Syrien und der Rest der Welt (5)

Helden der Wüste. Fünfter Teil einer Beitragsserie - JR und Tai De.

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Von Tai De

Anfang der 1980er kamen die Profis ins ZDF. Also Gordon Jackson, der zuvor schon in der für meine Altersklasse etwas verstaubten Eaton-Place-Serie als Butler mitgespielt hatte, und Body und Doyle. Jeweils am nächsten Schultag wurden die Vor- und Nachteile von Ford-Capri, dem Voere-Gewehr, und die Qualitäten der meist blondierten Bond-Girls der CI-5-Mitarbeiter diskutiert.

Die „Profis“ sind Teil meiner Erinnerungen an deutsch-britische Wochenenden, Panzermanöver, damit verbundenen – hochwillkommenen – Störungen des Unterrichts und Besuchen von Marine-Wochenenden in Plymouth mit meinen britischen Verwandten: jede Menge Bums und Knall, unbeeinträchtigt von pazifistischer Einrede, und unbeeinträchtigt von den Wehrmachtsgeschichten meines deutschen Großvaters, die keineswegs lustig waren. Die Tatsache, dass manche Großonkel und Großtanten körperlich oder auch geistig Kriegsversehrte waren, ließ sich für mich, als Teenager der 1980er Jahre, beim Zusammenbau einer Sten-MP oder beim Herumkurven mit einem Land-Rover wunderbar ausblenden. In Großbritannien machte der Krieg richtig Laune - jedenfalls, wenn er in Friedenszeiten die Stätten des blutigen Ruhms nochmal als Pensionär besuchte.

Mir hätten die Filme und Militärshows als Medium völlig genügt. Aber meine Eltern und Großeltern sahen das anders: der Junge soll lieber etwas Gescheites lesen. Also las ich, wenn die Glotze gezwungenermaßen kalt blieb – wenn auch vielleicht nichts „Gescheites“.

Krieg, Krieg, Krieg, und immer wieder C.S. Foresters Romane: den General, die lange Reihe der Hornblower-Stories, und natürlich, was Bücherschrank und Stadtbibliothek zum Thema sonst noch hergaben.

Wer da was mit welchen Motiven und für wen geschrieben hatte, war mir und allen gleichaltrigen Mitgliedern unseres Fanclubs egal. Wir lebten in einer Stadt mit einer britischen Garnison, die im Alltag präsent war, und an Feiertagen erst recht. Und Forester spiegelte diese Präsenz. Was nicht heißen soll, dass an Foresters Helden alles gut war: die besseren Panzer hatten schließlich immer noch „wir“.

Aber wenn ich das als mittelalter Erwachsener noch einmal nachlese, dann natürlich mit einem anderen Blick als früher. Wie der „Hornblower“ des 19. Jahrhunderts siegt, und wie das England des 20. Jahrhunderts es auch wieder tut. Und wie sich die Geschichte und die Geschichten drehen. Es ist Foresters eigentlich modernerer General, Herbert Curzon, der den ersten Weltkrieg im Rollstuhl verlässt: eine Erzählung aus dem Jahr 1936, von den Materialschlachten in Flandern. Ein Jahr später, mit den ersten Hornblower-Geschichten, ist nicht mehr der große Krieg das Thema, sondern der Krieg auf vielen zeitgleichen, in sich überschaubaren Plätzen; also eine Abfolge von Einzelunternehmen, durchgeführt unter der Leitung von bürgerlich-akademisch geprägten Offizieren, deren Aktionen, so sehr sie auch von Selbstzweifeln oder gar Minderwertigkeitsgefühlen gequält sein mögen, den Gegner auf Dauer zermürben. Der Hornblower des 19. Jahrhunderts steht für die Art des (britischen) Kriegs, die unter den Militärs der Insel ab 1940 zum moderneren Krieg wird. Die deutsche Idealvorstellung der großen entscheidenden Schlacht, des großen Cannae, findet man beim späteren Forester eben so wenig wieder wie bei seinen vom Weltkrieg geprägten Autoren-Nachfolgern, zum Beispiel Alexander Kent. Auch bei Kent sind es Einzelne und deren Unternehmungen, die über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Während Foresters Hornblower das Empire in der Literatur schützte, entstanden, nahezu zeitgleich mit dem Scheitern der Expeditionsstreitkräfte in Nordfrankreich, die noch von den Ideen des Ersten Weltkriegs geprägt waren, die Ideen für die ersten Special Forces: die Gideon-Force, die Chindits, oder die Layforce. Bis heute bestimmt aber der Special Air Service mit seinen Unternehmungen auf dem afrikanisch-arabischen Kriegsschauplatz das Bild der britischen Special-Forces. Bärtige beduinengleiche Männer, zusammenkauert auf den Sitzen ihrer Patrouillenfahrzeuge, die von einer erfolgreichen Operation zur nächsten eilten, gingen nicht nur den Achsenmächten gewaltig auf die Nüsse, sie waren auch überaus beliebte Motive für die in dieser Zeit nicht vom Erfolg verwöhnten Propagandaabteilungen des britischen Kriegsministeriums. In allen Kriegen waren die SAS-Leute unter den ersten im jeweiligen Feindgebiet.

Das Bild der durch die Wüste (oder durch Schafweiden) ziehenden SAS-Kämpfer dominiert sogar jetzt noch die Bilder: in Romanen, Erzählungen und Verfilmungen, wie z. B. Bravo Two Zero, oder auch in Dokumentarfilmen, wie bei der Befreiung Port Stanleys auf den Falkland-Inseln, auf denen sich Realität und Propaganda mischen.

Die Idee der Special Forces fiel jedoch nicht vom Himmel. Während Großbritannien und das Empire ihre Soldaten in Flandern und auf Gallipoli in den Tod stürmen ließen und die Toten nach Hunderttausenden zählten, gelang es einem Mann auf der arabischen Halbinsel einen Aufstand anzuzetteln und so erfolgreich zu beraten und zu unterstützen, dass die osmanische Herrschaft über den Nahen Osten beendet werden konnte; nicht zu reden davon, dass die Hohe Pforte während der zweiten Kriegshälfte sehr mit inneren Problemen beschäftigt wurde. Auf diese kleinen, aber effektiven Mittel besannen sich die Militärs – und die Propagandisten – im zweiten Weltkrieg zurück.

In diesen Kontext gehört der Einsatz von Soldaten des Special Air Service im Irak, damaligen Berichten zufolge am 17. März 2003, einen Tag vor der Abstimmung über eine britische Beteiligung am zweiten Golfkrieg, die am 18. März 2003 stattfand.

Vorgänger hatte es viele gegeben – Persönlichkeiten und Episoden – darunter eben auch T. E. Lawrence „von Arabien“, der den Osmanen, ersten „Jungtürken“ und ihren deutschen Militärberatern das Leben schwermachte, bis zum Zusammenbruch des alten Reichs.

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Die Beleuchtung war elektrisch, und im tea room lief ein Fernseher. Aber sonst sah vermutlich alles noch so aus wie damals, als T. E. Lawrence hier undercover seine Limonade schlürfte.

Lawrence war ein Mann der Geheimdienste und unterstützte während des 1. Weltkrieges - vor Ort - militärische Operationen der Araber, die dazu beitragen sollten, das osmanische Reich, einen Verbündeten Deutschlands und Österreich-Ungarns, zu Fall zu bringen. Seine "Sieben Säulen der Weisheit", das als großes literarisches Werk gilt, beruht auf Rekonstruktionen, denn sein ursprüngliches Skript will er Weihnachten 1919 auf dem Bahnhof von Reading "verloren" haben - und die zugrundeliegenden Notizen aus der Kriegszeit will er nach Erstellung der einzelnen "Bücher" (die "Säulen" bestehen aus zehn Büchern und Vor- und Nachworten) vernichtet haben.

"Ein Triumph", so der Subtitel der Sieben Säulen. Tatsächlich war der Einmarsch der von ihm beratenen arabischen Rebellen für Lawrence nach eigenem Eingeständnis, im Licht des Sykes-Picot-Abkommens, ein Triumph mit gemischten Gefühlen. Und man darf wohl davon ausgehen, dass der Lawrence der Kriegszeit Memos an seine Vorgesetzten schrieb, die sich weniger idealistisch lesen als seine Erinnerungen mehrere Jahre danach.

Auch in seinen "Säulen" spart Lawrence nicht mit kritischen Anmerkungen zum arabischen "Nationalcharakter".

Zum Beispiel über einen Führer des arabischen Aufstands, Abdulla, einem der Söhne des Sharif Hussein ben-Ali von Mekka:

"Der Sauerteig der Unaufrichtigkeit wirkte in allen Fasern seines Daseins. Sogar seine Einfachheit erschien falsch, nachdem man einige Erfahrung damit hatte, und ererbte religiöse Vorurteile herrschten über die Schärfe seines Verstands, weil das für ihn leichter war als neue Überlegungen."

Oder über Feisal, einem weiteren Sohn des Sheiks:

"Von unserem ersten Tag an hatte ich ihm gepredigt, dass Freiheit etwas sei, was man sich nehme, nicht etwas, das gegeben werde."

Und über syrische Kampfgenossen:

"Derart hochfliegendes Vorstellungsvermögen war typisch für Syrier, die sich selber leicht von Möglichkeiten überzeugten und schnell dahingelangten, ihre aktuellen Verantwortlichkeiten auf andere abzuwälzen."

Derart böse Anmerkungen machen keineswegs das Buch aus. Aber der Wind einer technischen und zivilisatorischen Überlegenheit Britanniens durchweht ein Kapitel nach dem anderen, wenn auch in einer weit erträglicheren Intensität als die der Supermacht Sachsen in einer mittelschweren Orient- oder Wildwesterzählung Karl Mays.

Ein Triumph also, oder ein Heldenepos, aber nicht so sehr eins der Araber. Die Ausgabe, die mir vorliegt, wurde im Dezember 1941 gedruckt; zuvor im Februar und September 1941, anhand einer Neuausgabe aus dem Jahr 1940. Die "Sieben Säulen der Weisheit" waren vor allem ein Narrativ für ein britisches, amerikanisches oder Empire-Publikum. Der Film verlängerte das Gefühl einer besonderen britischen "Beziehung zur Wüste" auf viele weitere Jahrzehnte.

An dem SAS im Allgemeinen oder im Einzelfall etwas Unrechtes zu sehen, fiele wohl nur den wenigsten Briten ein. Lassen wir noch einmal Forester sprechen, mit den Worten eines „düster dreinblickenden Kapitäns“ am Rande eines dienstlichen Mittagstischs:

(Hornblowers Korvette) Hotspur ist wie Uriah der Hethiter – immer in der vordersten Linie.

In der vordersten Linie lassen sich manchmal auch sehr verständige Entscheidungen treffen. Als das britische Parlament Ende August gegen eine britische Beteiligung an einem Syrienkrieg stimmte, war es in der vordersten Linie: eine Mehrheit der Abgeordneten kannte sich (womöglich) aus und traf eine informierte Entscheidung.

Fortsetzung folgt.

Fortsetzung hier.

Links zum Thema:

» Rauchende Colts (4), 04.09.13
» Langemarck, 16.06.13

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JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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