Vor dem 4. Juni - Trauer, auch offiziell

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Jahrestag: Trauernde vor dem Grab Hu Yaobang in Gongqing, China im Jahr 1999
Jahrestag: Trauernde vor dem Grab Hu Yaobang in Gongqing, China im Jahr 1999

Foto: AFP/ Getty Images

Sonntag, 16. April 1989

Siebzehn Universitäten und Colleges in Beijing stellen ungefähr 500 Reimpaare, Slogans und Posters aus. Die Behörden verzeichnen "darunter 80 Prozent, die Hu Yaobang auf übliche Weise betrauern, zehn Prozent, die Unzufriedenheit ausdrücken und weitere zehn Prozent, die Partei und Regierung angreifen und zu Störungen anstacheln." Inzwischen sind aus den Slogans ausführlichere politische Kommentare geworden, und politische Beobachter fühlen sich an den Tian'anmen-Zwischenfall von 1976 erinnert [seinerzeit Trauerkundgebungen für den drei Monate vor dem 1976er "Zwischenfall" verstorbenen Staatsratschef Zhou Enlai].

Die Chemie-Fakultät der Tsinghua-Universität legt einen Kranz am Nordzaun des Denkmals für die Helden des Volkes nieder, und Studenten der Beifang-Jiaotong-Universität (inzwischen zur Beijing-Jiaotong-Universität fusioniert) stellen vor dem Denkmal ein Banner auf, das "Hu Yaobang betrauert, einen Freund der Jugend". Bis zum Nachmittag um 15:30 sind hier drei Kränze abgelegt worden, zwei von Studenten und einer im Namen einer Familie. Sie werden später von der Polizei entfernt.

An der China University of Political Science and Law fertigen junge Dozenten - Wu Renhua, Fei Anling, Xiong Jining, Liu Bin, Xuan Zengyi und Zhang Xiaojing - mit zwei Studenten eien Zwei-Meter-Kranz an. Gegen Abend bringen Wu Renhua und andere den Kranz zur Frontseite der Universität, wo er Aufmerksamkeit hervorruft. Eine begefügte Notiz besagt, dass der Kranz am 17. April zum Tian'anmenplatz gebracht wird.

Eine kleine Maotai-Schnapsflasche, die Wu Renhua beiläufig hinzufügt, wird später zu einem zentralen Gegenstand von Ermittlungen, aufgrund einer Annahme, sie sei im Namen von Xiaoping [Deng Xiaoping] überreicht worden.1)

Die Beijing-Universität ist traditionell im Zentrum von Bewegungen. Liu Suli und andere Akademiker der China University of Political Science gehen regelmäßig zur "Beida", um an Diskussionen teilzunehmen, und Liu fertigt mit anderen ein weißes Seidenbanner mit der Aufschrift "Seele Chinas" an.

Im Raum 3108 der Fudan-Universität in Shanghai wird eine Gedenkveranstaltung mit rund 400 Teilnehmern abgehalten. Ab dem Nachmittag des 15. April stellt die Fudan-Uni das erste Poster auf, und bis zum Abend des 16. April sind ungefähr zehn weitere Universitäten in Shanghai dem Beispiel gefolgt. Auch in Xi'an finden Demonstrationen statt, und hier mit Anschuldigungen, Hu Yaobang sei "mit Gas getötet worden".

Das Zentralkomitee der KP Chinas kündigt eine feierliche Trauerzeremonie in der Großen Halle des Volkes an, und ordnet für alle größeren Plätze im Land Halbmastbeflaggung an. Die Trauerfeierlichkeiten für Hu werden aufgewertet, um Beschwerden aus dem Volk zu besänftigen.

Montag, 17. April 1989

Das Ausmaß der Kundgebungen direkt auf dem Tian'anmenplatz wird größer. In großen und mittleren chinesischen Städten nehmen die Aktivitäten ebenfalls zu. Um ca. 13:00 machen sich mehr als 600 Dozenten und Studenten der China University of Political Science and Law auf den Weg zum Tian'anmen-Platz, entlang der zweiten Ringstraße, angeführt von jungen Lehrern wie Chen Xiaoping, Xiong Jining, und Wu Renhua. Es ist die erste Demonstration der Volksbewegung von 1989. Einige der teilnehmenden Studenten der China University of Political Science and Law werden später ein Rückgrat für die Studentenbewergung - zum Beispiel Pu Zhiqiang, Kang Xiaoji als Leiter der Dialog-Delegation der Beijinger Universitäten, Zhou Yongjun als Vorsitzender der Autonomen Föderation der Beijinger Studenten, Wang Zhixin als 1. Sekretär der Autonomen Föderation (vom Ministerium für öffentliche Sicherheit später als einer von 21 Studentenführern gelistet), und Wang Zhixin (auf der gleichen Liste, und nach dem Ende der Bewegung bis heute vermisst).

Um 17:00 liegen neun Kränze am Denkmal für die Helden des Volkes, unterschrieben von Studenten der Beihang-Universität [auch bekannt als Beijing University of Aeronautics and Austronautics], Dozenten und Studenten von der Beijing-Universität, von der Beijing Normal University, von allen Postgraduierten der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, und einem Kader der China University of Political Science and Law.

Bis zum Abend um 19:00 haben sich etwa zwei- bis dreitausend Menschen am Platz des Himmlischen Friedens versammelt. Überwiegend Studenten verlesen Gedenkreden. Zwei- bis dreihundert Studenten bleiben auch nach Mitternacht.

Mehr als tausend Studenten, die meisten von der Fudan-Universität [in Shanghai], sind vor die Regierungsgebäude gezogen und verlangen Gespräche mit den politischen Führern der Stadt. Um etwa vier Uhr am nächsten Morgen zerstreut sich die Versammlung. Die Behörden, unter Führung des Shanghaier Parteisekretärs Jiang Zemin, veröffentlicht eine Mitteilung, der zufolge Gedenkveranstaltungen für Hu Yaobang in den jeweiligen Arbeitseinheiten abzuhalten sind, um zu gewährleisten, dass Lernaktivitäten und Studien, Stabilität und Einheit gewährleistet bleiben. Die Mitteilung ruft auch zur Wachsamkeit gegen schlechte Elemente auf, die die Gelegenheit nutzen und Störungen anzetteln könnten. Am Montagabend sind über tausend Studenten an der Tianjiner Nankai-Universität auf einer Demonstration außerhalb ihres Campus. Sie singen die Internationale, die Nationalhymne, und "Der Sonne zugewandt", die militärische Hymne der Volksbefreiungsarmee2). Sie rufen Slogans wie "Nieder mit der Diktatur", "Es lebe die Demokratie" und "Lang lebe die Freiheit". Auch aus der Provinz Hunan werden Demonstrationen gemeldet.

An der Volksuniversität (Renmin University) in Beijing kommen Einige Vorschläge von der Mehrheit der Dozenten und Studenten der Beijing-Universität, Tsinghua-Universität, Volksuniversität und der Normal University auf, mit dem folgenden hauptsächlichen Inhalt:

  • Der Platz des Himmlischen Friedens soll das Zentrum für elegische Reimpaare und Kranzniederlegungen werden
  • eine neue, demokratische Ordnung soll errichtet werden
  • eine Nachprüfung der hauptsächlichen im Verlauf der zehn Jahre andauernden Reform aufgetretenen Fehler soll durchgeführt und
  • die für die Fehler Verantwortlichen aus ihren Ämtern entfernt werden.

Unter der Schlagzeile "Hu Yaobangs Tod belebt vermutlich die Reformfraktion" schreibt der Hong Kong Standard3) dass die Bewegung für Demokratie und Menschenrechte täglich anwächst, und das sie nach dem 70. Jahrestag des 4. Mai nur weiter anwachsen werde. [...] Die Studenten der Beijinger Universitäten könnten in ihren Traueraktivitäten für Hu Yaobang spontan Aktivitäten zur Forderung von breiterer Demokratie organisieren.

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Anmerkungen

1)Xiao bedeutet klein und wird sowohl in Dengs gegebenem Namen als auch in Verbindung mit "kleiner Flasche" so geschrieben. Ping schrieb sich zwar in Dengs Namen anders, spricht sich aber ebenso wie "Flasche". Wu will den Maotai lediglich als Gabe an die Seele des Toten verstanden wissen.

2) Hier in einer Aufführung zum 80. Gründungstag der Volksbefreiungsarmee (bzw. zu Beginn die "Rote Armee"). Der Originaltext und eine englische Wiedergabe hier.

3) Der "Standard" ist eine englischsprachige Publikation. Meine Übersetzung folgt Wu Renhuas chinesischer Wiedergabe des Artikels.

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Fortsetzung folgt, voraussichtlich am Freitag - JR

Eine Art Fortsetzung - Zwischenbemerkungen - hier.

Fortsetzung - basierend auf Wu Renhuas Dokumentation - hier »

Dieser Beitrag ist der erste zweite von mehreren über die chinesische Demokratiebewegung im Jahr 1989. Er basiert auf einem Bericht im Reportagestil, den Wu Renhua, ein früherer Hochschuldozent in Beijing, 2011 zusammenstellte. Daraus wird in diesen Beiträgen keine vollständige Übersetzung seiner Chronologie, und gelegentliche Übertragungsfehler sind nicht unwahrscheinlich. Für entsprechende Hinweise bin ich dankbar.

Wu Renhua bezieht sich zum Teil auf das, was er 1989 selbst sah, und zum Teil auf allgemein zugängliche Dokumente. Konkrete Quellen werden nur sporadisch angegeben, und über die Authenzität mancher der von ihm verwendeten Dokumente lässt sich streiten.

Wu Renhua's Bericht ist hier herunterladbar.

Zum besseren Verständnis: Wu spricht nach chinesischer Gewohnheit häufig von sich selbst in der dritten Person.

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» Hu Yaobangs Tod, 12.05.13

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