Zhou Yongkang "unter informellem Hausarrest"

Halbtote Tiger. Über den Verbleib und die Zukunft Zhou Yongkangs, dem früheren Sicherheitsminister, weiß man nicht viel. Über die Zukunft der Antikorruptionskampagne wird spekuliert.

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Auch in China interessiert sich nicht jeder Mensch für Politik. Aber so gut wie jeder erwachsene Mensch dürfte wissen, wer Zhou Yongkang ist. Zhou war von 2007 bis 2012 Mitglied der ständigen Kommission des Politbüros der KP Chinas. Unter den seinerzeit neun Mitgliedern dieses zentralsten Machtorgans galt er zwar als der rangniedrigste Politiker, war aber außerdem - ebenfalls von 2007 bis 2012 - Minister für öffentliche Sicherheit.

Begonnen hatte seine Karriere aber in der Öl- und Gasindustrie Chinas, zunächst als Techniker und später als Manager und als Funktionär.

Bis Oktober 2007 blieb er schließlich Minister für öffentliche Sicherheit, und bis November 2012, dem 18. Parteitag der KP Chinas, im ständigen Komitee des Politbüros. Als Siebzigjähriger hatte er ohnehin die Altersgrenze für aktive Funktionäre erreicht.

Aber schon ab 2010 beschäftigten die - ausländische - Presse ganz andere Belange Zhous - es ging um große Geschäfte. Dann ereignete sich die Bo-Xilai-Affäre, offenbar völlig überraschend für In- und Ausland. Bo Xilai war Parteichef der provinzfreien, regierungsunmittelbaren Stadt Chongqing. Sein Sicherheitschef Wang Lijun floh in das amerikanische Konsulat und packte angeblich über Bo Xilai'sche Machenschaften aus. Hier wiederum war die ausländische Geschäftswelt involviert, denn der Brite Neil Heywood war - angeblich - auf Veranlassung der Ehefrau Bo Xilais umgebracht worden.

Bis zu diesen dramatischen Befunden, mit denen es Bo Xilais zahlreichen Gegnern gelang, ihn zu stürzen, hatte das Ausland mehr oder weniger unkritisch angenommen, der Brite sei eines natürlichen Todes gestorben. Danach glaubte man ebenso selbstverständlich oder weitgehend den Ermittlungsbehörden und dem Gericht, das Bo's Ehefrau Gu Kailai schuldig sprach.

Zhou Yongkangs Problem waren offenbar seine engen Verbindungen mit Bo Xilai. Und nachdem man ihn schon einmal im Visier hatte - auf Bo Xilais Abgang und darauf, ihn vor Gericht zu stellen, hatte sich die Parteiführung immerhin schon geeinigt -, wurde gegen zahlreiche Funktionäre und Energiemanager ermittelt, die Zhou mutmaßlich nahestanden. Ein Blick auf die denkbaren Dimensionen der Ermittlungs- und Verhaftungswelle: mehr als 300 Verwandte, politische Verbündete, Protegés und (auch frühere?) Mitarbeiter Zhou Yongkangs sollen laut einem "Reuters"-Bericht verhaftet worden sein - Stand in etwa Ende März.

Die Gerüchteküche traute dem alten Chef der chinesischen öffentlichen Sicherheit sogar einen Putsch gegen den damaligen Staats- und Parteichef Hu Jintao und den damaligen Regierungschef Wen Jiabao zu.

Aber richtig Fahrt nahmen die Ermittlungen gegen Zhou nach der Übernahme der Partei- und Staatsführung durch Xi Jinping - Ende 2012 bzw. Anfang 2013 - auf, der öffentlich gelobte, weder "Fliegen" noch "Tiger" - also weder "kleine" noch "große" Funktionäre ungeschoren zu lassen, die sich der Korruption schuldig gemacht hatten. Jetzt war der Tiger Zhou Yongkang "dran". Inzwischen sei Zhou ein halbtoter Tiger, der seine Zähne und Klauen verloren habe, ließ ein China-Korrespondent im Dezember die Leser des "Sydney Morning Herald" wissen.

Nun müsse es allerdings auch gut gewesen sein, forderten angeblich Xis Amtsvorgänger Hu Jintao (2002 - 2012) und Jiang Zemin (1989 - 2002). So jedenfalls wollen es drei anonyme Quellen wissen, die im April von der "Financial Times" zitiert wurden.

http://justrecently.files.wordpress.com/2014/05/xi_merkel.jpgLesetipps für die Kollegin in Berlin: neues vom Seniorchef (Xinmin WB, Shanghai, 13.10.09).

Als überraschend ließe sich vor allem Jiang Zemins Intervention insofern bezeichnen, als er als der wichtigste Verbündete Xi Jinpings überhaupt gilt. Dem "Jiang-Lager" verdankt Xi angeblich weitgehend seine Führungsfunktionen, und den Ruhm seines Mentors trug er bis nach Berlin: im Oktober 2009 versuchte Noch-Vizeparteichef Xi, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel die gerade rechtzeitig für die Frankfurter Buchmesse publizierten neuesten Weisheiten Jiang Zemins näherzubringen.

Aber nachdem Jiang um 2012 Berichten zufolge sogar den Sturz Zhou Yongkangs akzeptiert hatte - der wiederum ein mutmaßlich-langjähriger Verbündeter Jiang Zemins gewesen war - möchten nun offenbar beide noch lebenden Amtsvorgänger Xi Jinpings, dass das energische Antikorruptionstöpfchen jetzt wieder aufhöre zu kochen - bevor die Ermittlungen sich unkontrollierbar ausweiten. Ohnehin gelten von der Partei deklarierte Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung aus Sicht nicht allzu idealistischer Beobachter vor allem als Mittel zur Ausschaltung politischer Gegner und keineswegs als Selbstzweck.

Zhou soll sich mittlerweile unter informellem Hausarrest befinden - es bleibt dabei einstweilen offen, ob ihm - wie zuvor Bo Xilai - der Prozess gemacht werden soll, aber es scheint mehr dagegen als dafür zu sprechen: ein solches Verfahren wäre "ziemlich destabilisierend" für den Zusammenhalt der Parteiführung, zitierte die "Voice of America" im April einen Beobachter.

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