie drückte sich gewählter aus; ich weiß nicht mehr wie), und die nun schon alle tot waren, im Gegensatz zu ihr.

Das Publikum lachte. "Der Bürgermeisterstuhl" war nämlich ein Bühnenstück, aufgeführt vom Ohnsorg-Theater, und man erkannte die eigene Großmutter - oder sogar sich selbst? - wohl darin wieder.

Bevor nicht jemandem genommen wird, kann ich - als verdiente Greisin - ja nicht kriegen, was mir zusteht. (Das sagte die alte Dame nicht, aber so hätte der Autor ihre Predigt an ihre missgünstigen Wohngenossen wohl fortsetzen können.)

Was ist Gerechtigkeit? Die Frage kann von Verantwortungsbewusstsein - für sich selbst und andere - geprägt sein. Die Motivation kann aber auch repressiv sein. Letzteres gilt zum Beispiel, wenn Gerechtigkeit als reines Nullsummenspiel begriffen wird - wenn die Betonung fast durchweg auf der Frage liegt, wem man etwas "wegnehmen" möchte oder muss, um "Gerechtigkeit" zu schaffen.

Darum war für mich die Diskussion über Pleifels und meinen Beitrag nach 187 Kommentaren beendet. Ich war frustriert.

Warum sollte Franz Hörmann eine interessante Quelle zum Thema Geldschöpfung sein, wenn es durchaus andere Kritiker gibt? Warum die Aufmerksamkeit ausgerechnet für Hörmann? Wie erneuerbar einerseits, und wie zerstörbar andererseits, ist eine Demokratie, wenn die menschliche Aufmerksamkeit in einer politischen Diskussion sich als Erstes auf solche Protagonisten richtet? Um klar zu sein: es irritierte mich nicht, dass es zumindest einen Kommentar dieser Art gab - so naiv bin ich nicht. Was mich frustrierte, war eine - meiner Wahrnehmung nach - verbreitete Bereitschaft in der Diskusson, in diesem Zusammenhang die Ohren wegzudrehen.

Wenn ich in Zukunft für mich entscheiden muss, ob ich ein Ziel unterstützen will, werde ich mich dabei wohl am ehesten nach dem Kriterium richten, ob es in erster Linie von Ressentiments oder - um altmodische Begriffe zu verwenden - von Nächstenliebe bzw. Bürgersinn motiviert ist. Bei politischen Strömungen ist es allerdings nicht unbedingt leicht, das zu unterscheiden. Je größer die Öffentlichkeit bei einem Thema, desto schwieriger wird das.

2008 richtete ein deutscher Autorenkreis einen offenen Brief an den Bundestag: "für einen werteorientierten Journalismus". Chinesische Dissidenten in Deutschland taten kurz darauf das gleiche.

Ich hatte kein Problem mit ihrer Wahrnehmung - in vielen Punkten teilte ich sie. Eine werteorientiertere Linie wünschte ich der China-Redaktion der Deutschen Welle ebenso wie ihre Kritiker das taten. Ich teilte aber nicht den Verdacht, in der Art, in der die China-Redaktion ihre Aufgaben wahrnahm, läge eine unfreiheitliche oder Beijing-dominierte Einstellung. Das dokumentierte ich auch entsprechend. Die Art und Weise, in der die Redaktion angegangen wurde, verhieß nichts Gutes.

Das Endergebnis: die Kritiker bekamen ihren Willen. Als besonders "werteorientiert" oder "freiheitlich" erwies sich das aber keineswegs, wie dieser offene Brief aus dem Jahr 2011 - knapp vier Jahre später - darlegt.

Und die hier beteiligte Öffentlichkeit war noch nicht einmal besonders groß. Wer nicht vor der Jahrhundertwende im Ausland war und einen Weltempfänger im Gepäck hatte, wird die Deutsche Welle kaum kennen.

Ich verstehe viele Ressentiments. Ich hege ja schließlich auch selber welche. Aber wenn wir unsere eigenen Ressentiments nicht im Griff haben und nicht kritisch reflektieren, enden auch die besten Absichten in einem Hijacking.

Und wie das beim Thema "soziale Gerechtigkeit" aussehen würde, möchte ich mir jetzt lieber nicht im Detail vorstellen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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