Der frühere irakische Machthaber Saddam Hussein war medienbewusst, und ihm war während der Vorbereitungen zum Irakkrieg von 2003 offenbar klar, dass er sich international anders präsentieren musste als in seinen heimischen Medien. Im CBS-Interview 2003 präsentierte er die Idee einer global ausgestrahlten Fernsehdebatte zwischen ihm und dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush, und stellte auf Nachfragen präzise dar, wie eine solche Debatte organisiert werden könne. "Ohne Tricks, ohne Redaktionsbearbeitung, ohne vorbereitete Reden - die Menschen wollen einen live übertragenen, direkten Dialog hören."
Man darf wohl davon ausgehen, dass Husseins Vorstellung vom globalen Publikum zutraf - und dass das Weiße Haus das auch durchaus wusste, als es den Vorschlag als "nicht ernsthaft" ablehnte.
Die Sprache, über die Saddam verfügte, war allemal stärker als die Macht der Waffen, die ihm zur Verfügung standen. Trotzdem machte der irakische Präsident seinen Vorschlag allenfalls von einer Position relativer (medialer) Stärke aus.
Das Transkript lässt vermuten, dass allein schon das CBS-Interview vor allem am Anfang außerordentlich holprig verlief - zum einen benötigten CBS-Anchor Dan Rather und Saddam Hussein einen Dolmetscher, und zum anderen gab es laut CBS bei der Aufnahme der Sendung durch irakische Fernsehtechniker laut CBS in der Aufnahme Abschnitte, "in denen zwei Leute auf einmal redeten".
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Ganz Ohr (Archiv)
Der syrische Präsident hingegen kommunizierte in der älteren und jüngeren Vergangenheit mehrfach per Fernsehinterview mit der amerikanischen und britischen Öffentlichkeit - unmittelbar auf Englisch. Dass Baschar al-Assad dabei nicht gerade die Aura Ronald Reagans umgîbt, und dass er auf ein westliches Fernsehpublikum im Gegenteil eher wirkt wie ein höflicher, zurückhaltender Mann mit starken Nerven, der früher auf dem Schulhof offenbar eine schwere Kindheit hatte, schadet in diesem Zusammenhang nicht. Im Gegenteil: mochte ein nordamerikanischer oder europäischer Fernsehzuschauer Saddam im Jahr 2003 so ziemlich alles Böse zutrauen (Massenvernichtungswaffen inklusive), so tritt Assad auf wie ein Angehöriger der westlichen Eliten - und eben das waren er und seine Familie ja vor seiner syrischen Präsidentschaft ja auch gewesen. Die Macht der Bilder ist bei solchen Gelegenheiten auf Assads Seite. Wohl niemand käme auf den Gedanken, Assad träume - wie angeblich Hussein - davon, ein neuer Saladin zu werden.
Irak verfügte vor zehn Jahren kaum noch über Propagandamittel. Radio Baghdads Kurzwellensendungen für Europa waren nach dem Kuwait-Krieg 1991 nur noch unregelmäßig und schwach zu hören, und bei dem, was es dort auf Englisch zu hören gab,handelte es sich offenbar traditionell überwiegend um Wiedergaben dessen, was auch auf Arabisch gesagt wurde. Auf das spärliche westliche Publikum wird das keinen großen Eindruck gemacht haben.
Deutlich eloquenter, aber in technisch seit vielen Jahren schlechter Qualität, trat bis Ende 2012 oder Anfang 2013 der Auslandsdienst des syrischen Rundfunks, Radio Damaskus, auf Kurzwelle auf. Und seit die Kurzwellenfrequenz ausfällt, offenbar, weil die Radiotechniker aus der Hauptstadt den Weg zum nordöstlich der Hauptstadt gelegenen Sender in Adra nicht mehr sicher zurücklegen können, bleibt dem Auslandsrundfunk immer noch das Internet: die jeweils neuesten englischsprachigen und deutschsprachigen Podcasts werden meistens binnen 24 Stunden online zur Verfügung gestellt.
Aber nicht nur das Weiße Haus im Jahr 2003; auch europäische Behörden im Jahr 2012 schätzten die Verbreitung von Botschaften aus erklärten oder unerklärten Feindstaaten offenbar nicht sonderlich. Am 22. Oktober wurden laut syrischer Regierung Fernsehprogramme des Landes von der Übertragung über den Satelliten Hotbird ausgeschlossen, im Rahmen von Sanktionen der Arabischen Liga und der Europäischen Union. Betroffen davon war oder ist laut dem Medienmagazin "DX Aktuell" auch Radio Damaskus.
Zeitungen zu verbieten oder Funk und Fernsehen abzuschalten ist Zensur, schrieb Karin Leukefeld, freie Korrespondentin unter anderem der Tageszeitung "Neues Deutschland", Anfang November 2012. Es sei
den Golfstaaten, Europa und den USA - trotz schwerer medialer Geschütze und Überflutung rund um die Uhr - offensichtlich nicht gelungen, die Welt, geschweige denn alle Syrer von ihrer Botschaft zu überzeugen.
Wahrgenommen allerdings werden die offiziellen syrischen Medien in Deutschland vermutlich noch weniger als der heimische Auslandssender "Deutsche Welle". Und entsprechend werden sie im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk - wenn überhaupt - wahlweise als langweilig oder kurios dargestellt. An einem internationalen Kurzwellenmaßstab wird Radio Damaskus dabei nicht gemessen: trockene, politisch einseitige oder mehr oder minder lange Wortstrecken sind wahrlich kein Alleinstellungsmerkmal des syrischen Auslandsfunks.
Syrien ist ein den meisten Europäern und Deutschen sehr fremdes Land - was allerdings für die meisten oder für alle Länder der Welt zutreffen dürfte. Ein Behelf ist in solchen Fällen die eigene Weltsicht: mehr oder weniger offensichtliche Standards des Völkerrechts, ethische Begriffe oder persönliche Vorlieben oder Ressentiments. Argumentiert wird mit humanitären, "nationalen", "strategischen" oder irgendwie "europäischen" Interessen, wobei das in Deutschland schon insofern ein Witz ist, als zum Beispiel Griechenlands oder Spaniens Probleme auf ähnlich wenig Interesse stoßen wie Syriens vor fünf bis zehn Jahren. Die Ursachen des Syrienkonflikts werden überwiegend mit Faktoren erklärt, die außerhalb Syriens liegen.
Unter dem Aspekt, dass der Krieg neben vielem anderen auch oft die Wahrheit begräbt, stellt sich damit die Frage, wo eigentlich einigermaßen glaubwürdige Nachrichtenquellen zu finden sind. Mit der Vielfalt an offiziellen und inoffiziellen syrischen Webseiten, mit Informationen der zersplitterten syrischen Opposition oder Blogs, die ebenfalls keinen Anspruch auf professionell-integre Berichterstattung erheben können, scheint sich mir am ehesten die BBC zu eignen, und innerhalb der BBC-Gruppe insbesondere der World Service.
Darüber, ob die BBC nach ihren Konflikten mit der früheren Blair-Regierung während des Golfkriegs vor zehn Jahren und nach einer Reihe von Budgetkürzungen in den Jahren seit dem Beginn der Wirtschaftskrise noch von gleichbleibender Qualität ist, lässt sich streiten, und ein "Traitorama", wie es dem Sender 1982 für seine Berichterstattung über den Falklandkrieg von dem britischen Cartoonisten Michael Cummings gewidmet wurde, hat die Welt seitdem wohl noch nicht wieder gesehen.
Aber verglichen mit hiesigen öffentlich-rechtlichen Medien darf man den britischen Traditionssender durchaus als eine Quelle betrachten, die unterschiedliche Konfliktparteien zu Wort kommen lässt - und bei kritischen Fragen immer noch häufiger nachhakt als die meisten (oder alle?) deutschen Presseerzeugnisse, nicht zu reden von den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien.
Ebenfalls vergleichsweise empfehlenswert scheinen Blogs von Arabisten zu sein. Man mag ihnen anlasten, dass sie zu wenig Insider des Konflikts sind, oder sogar, dass sie es zu sehr sind; sie haben aber einen unschätzbaren Vorteil gegenüber den meisten anderen Quellen: sie haben einen kulturellen und sprachlichen Zugang sowohl zu Syrien als auch zu ihrem westlichen Publikum. Der amerikanische Arabist und Blogger Joshua Landis ist für mich in den letzten rund sieben Jahren zu einer Quelle über Syrien geworden, auf die ich als Leser ungern verzichten würde.
Und da liegen für mich letztlich auch die Grenzen meiner eigenen Möglichkeiten, die Konflikte in Syrien zu verstehen. Die Grenzen meiner Sprache definieren zwar nicht unmittelbar die Grenzen meiner Welt, aber sie beeinflussen ihren Verlauf vermutlich stärker als jeder andere Faktor.
Mit dieser Reihe über Syrien und den Rest der Welt versuchen JR und Tai De, sich einen besseren Überblick über den Konflikt und seine Einflussnehmer zu verschaffen.
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» Chinas Diplomatie, 20.09.13
Kommentare 6
Ich finde Ihre Hintergrundbeiträge zu Syrien durchaus interessant.
Zu Joshua Landis wollte ich schon lange mal Folgendes loswerden: Der Mann hat sicher viele Kenntnisse allein durch seine Sprachkentnnisse und weil er in Arabien aufwuchs. Dadurch hat er auch mir manches voraus, was die Möglichkeiten der Beobachtung und Analyse der syrischen Katastrophe angeht. Aber eines hat er nicht abgelegt, trotz dieser biographischen Einflüsse bzw. Grundlagen: Die neokoloniale Attitüde eines westlichen Intellektuellen, der in gepflegtem, fast vornehmen Stil Urteile und Ratschläge über und für andere Weltgegenden austeilt. Zugespitzt formuliert unterscheidet ihn von den anderen westlichen Regimewechslern und ihren Verbündeten nur das gepflegte Auftreten und die intellektuellen Formulierungen. Seine analytischen Situationsbeschreibungen überdecken immer wieder gut, was er meint.
Auf Al Jazeera empfahl er den "Rebellen" schon mal ein Bündnis mit Israel zum Sturz des syrischen Präsidenten.
2009 war von Landis zu Syrien das u.a. zu lesen: "Der Syrienexperte Joshua Landis ist der Meinung, die Sanktionen der USA und die internationale Isolierung haben nicht funktioniert, es solle also ein neuer Ansatz versucht werden. Seines Erachtens würde das vorgeschlagene EU-Abkommen Syrien in die Weltwirtschaft einbinden und es davon abhalten, sich auf die Seite derjenigen zu stellen, die die Weltordnung unterhöhlen, darunter insbesondere der Iran. Ähnlich würden auch die wirtschaftlichen Vorteile eines solchen Pakts zur Entfaltung einer breiteren syrischen Mittelklasse beitragen, was wiederum einer engeren internationalen Zusammenarbeit zuträglich wäre, wie bereits in China."
2012 sagte er u.a. dem Sender Voice of America: Die Obama-Administrationhabe zunhemend Vertrauen erlangt, dassihre Politik derRegimewechsel in Damasmus derrichtige Weg sei, der früher oder später zum Ziel führe. Landissagte im Widerspruch zu den Bemühungen Russlands, dass dieMachtbalanceinSyrienim Wandel sei und auf lange Sicht die sunnitische Mehrheit sich in Syrien wie im gesamten Nahen Osten durchsetze.Und erstellte fest, dass die westlichen und arabischenSanktionenn gegen diesyrische Regierungund die Unterstützung der "Rebellen"bereits Früchte tragen. Die jüngste russische Initiative zu den Chemiewaffen und zur Verhinderung einer westlichen Intervention hielt Landis nicht «für besonders attraktiv». Sie erlaube es aber allen Beteiligten, ihr Gesicht zu wahren.
Ja, Meinungen können sich ändern, wie die Situationen, die es zu analysieren gilt. Aber bestimmte Grundhaltungen werden nicht aufgegeben. Das geht den Menschen wie den Leuten, sage ich bei vollem antiimperialistischen Bewusstsein.
Landis' Beschreibungen sind mir gut genug. Ablegen muss er meinetwegen nichts. Täte ich selbst ja auch nicht. Davon müsste ich mich schon selbst überzeugen. Anderen kann ich nur zuhören.
Noch ein Punkt zu Joshua Landis: für meinen Geschmack war er vor dem Krieg zu regimefreundlich. Das machte ihn auch zu keiner weniger aufschlussreichen Quelle.
Aber in diesem Zusammenhang ist immer der mehr oder weniger kritische Leser gefragt. Wenn ich den Eindruck habe, dass für bestimmte Informationen der Zugang zu mächtigen Beteiligten eine Voraussetzung war, stellt das seine Info nicht prinzipiell in Frage. Aber es macht ihn eben in konkreten Fällen zu einem Insider, und das lasse ich nicht außer Acht.
Ähnliches gilt - z. B. - auch für Jürgen Todenhöfer, den Sie in Ihrem Blogpost erwähnen.
Ja, der Jürgen Todenhöfer ist mein Lieblingsantikommunist, wie ich schon mal andernorts erwähnte. Gegen den dürfen Sie gar nichts sagen ...
Aber im Ernst: Ja, die Information, die vermittelt wird, ist das Eine, die Wertungen, die abgegeben werden sind das Andere. Gegen gute Informationen habe ich auch gar nichts, über die freue ich mich, wo ich doch als kritischer Leser darauf angewiesen bin, und weil ich als kritischer Schreiber nur schreibe, was ich auch belegen kann ... Deshalb stütze ich mich auch immer wieder auf die von mir immer wieder kritisierten Mainstream-Medien, dann, wenn sie vor allem informieren, so weit sie das noch tun.
PS: Natürlich würde ich mich mit einem Kenner wie Landis nie messen wollen, was die Kenntnisse angeht. Nur für den Fall, dass meine Worte den Eindruck erweckten, ich würde das im Ansatz tun.
Und für die Schreibfehler in meinem ersten Kommentar entschuldige ich mich mal wieder.
Hallo Herr Springstein:
für mich klingt Joshua Landis eigentlich relativ wertneutral, wissenschaftlich. Er "empfiehlt" z.B. den Rebellen in obigem Video nicht, mit Israel zu kooperieren, sondern er erklärt, dass und warum ein Bündnis der Rebellen mit Israel eine Möglichkeit wäre, Assad zu stürzen. Dabei sagt er nicht, dass Assad-Stürzen richtig wäre. Für mich klingt da keine Empfehlung durch.
Zu dem Zitat in der Aargauer Zeitung: Ich vermute, dass es aus dem Zusammenhang gerissen und in sein Gegenteil verkehrt worden ist. Wenn ich nämlich einen Gastbeitrag in Landis' Blog richtig verstanden habe, so hält dieser Gastkommentator einige Teile der jüngsten russische Initiative für nicht besonders attraktiv - FÜR ASSAD. Ich konnte, außer der schweizer Quelle, keine andere, negativ wertende, vor allem originale Aussage von Landis zur russischen Chemiewaffen-Initiative finden.
Landis hält sich m.E. aus einer moralischen Beurteilung des Konfliktes recht gut heraus. Urteile oder Ratschläge kann ich kaum aus seinen Aussagen heraushören.
Nichts desto trotz gibt es natürlich keine Aussage, die wertneutral ist. Jede Äußerung und sei sie noch so "steril" oder "wissenschaftlich" wie möglich produziert, enthält eine Wertung. An dem Punkt gebe ich Ihnen, Herr Springstein, dann wieder Recht: Landis ist ein sehr gut gebildeter, weißer, begüterter Mann aus dem "Westen", (der lange Zeit im "Osten" gelebt hat) und betrachtet und beschreibt die Dinge eben aus dieser Perspektive.
Danke für die Hinweise. Ihre Anmerkungen sind bedenkenswert und sicher muss ich auch aufpassen, nicht zu schnell in meine eigenen Vorurteilsschubladen zu greifen. Dennoch gibt es bei Landis manche eher "westlich" zu verortende Einseitigkeit.