Warum ich Neuland statt SPD wähle

Bundestagswahl Die Wahlkampfplakate sagen es: entweder, den Parteien ist nichts mehr wichtig, oder sie wollen nicht öffentlich über wichtige Dinge reden. Zeit, innovativ zu wählen

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Diese Bundesgswahl ist für mich anders als die vorigen. Ich muss keine Wahlprogramme lesen. Ich werde vermutlich "meine Stimme wegwerfen", wie man das landläufig gerne nennt - und wenn die Partei meiner Wahl tatsächlich die Fünfprozenthürde überspringen würde, wäre mir das weder besonders recht noch besonders unrecht.


Denn kommen ihre Kandidaten rein, werden sie sich, fürchte ich, wie die Wildschweine aufführen. Mir wäre das halbwegs egal; Fremdschämen ist mir fremd, wenn mir ein Thema wirklich wichtig ist. Aber das sieht natürlich nicht jeder so. Darum habe ich ein bisschen Angst vor der Partei meiner Wahl - sie könnte sich blamieren - und viele Wähler sind so drauf, dass sie sich dann gleich mit blamiert fühlen. Aber vielleicht schafft die Partei es ja auch, sich auf ihr zentrales Thema zu konzentrieren, und damit zu überzeugen.

http://justrecently.files.wordpress.com/2013/08/wahlkampfversprechen.jpgAuch ein Wahlkampfversprechen.

Der Punkt ist nämlich der: ich muss die Piraten wählen. Nicht, weil mir das eine Stimme aus einem brennenden Dornbusch erzählt hat, oder weil mein Gewissen mir das vorschriebe, sondern weil ich mir von einem brauchbaren Stimmenanteil für die Piraten eine - und sei es auch noch so begrenzte - disziplinierende Wirkung auf die etablierten Parteien verspreche.

Ich weiß natürlich nicht, ob Ursula von der Leyens Bemühungen um ein harmonischeres Internet - angeblich stand der Kampf gegen Kinderpornografie dabei im Vordergrund, oder ein andermal auch der Schutz minderjähriger Internetnutzer -, verfassungsrechtlich eine echte Chance hatten. Ich weiß aber, dass ich als Internetnutzer nicht nur der Kanzlerin, sondern auch jeder Partei den Buckel runterrutschen kann, wenn es um meine Opposition gegen Ausspähung und Profiling meiner Online-Aktivitäten durch aus- oder inländische Organisationen geht.

Ja - auch den Bündnisgrünen oder der Linkspartei kann ich damit den Buckel runterrutschen. In Koalitionsverhandlungen würden es nämlich vor allem um Brot-und-Butter-Themen gehen, sei es um noch mehr Brot and Butter für die ohnehin schon gut Versorgten der Republik, sei es um Brot und Butter für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, denen die Butter vom Brot genommen wurde. Dieser thematische Vorrang wäre sogar - was ja nachvollziehbar ist - im Sinne vieler Bürgerinnen und Bürger. Allerdings sollten auch diejenigen, für die das Einkommen vorgeht, die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es bei Datenzugang und Datenproduktion um Erwerbsfragen geht.

Die Piraten sind ohnehin nicht die Partei, die für mehr Armut oder mehr Ungleichheit einträte. Ihr angebliches Problem besteht vielmehr darin, dass sie eine monothematische Partei seien.

Also, ich finde, ihr Problem besteht eher darin, dass sie sich die Kritik des Mainstreams zu Herzen genommen haben und versuchen, zu weiteren Themen Positionen zu entwickeln. Das müssten sie gar nicht.
Es gibt für alle größeren wirtschaftlichen Belange eine Lobby. Diese Lobbies dürfen auch in den Bundestag, um dort Abgeordnete in ihren Büros zu besuchen. Ich wähle also diesmal keine Partei, ich wähle eine lupenreine Lobby. Die darf dann (vielleicht) auch in den Bundestag.

Natürlich ist diese Lobby-Auffassung nicht schön. Ich würde das hohe Haus der Demokratie ja auch gerne in einem etwas würdigeren Licht sehen. Aber wenn meine Lobby als Lobby kaum reinkommt, muss sie eben als Partei reinkommen. Oder mit 4,5 Prozent Wähleranteil drohend vor der Tür stehen.

Meine Wahlentscheidung beruht auf einer Theorie - ich sagte es vielleicht schon. Sogar eine zwei- oder dreiprozentige Piratenpartei übt einen gewissen Einfluss auf die Gesetzgebung und auf den Respekt für die Bürgerrechte aus. Außerdem kriegt sie für meine Stimme vielleicht irgendeine Kostenpauschale und kann damit weiterarbeiten.

Darum muss die SPD - leider - auf meine Stimme verzichten. Auch das hat ein paar Vorteile. Zum einen ist Steinbrück für mich zwar kein unsympathischer Kandidat (ich meine das ganz unironisch), aber ich vermute, auch als Kanzler (also, rein theoretisch) hätte er gewaltige Kommunikationsprobleme. Über einen Saal gut gezahlt habender Zuhörer hinaus kann er sich einfach nicht gut genug verständlich machen - das kann nur Gertrud Steinbrück. Dieses Problem würde sogar gelten, wenn Steinbrück als Kanzler eine lupenrein sozialdemokratische Politik machen würde. Davon abgesehen reicht es eh maximal für eine große Koalition, und die wünsche ich der SPD nicht (nicht mal, wenn sie sich selbst eine wünscht). In der Euro-Politik hat die schwarzgelbe Regierung immer nur in letzter Minute agiert - eine proaktive und weniger großmäulige Politik hätte nicht nur den "Krisenländern" effektiver geholfen; sie wäre auch für die BRD langfristig billiger gewesen. Zum anderen war die SPD bisher immer im Pech, wenn ich sie gewählt habe. Also lasse ich es einfach mal.

Die Kiste voller Dreck, die Merkel & Rösler bisher so erfolgreich vor sich hergeschoben haben, sollen sie nach dem 22. September gefälligst selber aufmachen.

Ich wähle die Piraten. Was bleibt mir übrig?

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