Was heißt hier "spannend"?

Wahl einer Präsidentin Der US-Wahlkampf will lebhaft kommentiert werden: aus einem schlechten Fußballspiel kann man sich schließlich auch nicht einfach so ausblenden.

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Die derzeitigen US-Wahlen sind nicht sonderlich spannend. Aber man kann sie spannend machen:

On Tuesday, November 8, all eyes will be on America, as voters choose the next US president! Tune in to our reliable and comprehensive coverage, with our correspondents around the country, and around the world!

jubelt der US-Auslandssender "Voice of America", der tapfer die alle vier Jahre anstehende Begeisterungsroutine durchzieht.

Drehbuch einer Tragödie, titelt hingegen der "Spiegel". Auf elf werbefreien Seiten, allerdings bis an die Schmerzgrenze bebildert, lassen fünf Redakteure bzw. Korrespondenten das Wahljahr Revue passieren und "rekonstruieren in der Titelgeschichte, wie es möglich gewesen sei, dass Donald Trump zum Rivalen Hillary Clintons aufsteigen konnte."

"Welt"-Korrespondent Clemens Wergin versucht derweil zu erklären, warum bei den Demokraten Clinton das Rennen zur Nominierung machen konnte: sie sei, verglichen mit einem "anderen Populisten, den bekennenden Sozialisten Bernie Sanders", das "kleinere Übel" gewesen, und sie

"wurde aufgestellt, weil es außer Obama niemanden gibt auf der Linken, der der Clinton’schen Geld- und Einflussmaschine Paroli bieten kann und weil die Clinton-Dynastie glaubte, nun noch einmal dran zu sein, nachdem Obama Hillary Clinton beim ersten Anlauf die Krone weggeschnappt hatte."

Letzteres dürfte schon eher hinkommen.

Spannend könnte hingegen das erste Amtsjahr der gewählten Präsidentin, oder des gewählten Präsidenten, werden. Clinton wird weiter von Affären verfolgt werden, die, so ihre Gegner nichts "Besseres" finden, Jahrzehnte zurückreichen dürfen, und Trump würde, ggfs. nach einem oder zwei vergeigten Versuchen als Friedefürst, →Halt und Trost in den Armen des militärisch-industriellen Komplexes suchen.

Weder Clinton noch Trump stehen für eine Politik des internationalen Ausgleichs, und schon gar nicht für eine Befriedung Amerikas nach innen, und Drittkandidaten erhalten so gut wie keine öffentliche Beachtung.

Und das Rennen um die Präsidentschaft?

Das ist doch kein Rennen! Klar: würde Clinton sich für die letzten zwei Wahlkampftage ins Kloster zurückziehen, oder würde der mediale Mainstream sich schlagartig gegen sie richten, hätte sie schlechte Karten.

Aber das ist graue, bzw. alarmistisch-rote Theorie. Die Amerika-Korrespondentin Barbara Jentzsch warnte zwar, Trump könne noch gewinnen, schrieb aber außerdem in einem am Samstag veröffentlichten Artikel:

Auch bei den alles entscheidenden Wahlmännern hat Hillary zwar abgebaut, doch die Führung behalten. 270 Wahlmänner-Stimmen sind nötig, um zu gewinnen. Donald Trump kann sie nur auf sich vereinen, wenn er Florida, North Carolina und Ohio gewinnt. Selbst wenn ihm das gelingen sollte, bräuchte er noch den Sieg in allen anderen, den Republikanern zuneigenden Bundesstaaten. Hat er die auch eingesackt, so rechnet das New Yorker Magazin, "fehlen Trump immer noch elf Wahlmänner-Stimmen, die er sich irgendwo besorgen muss".

Wohlgemerkt: das waren Zeilen, die vermutlich unter dem Eindruck der schnell noch mal aufgetauten, seitdem aber erneut wieder eingefrorenen Email-Affäre entstanden.

Dass jede Bagatelle zum Politikum gehyped wird, dürfte sich in der Nacht zum Mittwoch wieder in Erinnerung bringen. Auch vor vier Jahren war so getan worden, als sei der damalige republikanische Kandidat Mitt Romney eine ernsthafte Gefahr für eine zweite Amtszeit Barack Obamas. Die "Bedrohung" fiel in sich zusammen wie ein angepiekster Niveaball. Mit Trump wird es nicht anders sein.

Clinton wird gewinnen, und danach wird sie eine Präsidentin im Belagerungszustand sein. "Besieged from Day One", um einen ihrer Slogans aus den Primaries 2008 abzuwandeln.

Und was macht ein Präsident, wenn er zu Hause unter Druck gerät? Na, was schon.

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Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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