Folgt man den Geschichtsbüchern, war der Beitrittsprozess Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft - so hieß der seinerzeit wesentlich kleinere und weniger integrierte Staatenbund damals - kein leichter: sowohl Euroskepsis auf den Britischen Inseln als auch Britenskepsis vor allem auf der französischen Seite des Kanals führten zu langwierigen Verhandlungen. Nach einem Referendum traten die Briten der "European Community" am 1. Januar 1973 bei.
Nun, 43 Jahre später, hat David Cameron etwas mit der EU ausgehandelt, was er zum Besten beider Welten" erklärt hat, und was sowohl er als auch Donald Tusk als"special status" für das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bezeichnen.
Bei den right minds jedoch, also zum Beispiel bei der äußerst konservativen "Daily Mail", gibt es für Cameron ordentlich auf die Fresse: "Wenn er diese Scharade akzeptiert, wird Cameron meines Erachtens sein politisches Todesurteil unterschreiben", drohte Peter Oborne seinem Premierminister. Und der "Spectator" bescheinigte der EU, sie habe David Cameron gezwungen, Farbe zu bekennen - und sie habe gewonnen.
Allerdings seien Camerons Voraussetzungen auch nie gut gewesen, so Oborne in der "Daily Mail", und hebt hervor, was wohl wirklich das beste zweier Welten - für den Premierminister selbst - gewesen wäre: keine absolute Mehrheit im Unterhaus zu gewinnen, wie es ihm im vergangenen Jahr widerfuhr, sondern auf eine Koalition mit den pro-europäischen Liberaldemokraten angewiesen zu bleiben und so die Euroskeptiker in der Konservativen Partei in Schach zu halten.
Oborne:
The truth is that Mr Cameron always prefers the status quo — to work within conventional parameters and to appease rather than confront established interests. These characteristics are shared by his very close aide, Cabinet Secretary Sir Jeremy ‘Cover-Up’ Heywood. Perhaps both men acquired that rigid mindset from their time at Oxford University.
Gleichwohl gilt, dass Norwegen kein formales Initiativrecht in der EU hat:
Another fundamental characteristic of this form of association is that it is reactive. It is carried forward by what happens in the EU. Norway has no formal right of initiative in EU processes, and presents only very rarely proposals to the EU concerning the direction to be taken on particular issues. To the extent that Norway takes any initiatives, it is mainly to achieve association to new areas or bodies that the EU has developed. Through its agreements Norway follows developments in the EU in an increasing number of areas, normally several steps behind and with a certain delay. During the 1990s the EEA Agreement was often referred to as a "fax-democracy". These days it is perhaps more appropriate to say that Norway "downloads" policy and legislation from Brussels. Norway’s European policy first and foremost revolves around following developments in the EU, collecting information about developments and adapting itself to them. Occasionally there are examples where Norway, through various channels, tries to put new issues on the EU’s agenda, especially in areas where Norway has special interests, experience or expertise. But this is more often the exception that proves the rule.
Eine sachorientierte Debatte in Großbritannien müsste also auch die Frage berühren, was denn nach dem Austritt kommen solle - und da stellen sich allein schon im Umgang eines in sich einigen Britanniens mit der EU einige Fragen. Zunächst müsste eine Assoziierung, wenn in London erwünscht, mit Brüssel überhaupt erst verhandelt werden. Da Großbritannien kein unwichtiges Land ist, darf man - trotz einer mutmaßlich starken Motivation in Brüssel und Berlin, vor weiteren Austrittskandidaten ein Exempel an London zu statuieren - von einer grundsätzlichen EU-Verhandlungsbereitschaft hoffentlich ausgehen.
Nun ist aber Großbritannien selbst keine in allen Punkten einige Union. Schottlands Referendum über einen Austritt aus dem Vereinigten Königreich liegt kein Jahr zurück, und ein Austritt des UK aus der Europäischen Union wäre vermutlich der nächste Anlass für ein schottisches Referendum.
Und selbst bei optimal gutem Willen auf beiden Seiten des Kanals - in den kontinentalen nationalen Hauptstädten in der EU und bei den EU-Institutionen - wäre das Beste, was London sich erhoffen könnte, ein dem norwegischen EU-Verhältnis vergleichbarer Status.
Fax-Demokratie? Britische Politik, downloaded from Brussels? Für solche "Errungenschaften" würde Großbritannien handelspolitisch wohl um einige Grade absacken müssen, denn sowohl Washington als auch Beijing haben ausdrücklich ihr Interessen an einem britischen Partner in der EU ausgedrückt.
Die EU hat Cameron nun gezwungen, Farbe zu bekennen. Das ist gut so. Es wäre aber noch besser, wenn jemand die Euroskeptiker zwingen könnte, ebenfalls Farbe zu bekennen.
Dann bekäme die britische Öffentlichkeit eine Debatte, die ihr selbst und auch anderen EU-Mitgliedsländern nützen könnte, denn die bisherige Schwarzweißmalerei der EU-Gegner macht es allen Beteiligten unnötig leicht.
Eine Entwicklung ernsthafter und öffentlich wahrnehmbarer Gegenpositionen gegen die Brüsseler Bürokratie wäre durchaus notwendig. Zum Beispiel den Grundsatz der Subsidiarität anzumahnen, den Eurokraten in ihren Sonntagsreden selbst gerne beschwören, im Alltag aber prinzipiell missachten, wäre ein konstruktiver erster Schritt - je nachvollziehbarer, desto besser.
Alles andere ist Theater.
Kommentare 9
Beginnen muß nun auch die Debatte über den GEXIT!
Solange aus deutscher Sicht Solidarität in der EU eine Einbahnstraße ist, plädiere ich - nach britischem Vorbild - für einen GEXIT. Dieses Feld zu beackern, wäre doch mal eine verdienstvolle Aufgabe für Seehofer und Konsorten.
Verkehrte Welt?
http://youtu.be/QqoSPmtOYc8
Viel Spaß beim Anhören!
Rock-Blogger, Blog-Rocker und Roll'n Rocker Sigismund Rüstig posted auf multimediale Weise Meinungen und Kommentare zu aktuellen Reiz-Themen in Form von Texten und Liedern.
Die Briten sollen sich zum Teufel scheren und aus der EU ausscheiden. Außer Erpressung haben sie nichts mit EU am Hut.
"Fax-Demokratie? Britische Politik, downloaded from Brussels? Für solche "Errungenschaften" würde Großbritannien handelspolitisch wohl um einige Grade absacken müssen, denn sowohl Washington als auch Beijing haben ausdrücklich ihr Interessen an einem britischen Partner in der EU ausgedrückt."
Obwohl man sich den Austritt der Briten eigenlich nicht wirklich wünschen kann habe ich den Eindruck, dass die Inhalte mit denen diese die EU durch die Debatte konfrontieren absolut kontraproduktiv sind.
Ich kann mich da nur dem anschließen, was ich von Augstein dazu im Gespräch mit Blome gehört habe. Das Signal, das von diesem Kompromiss ausgeht, auf den sich die EU hat einlassen müssen ist fatal, gerade in der aktuellen Situation. Wobei es ja mehr als unsicher ist, ob das überhaupt ausreicht um die Briten zu einem Verbleib zu bewegen. Vor dem Hintergrund, dass das Ganze auch für die eine mittlere Katastrophe wäre und dass die Entstehung dieser Debatte in UK auch einen mehr oder weniger innenpolitischen und populistischen Hintergrund hat, frage ich mich wirklich, ob es nicht besser wäre, wenn dieser Austritt per Referendum beschlossen würde. So, wie es ist stärkt das doch, auch im Rest der EU, nur die Kräfte, die ausschließlich an der Politik festhalten wollen, die doch die Grundlage war für die Beteiligung an der Koalition der Willigen, für den Abbau des Sozialstaates seit Thatcher, die Osterweiterung mit all ihren Konsequenzen von der sich die EU ja auch erpressen lassen muss. Dabei hätten die Argumente der Briten gegen die Auswüchse der europäischen Regelwut und den Brüsseler Zentralismus durchaus positive Impulse setzen können. Was im Rahmen der innenpolitischen Interessen, die die Dynamik dieser Fragen dort ja immer noch bestimmt dann wohl unmöglich war.
Ich bin kein professioneller politischer Analyst, aber so wie es sich mit heute darstellt bin ich mir wirklich nicht sicher, ob im Falle Großbritanniens ein Ende mit Schrecken für alle Beteiligten nicht die Medizin wäre, die diesem Schrecken ohne Ende, den wir erleben vorzuziehen wäre. Auch mit Blick auf die Schottischen Separatisten. Zum Glück wird das demokratisch entschieden werden. Und wenn das in einer tages- oder wochenpolitisch ungünstigen Situation geschehen muss, die diese historische Entscheidung beeinflusst, dann würde das in meinen Augen auch unter den Begriff "Schicksal" fallen. Dann soll das auch so sein.
Es mag eine EU ohne Großbritannien geben, aber keine europäische Öffentlichkeit ohne die Briten. Ich bin auch kein Polit-Analyst, aber ich wage die Wette, dass das Referendum zugunsten eines Verbleibs GBs in der EU ausgeht - sonst gehen denen nämlich die Schotten von der Fahne, und das wird zum Leitmotiv der Verfechter des Status Quo.
Warum wäre eine EU ohne GB - oder mit einem GB, das sich still verhält - besser als die jetzige?
"Warum wäre eine EU ohne GB - oder mit einem GB, das sich still verhält - besser als die jetzige?"
Ich habe weder gesagt, dass die EU ohne, noch mit einem GB, das sich still verhält besser wäre, als der Status Quo. Ich haabe mich gefragt, ob die Situation besser wäre, wenn die Briten die EU nicht mehr andauernd mit ihrem Austritt erpressen könnten. Und in dem Zusammenhang frage ich mich immer noch, ob der Zustand, so wie er ist, nicht mehr Schaden anrichtet, als das er Vorteile für die EU bringt. Eigentlich halte ich die Austrittsdrohung ja auch nicht für sehr realistisch, wenn man die Nachteile bedenkt die für die Briten damit verbunden wären. Um so verantwortungsloser kommt mir die Politik vor, die damit gemacht wird. Und die liegt für mich in einem Trend, der sich in einer Linie in der Haltung der Osteuropäer fortsetzt. Dass die Briten das offenbar nicht groß anficht empfinde ich als sehr kurzsichtig und unklug . Darüber hinaus halte ich das für einen Affront, der auf Kosten der Gemeinschaft ausschließlich innenpolitische Interessen bedient. Das ist nicht europäisch, und wenn diese Entscheidung nicht so endgültig wäre, würde ich mich tatsächlich freuen , wenn das für Cameron ein Desaster würde.
Es sollte mich wundern, wenn die deutsche Politik weniger von - elitär, exportwirtschaftlich, etc. - geprägten Interessen geprägt wären als die britische. Das wurde im Verhältnis zu Griechenland doch recht explizit (und gar nicht mehr sonderlich verhüllt) ausgestellt, oder?
Was macht die deutsche Positon europäischer oder solidarischer als die britische?
Ich wüsste nicht, dass ich die Briten als "Deutscher", oder aus einer explizit deutschen Sicht heraus kritisiert hätte. Ich will mich doch nicht zum Anwalt von Merkel und Schäuble&Co machen. Ich bin aber der Meinung, dass man Kritik an einem europäischen Staat, egal ob es der ist, zu dem man sich zählt oder die Briten oder die Osteuropäer, auch aus einer Position heraus üben kann, und sollte, die sich nicht so sehr über nationale Befindlichkeiten und Interessen definiert. Vielleicht ist das ja sogar die Hürde, die wir EU-intern nehmen müssen und ohne die es diese EU nicht mehr lange geben wird. Das sagt m.E. auch nichts darüber aus, dass man Brüssel und die internen Regeln wieder zu mehr Eigenverantwortlichkeit entwickeln und dem Subsidiaritätsprinzip mehr Raum geben sollte. Ich kann das jedenfalls auseinander halten.
Ich haabe mich gefragt, ob die Situation besser wäre, wenn die Briten die EU nicht mehr andauernd mit ihrem Austritt erpressen könnten. Und in dem Zusammenhang frage ich mich immer noch, ob der Zustand, so wie er ist, nicht mehr Schaden anrichtet, als dass er Vorteile für die EU bringt.
Eigentlich haben doch die aktuellen Verhandlungen gezeigt, dass sie das nicht können: Die Zugeständnisse sind ein Witz, aber Cameron ist gezwungen, sie als Erfolg zu verkaufen. Denn GB braucht die EU weitaus dringender als umgekehrt.
Der Zustand mag Schaden anrichten, aber er zwingt auch immer wieder zur Debatte und Hinterfragung. Das verhindert, dass die EU allzuviel Eigenleben entwickelt - aber was wirklich nötig ist, wird dennoch passieren, Stichwort Bankenunion. Da die EU auf Einstimmigkeit beruht, sind wirkliche Integrationsschritte nur in akuten Krisensituationen möglich - was nicht immer schlecht ist, auch wenn es natürlich dazu führt, dass diese Krisen künstlich herbeigeführt werden, siehe Griechenland.
Zwei Anmerkungen zur Debatte:
Cameron ist ein cleverer Spieler. Er hat seinen Vertrauten Boris Johnson mit der "Führung" der nein-Kampagne betraut, damit dieser ihre Argumentation in kontrollierbare und letztlich erfolglose Bahnen lenkt.
Und der (erneute) Übernahmeversuch der Londoner Börse durch Frankfurt ist interessant. Wird hier ein möglicher Deal vorbereitet - London erlaubt die Übernahme, dafür gibt es vom continent kurzfristig weiteres Entgegenkommen, um das Referendum zu gewinnen?