Viel Staat, wenig Zivilgesellschaft

Petersburger Dialog Bundeskanzlerin Angela Merkel will eine "'Reform" des Petersburger Dialogs. Aber zivilgesellschaftlicher Dialog als politische Chefsache hat keine Zukunft

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Man muss sich nichts vormachen: der Petersburger Dialog war eine Kopfgeburt zweier Staatsmänner: Gerhard Schröders und Vladimir Putins. Und einen reinen zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen Russland und Deutschland kann es nicht geben. Dazu sind Russlands politische Tendenzen zu autoritär - wenn nicht totalitär -, und Deutschlands Zivilgesellschaft ist nicht so entwickelt, wie Deutsche sich das selbst gerne einreden.

Auf die neueste Intervention der deutschen Politik allerdings hätte der Petersburger Dialog durchaus verzichten können. Merkel habe "eine Reform durchgesetzt", meldete n-tv am Sonntag. Nach dem Willen der Kanzlerin solle die deutsch-russische Plattform künftig weniger kuschelig mit dem Kreml umgehen.

Die Kanzlerin - und der Außenminister - hatten mehrere Briefe von Nichtregierungsorganisationen erhalten, die sich im Petersburger Dialog engagieren oder engagierten. Die grünen-nahe Böll-Stiftung hatte am 2. Oktober für eine Reform des Petersburger Dialogs geworben. Man wolle nicht das Feigenblatt abgeben für einen "zivilgesellschaftlichen Dialog", der auf russischer Seite fest in der Hand des Kremls ist und auf deutscher Seite von Leuten dominiert wird, die jede offene Kritik an der russischen Politik als Störung des guten Einvernehmens empfinden, schrieb die Stiftung am 13. Oktober, elf Tage später, zur nachträglichen Veröffentlichung ihres Briefes. Zur Begründung erklärte die Stiftung in ihrem Schreiben, nachdem zwölf russische Nichtregierungsorganisationen vom russischen Justizministerium zwangsweise auf die Liste „ausländischer Agenten“ gesetzt worden seien, könne man sich in bisheriger Form nicht mehr am Petersburger Dialog beteiligen.

In einem Schreiben an Lothar de Maizière, dem ersten und letzten demokratisch legitimierten DDR-Ministerpräsidenten und (jedenfalls noch) amtierenden Vorsitzenden des Vorstands des Petersburger Dialogs, erklärte Stiftungschef Ralf Fücks, man bleibe sehr an einem offenen Dialog über deutsch-russische Belange in einem gesamteuropäischen Kontext interessiert und halte ihn für eine Bedingung guter Nachbarschaft und Kooperation. Ein solcher Dialog muss aber auch von beiden Seiten gewollt und ermöglicht werden. Er dürfe zugleich nicht zum Nachteil Dritter geführt werden. Dessen ungeachtet werde man sich zivilgesellschaftlich weiter engagieren.

Man ahnt: "zivilgesellschaftlich" geht nichts ohne Karrierepolitiker. Selbst Fücks war einmal Mitglied eines Landeskabinetts (Senator in Bremen). De Maizière reagierte drei Tage später:

Dass Sie einen Brief ähnlichen Inhalts zunächst als nicht offenen Brief an die Bundeskanzlerin sowie den Außenminister verschickt haben, verwundert mich. Sie geben damit für die zivilgesellschaftliche Organisation des Petersburger Dialogs der Politik jene besondere Betonung, die Sie für die russische Seite in Ihrem Brief besonders kritisieren.

Und Anne Hofinga, verantwortliche Sekretärin und Initiatorin Deutsch-Russisches Sozialforum und Teilnehmerin am Petersburger Dialog, wies am 20. Oktober – in einem offenen Brief ebenfalls an Merkel und Steinmeier – darauf hin, worum es aus ihrer Sicht beim Petersburger Dialog wirklich gehe:

Soziale NGOs, die bei Schwierigkeiten mit russischen staatlichen Stellen darauf hinweisen können, dass sie Teilnehmer des Sozialforums im Rahmen des Petersburger Dialogs sind, stellen immer wieder fest, dass ihre Anliegen plötzlich wohlwollend geprüft werden. In der Folge entsteht oft ein konstruktiver Dialog mit Vertretern des Staates, der eine Vertrauensbasis schafft. So können mit Hilfe des hohen Ansehens des Petersburger Dialogs langfristig die Ängste staatlicher Strukturen vor einer aktiven Bürgergesellschaft abgebaut werden. Permanente Kritik und Konfrontation, wie sie von den fünf genannten Vereinen geübt werden, blockieren dagegen eine solche Entwicklung.

Das Sozialforum verstehe nicht, warum aufgrund der Absage von fünf deutschen Vereinen das ganze Forum in Sotschi abgesagt werde.

Vielleicht war das Sozialforum zu sehr in Russland beschäftigt und hatte darum keine Zeit, Politik in Deutschland zu machen.

Was würde Heinrich Böll dazu sagen?

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JR's China Blog

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