Fast jeden Tag ist meine Empörung gefragt.
Geht es nach dem, was mir aus dem Mainstream einfällt, soll ich mich über die ISIS empören, oder über Putin, über seine Fuffzigcenter, oder über die Raucher.
Die zwei hauptsächlichen Anlässe zur Empörung, die mir zur Zeit "von links vom Mainstream" oder "von rechts vom Mainstream" einfallen, scheint zum einen der Zustand der Mainstream-Medien in Deutschland zu sein, und zum anderen die eine oder andere Form der Religionsausübung. Demnächst fallen mir bestimmt auch wieder andere Anlässe ein. Das hängt vom Agendasetting anderer Leute ab. Man ist ja schließlich keine Insel.
https://justrecently.files.wordpress.com/2014/05/xi_merkel.jpgGlaubt sie das, oder interessiert es sie nur? Xi Jinping stellt Angela Merkel zwei Werke Jiang Zemins zu den Themen Energiewirtschaft und Informationstechnologie vor. (Oktober 2009, via Xinhua / Xinmin Evening Post)
Als Anlass zur Empörung gelten zum Beispiel die Kirchen, oder überhaupt gleich alle Religionsgemeinschaften (über den Buddhismus wird dabei, so scheint mir, auch unter den Empörten noch gestritten - vielleicht bekommt er mildernde Umstände). Ich soll anerkennen, dass Religionen zur Verblödung führen. Ich soll mich dafür stark machen, dass die Kirchen keine Staatsleistungen mehr erhalten.
Ja, stimmt - die Kirchen bekommen jährlich Staatskohle: 279 Millionen Euro gab es laut "Der Freitag" allein 2013 für die evangelische, 202 Millionen Euro für die römisch-katholische Kirche.
Aber das regt mich nicht auf. Es löst in mir keinen Widerstandswillen aus. Wenn mir eine Volksabstimmung geradezu hinterhergeschmissen würde, stünde mein Kreuz vielleicht tatsächlich bei Einmal 4,81 Milliarden Euro Ablöse, und dann ist Ruhe.
Kann sein, dass die Kirchen mein Kreuz am Volksabstimmungsstag auf sich nehmen müssten und darunter zusammenbrächen.
Aber es gibt Wichtigeres als mein Kreuz. Fast immer ist die Begegnung mit einer heute existierenden Religion persönliche Erfahrungssache, und nicht eine der Religion an sich. Es gibt religiös geprägte Eltern und Erzieher, die Kindern eine Menge Gründe geben, ihre Religion zu hassen. Es gibt auch Eltern mit nicht-religiösen Weltanschauungen, die ihren Kindern eine Menge Gründe geben, ihre Nicht-Religion zu hassen. Manchmal wiederum staunt man darüber, was Eltern alles mit ihren Kindern aufstellen können, ohne dass es die Kinder besonders anfrisst. Und manchmal wundert man sich darüber, wie "richtig" Eltern "alles" zu machen scheinen, und trotzdem erweist sich das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern als dauerhaft belastet oder zerstört.
Ich rege mich nur selten über Religionen auf, weil sie als Welterklärung von sehr überschaubarem Gewicht sind. Sie erklären nicht einmal jeden Konflikt, in dem sie Erwähnung finden. Schon gar nicht erklären sie auch nur die Mehrzahl der Konflikte zwischen Menschen.
Darauf zu bestehen, die Welt sei in sieben Tagen erschaffen worden, erscheint mir unklug.
Darauf zu bestehen, alle Gläubigen glaubten an die Siebentagegeschichte, erscheint mir nicht weniger unklug. Es gibt Atheisten, die sich ihre Gläubigen so basteln, wie sie sie gerne hätten, damit sie ihnen auch ja nicht aus dem Klischee fallen.
Ich glaube nicht, dass es so viele Religionen gäbe, wie es religiöse Menschen gibt. Mir scheint, dass Menschen vieles von dem, was Theologen oder religiöse Philosophen zur einer Art Norm entwickelt haben, auch als eine Art Norm akzeptieren oder gleichgültig hinnehmen - so, wie sie auch das akzeptieren oder hinnehmen, was weltliche Gesetzgeber und ihre gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Zulieferer in Lauf der Jahrzehnte oder Jahrhunderte zur Norm entwickelt haben.
Aber entscheidend ist, wie derart Überzeugte - ob nun Atheisten oder Religiöse - mit der Freiheit Andersdenkender (oder -gläubiger) umgehen. Und da muss ich in der Mehrzahl der Fälle nicht die Religionen kritisieren, um meine Freiheit oder die Freiheit anderer zu verteidigen.
Bei der Respektierung meiner Freiheiten kommt es nämlich nicht darauf an, was mein Mitmensch glaubt, sondern darauf, was er tut. Es kommt darauf an, wie kontrollierbar und rechenschaftspflichtig oder wie unkontrollierbar und unverantwortlich seine Macht ist. Was er glaubt, ist nicht mein Bier - es sei denn, er will mir davon erzählen, und ich will es hören.
Was er glaubt, ist seine Sache, und seine Freiheit.
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Kommentare 18
Ich hatte ehrlich gesagt auch noch nie ein echtes Problem mit einem echten Menschen wegen seiner Religion. Religiöse Menschen sind einzeln genauso ungefährlich oder "normal" wie alle anderen. Religionen sind auch nur eine von vielen Massen schaffenden Konzepten/Ideologien. Aber wenn die Masse der erzkonservativen Christen in den USA mehr oder weniger von der Industrie unterfüttert die Ergebnisse der Wissenschaften in das Reich der manipulativen Träume wegverortet und den Kindern wieder Blödsinn von der 6000 Jahre alten Erde indoktriniert werden soll, wenn Millionen Frauen zum reinen Objekt reduziert werden weil machtgeile Männer in einem Buch das sich prima zur Gedankenkontrolle verwenden lässt Argumente dafür finden, herrschaftliche Willkür über das andere Geschlecht walten zu lassen, dann finde ich darf man sich schon empören. Es bringt zwar nichts und auch diese Empörung bietet die perfekte Projektionsfläche für Missbrauch, wie man beispielsweile in Köln gesehen hat oder wie man es von Seiten der US-Politik immer wieder leidvoll miterleben muss, aber so bisschen in sich rein empören ist schon okay. ;)
Das Bipolare im ultimativen Sachverhalt, die reelle Gültigkeit ... könnten Sie das erläutern? Zum Beispiel anhand des Abschusses des malaysianischen Flugzeugs über der Ukraine. ;) Ich wage zu behaupten dass es dazu sicherlich einen Ja/Nein-Fakt gibt bezüglich wer das Ding abgeschossen hat. Aber da hört der ultimative Sachverhalt auch schon auf. Denn dann kommen die Warums und die Wodurchs und die Woraufhins und machen das gute alte Bipolarlicht zunichte.
"Bei der Respektierung meiner Freiheiten kommt es nämlich nicht darauf an, was mein Mitmensch glaubt, sondern darauf, was er tut."
Ja richtig, aber zum Problem wird es doch, "weil er tut, was er glaubt". Dabei hilft auch nicht, wenn es in den Schriften anders steht. Wer etwas sehen (lesen) will, wie es zu seinem Weltbild passt, oder er es so sieht, wie es sich nur aus seinem Weltbild ergibt, der hat Schwierigkeiten mit unserer pluralistischen Gesellschaft. Und es wird damit auch zu unserem Problem.
Ich kann zwar Religion für mich relativieren, aber das Thema wird mir aufgezwungen.
Ist ja nicht verboten, sich zu empören. Ich habe nur überhaupt keine Lust dazu. Damit verpasse ich mir keineswegs einen Maulkorb. Wenn die Rechte von Mitbürgern oder in diesem Kontext vielleicht noch öfter Mitbürgerinnen verletzt werden, muss ich im Rahmen meiner Möglichkeiten helfen.
Aber eben auch nur dann. Egal, ob das Problem aus religiösen oder anderen Gründen entsteht.
und den Kindern wieder Blödsinn von der 6000 Jahre alten Erde indoktriniert werden soll
Das mit den Kindern ist immer der schwierigste Aspekt. Darum werden Kinder ja auch so gerne als Zeugen fürs jeweils eigene Anliegen - also für ganz verschiedene Anliegen - in Anspruch genommen. Zensursula hat es vor einigen Jahren vorgemacht.
Ich glaube nicht, dass Kinder in religiöser Hinsicht besonders schutzbedürftig wären, nur weil sie von ihren Eltern erzählt bekommen, dass die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde (am siebten Tag ruhte der HErr ja, fällt mir gerade wieder ein), und andererseits von ihren Lehrern, dass es etwas länger dauerte.
Das sind Dissonanzen, mit denen die meisten Kinder (nach meiner Wahrnehmung) ganz gut klarkommen. Im besten Fall lernen sie gleich, dass nicht alle Erwachsenen immer in gleicher Weise Recht haben können.
Schwieriger wird's vermutlich, wenn Eltern und Lehrer durchweg von der Sechstageschöpfung reden. Aber das ist dann nicht nur ein Problem für Kinder, sondern eins für alle.
@ JR
"Fast immer ist die Begegnung mit einer heute existierenden Religion persönliche Erfahrungssache, und nicht eine der Religion an sich."
Das kann man von sich sagen, wenn man mit die Strukturen, in denen sich Religion darbietet, außen vor lässt bzw. mit ihnen nicht konfrontiert ist. Tatsächlich ist es nicht eine Frage des freien Willens, Religion zu begegnen, wenn etwa die in Reichweite liegenden Kitas von den Kirchen betrieben werden und keine andere Möglichkeit besteht, sein religionsfreies Kind unterzubringen. Ähnliches erlebt man in Schulen. In baden-württembergischen Grundschulen gibt es keinen Ethik-Unterricht. Da bleibt nur rk oder ev. Jüngst hat eine Mutter einen Prozess verloren, die erreichen wollte, dass Ethik-Unterricht angeboten wird.
Sind Kinder in Baden-Württemberg unter diesen Umständen zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet? Meines Wissens liegt die Entscheidung darüber - lt. GG - bei den Eltern.
Das ist richtig. Doch man beachte die daraus resultierende konkrete soziale Situation für das Kind, das während der religiösen Unterweisung in eine andere Klasse muss.
Ist der - vermutlich einstündige - Aufenthalt in einer anderen Klasse nicht eher eine Unbequemlichkeit als ein Zwang zum Umgang mit der Religion? Ich erinnere mich an unsere Diskussionen im Sommer und stimme Ihnen darin zu, dass der Religionsunterricht privilegiert ist vor dem Ethikunterricht.
Aber dabei bleibt für mich unklar, was die Befürworter des gleichberechtigten Ethikunterrichts motiviert - angesichts der Tatsache, dass Religionsunterricht und Ethikunterricht doch weitgehend Sockenpuppen der gleichen Veranstalter (bzw. Kursentwickler) sind.
Hier scheint mir noch nicht einmal geklärt, ob der Religionsunterricht das grundsätzliche Problem ist. Bekämen die Eltern einen Rabatt, auf Grund dessen ihr Kind fünf Prozent des Unterrichts unentschuldigt versäumen dürfe, wäre das Thema bereits abgehakt, oder? (Es gibt ja auch Kinder, die ein Riesenproblem mit dem Schulsport haben.)
Ich finde schon, dass die systematische Einflussnahme von Organisationen - ob Bertelsmann oder Kirchen - ein echtes Problembewusstsein erforderlich machen. Der Blick nur auf die Kirchen aber macht das Problem m. E. noch nicht einmal erkennbar.
Religionen sind ihrer Natur nach eben nicht tolerant.
Kann ich nicht so recht nachvollziehen. Mir scheint, Christentum und Islam haben Türen für beides: Toleranz einerseits und Zwang zum Glauben (oder zum So-tun-als-ob-man-glaubt) andererseits. Im Christentum scheint mir die Toleranzpflicht, dem neuen Testament nach, sogar zu überwiegen - dem "Weltgericht" hat niemand vorzugreifen. Wenn also die Religion ihrer "Natur" (oder schlicht ihren Schriften) nach in der Welt tolerant sein muss, ist sie m. E. auch mit der Welt kompatibel.
Dass Absolutheitsansprüche auf manche Gläubige abfärben, würde ich nicht bestreiten. Aber jeder Gläubige hat ein Recht darauf, nach seinem persönlichen Verhalten beurteilt zu werden.
"über den Buddhismus wird dabei, so scheint mir, auch unter den Empörten noch gestritten - vielleicht bekommt er mildernde Umstände"
Herzlichen Dank Euer Ehren.
Nun ja - ich habe nicht den Eindruck, dass Faktenorientierung das entscheidende Motiv der meisten Religionskritiker ist. Vielleicht lassen sich viele Zeitgenossen ja von einem von ihnen selbst gehegten Verdacht in Rage bringen, Gläubige seien "Bessermenschen" oder Heuchler.
Aus einem solchen Verdacht entsteht sehr schnell ein, sagen wir mal, enormes Kritikgefälle, in dass man sich gerne hineinstürzt.
;-)
OK, wie tötet Empörung?
Ich vermute, es gibt mehr als eine Erklärung. Eine "unschuldigere", aber ebenfalls brisante:
Es gibt unter den "Religiösen" Fundamentalisten - je nach Glaubensgemeinschaft oder Örtlichkeit sind sie unter Umständen in der Mehrheit, oder tonangebend.
Das gibt es aber auch unter Atheisten - wie Sie selbst anmerkten. Aber weder Fundamentalisten des Religiösen, noch Fundamentalisten des Atheismus oder sonst einer Weltsicht müssen Rassisten sein.
Vielleicht beleidigt ja der religiöse Fundamentalist des einen "Lagers" ganz besonders den Fundamentalisten des anderen nominellen "Lagers" - sogar, wenn er das gar nicht beabsichtigt, einfach nur, indem er seinen Fundamentalismus predigt.
Dann haben wir allerdings das, was Cartoonisten gemeinhin so abbilden:
http://mrwgifs.com/wp-content/uploads/2013/08/Old-Cartoon-Fight-Animation-Gif.gif
Es ist schwer zu stoppen, und kommt in seiner Wirkungsweise dem Perpetuum Mobile sehr nahe.
Nur zur Energiegewinnung taugt es nicht. Sonst wäre es ja für etwas gut.
Das macht einen ja fast schon sprachlos vor lauter Überzeugungskraft: Sich gegen Kritik zu immunisieren versuchen, indem man den Kritikern einfach die Kompotenz abspricht. Und diese Minderbemittelten "plappern" auch noch "nach, was in der Presse steht", pfui. Woher, @Graffiti, beziehen eigentlich Sie Ihren Kenntnissreichtum? Etwa direkt vom heiligen Geist? Das erklärt natürlich die fehlenden Quellenangaben. Außerdem ist der bestimmt froh über jeden, der ihm überhaupt noch irgend etwas "nachplappert" angesichts der niederschmetternden Besucherzahlen bei seinen sonntäglichen Propagandaveranstaltungen
Ich weiß nicht, ob ich dich hundertprozentig verstehe, Tai De. Zum einen ist z. B. die heutige chinesische gesellschaftliche Realität nicht vom Himmel gefallen pardon, nicht spontan oder zufällig entstanden. Beim Schaffen gewünschter Realitäten überlassen die chinesischen Eliten, vorsichtig ausgedrückt, weit weniger viel dem Zufall als die hiesigen.
Für Japan mag sogar ähnliches gelten, was den Konformismus betrifft. Es ist also nicht nur eine Frage des politischen Systems - aber im mittlerweile recht demokratischen Taiwan sieht das schon nach dreißig Jahren Übung ganz anders aus als in Japan und China. Insofern ist der "Ferne Osten" selbst innerhalb des mehr oder weniger konfuzianischen Kulturkreises nicht einheitlich - nicht einmal trendwise.
Hinsichtlich der Medien glaube ich verstanden zu haben. Kommerzielle Medien haben z. B. auf reale wirtschaftliche Mächte Rücksicht zu nehmen; zum anderen aber auch auf Leserinteressen. Und da geht es sicherlich auch um eher niedere Instinkte, um Angst, Hass und Verfolgungswahn.
Ich erlaube mir, aus einem Kommentar von Columbus zu zitieren, mit der Anmerkung, dass der das in diesem Kontext nicht notwendigerweise billigt und dass der Kommentarauszug in seinem Sinne aus dem Zusammenhang gerissen sein mag. Ich klaue ihm also Worte, und verwende sie in meinem Sinne:
Leider glauben immer noch viele Bürger, der bösartigste Feind der Gesellschaft komme von den Rändern oder von Undefinierbar und Unbekannt. Dabei erledigt in Demokratien immer die angestrebte Mitte, die Mehrheit, das Geschäft der Zerstörung.
Ich habe hier keine Bringeschuld zu erfüllen, @Graffitti, Sie sind doch derjenige, der mit Pauschalurteilen um sich wirft. Aber bitte sehr: Zu aktuellen Debatte kann ich beispielsweise den hpd empfehlen, als Religionskritiker selbstredend Karlheinz Deschner und sein Lebenswerk.
Und das wird wohl durch die Nahrung breitflächig verteilt und so in den Gehirnen angereichert und dauerhaft wirksam.
Mir scheint, die von Ihnen beschriebene Gruppendynamik hat auch schon sehr gut funktioniert, als die Menschen sich sehr viel natürlicher ernährten als heute, Chrislow. Schon von daher finde ich die "Vergiftungstheorien" wenig glaubhaft.
Eine Bringschuld gibt es in einer Diskussion sicher nicht, Herr Gerland. Wer allerdings in der FC mit einem Rundumschlag gegen Gläubige einsteigt wie »diesem, und dann bei kritischem Nachfragen auf für ihn gültige Werke verweist (anstatt einen Versuch zu machen, ihre Relevanz herauszustellen), verhält sich m. E. auch nicht anders als ein religiöser Fundamentalist, der kritischen Fragestellern sagt: "Lies die Bibel (den Koran) - steht doch alles drin!"