In keinem Bundesland leben so viele Schweine und Hühner wie in Niedersachsen: Im Mai 2016 gab es dort 85,7 Millionen Hühner von bundesweit knapp 160 Millionen, im Jahr darauf wurden mehr als 8,5 Millionen Schweine gezählt, in ganz Deutschland sind es etwas mehr als 27 Millionen. Die Ställe ballen sich im Nordwesten des Bundeslandes, und weil die darin gehaltenen Tiere Tag für Tag große Mengen Kot und Urin hinterlassen – mehr als die in der Nähe liegenden Flächen aufnehmen könnten –, gibt es Streit.
Eigentlich sind die Hinterlassenschaften der Tiere wertvoll für die Pflanzen; ohne zusätzlichen Stickstoff gäbe es kein Getreide, kein Gemüse, kein so saftiges Heu. Doch der 2017 zum dritten Mal vom grünen Landesagrarminister Christian Meyer und der Landwirtschaftskammer vorgelegte Nährstoff-Bericht macht das Problem deutlich: 58,7 Millionen Tonnen Gülle, Gärreste und Jauche sind 2016 zusammengekommen, es besteht ein Flächendefizit von 20.000 Hektar, was heißt: Um die Grenzwerte für die Stickstoff-Ausbringungen einhalten zu können, hätte Westniedersachsen eine zusätzliche Fläche von 40.000 Fußballfeldern zur Verfügung haben müssen. Vielen Menschen stinkt das gewaltig.
Umweltverbände und Bürgerinitiativen verweisen auf überdüngte Bäche, Seen und Meere. Sie zeigen, dass Ammoniak aus der Tierhaltung nährstoffarme Lebensräume wie Moore zerstört und damit mitverantwortlich ist für das Schwinden der Artenvielfalt. Der Verband der Wasserwerke hat sich mittlerweile eingeschaltet und warnt, dass die Trinkwasserpreise durch die Decke gehen werden, wenn in den Tierhaltungsregionen aufwändige Wasseraufbereitung nötig wird, damit das wichtigste Lebensmittel überhaupt genießbar ist. Der Verband hat Rückenwind aus Brüssel: Schon 2014 drohte die EU mit Klagen gegen die Bundesrepublik, weil Deutschland die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie nicht einhält und im Wasserschutz zurückbleibt, im November 2016 strengte die Kommission die Klage an, es drohen hohe Strafzahlungen.
Dünger und Argwohn
Nach mehrjähriger Verzögerung beschloss der Bundestag in diesem Jahr endlich eine Änderung im Düngegesetz und eine neue Düngeverordnung, die die „gute fachliche Praxis“ für den Umgang mit Wirtschafts- und Mineraldüngern festsetzt (der Freitag 26/2017). Sie regelt, was beim Ausbringen stickstoffhaltiger Düngemittel zu beachten ist, dass grundsätzlich 170 Kilogramm Stickstoff pro Jahr und Hektar genug sind und dass die tolerierte Überdüngung künftig nicht mehr als 50 Kilo Stickstoff pro Hektar betragen darf. Bislang waren es 60 Kilo. Allein diese Änderung jedoch macht aus dem Flächendefizit der niedersächsischen Tierhaltungsregionen wieder 100.000 Hektar.
Neu im Paket der relevanten Gesetze ist die vom Bundestag verabschiedete Stoffstrombilanz-Verordnung. Sie ist Ergebnis intensiver Diskussionen und Forderungen unter anderem der Umweltverbände und des Umweltministeriums. Denn sie regelt die Erfassung der Nährstoff-Ströme rund um die landwirtschaftlichen Betriebe. Die Befürworter dieser „Hoftorbilanz“ erhoffen sich bessere Regelungsmöglichkeiten, wenn konsequent dargestellt wird, wie viel Stickstoff einen Hof erreicht, etwa durch zugekauftes Düngemittel, durch Futter oder Tiere und wie viel ihn verlässt, bei der Ernte oder in Form von Gülle. Gegner warnen insbesondere vor zu viel zusätzlicher Bürokratie. Kurz vor der Bundestagswahl hätte der Bundesrat die Verordnung behandeln sollen; den Grünen war sie zu lasch, der CDU zu konsequent. Diskussion und Beschlussfassung wurden abgesetzt und können nun frühestens bei der nächsten Sitzung Anfang November auf der Tagesordnung stehen.
Die Bauernschaft ist in der Frage der Düngegesetze gespalten. Agrarminister Meyer sah sich bei vielen Veranstaltungen wütenden Landwirten gegenüber, die ihm vorwarfen, ihnen zu viel zuzumuten. Sie klagten zudem über Feindseligkeiten ihrer nicht landwirtschaftlich tätigen Nachbarn, die jede Düngung mit Argwohn und bösen Worten begleiteten.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat sich hingegen der Forderung der Umweltverbände und der Wasserwerke nach flächengebundener Tierhaltung angeschlossen. Das meint eine Anpassung der Zahl der Tiere an die vorhandenen Flächen eines Betriebes. Wenn Kühe, Hühner oder Schweine satt werden von Gras und Futterpflanzen ihres Hofes, passt auch der Dünger, den sie dafür spenden, um die Flächen fit zu halten.
Aber die niedrigen Preise für Schweine- und Hühnerfleisch machen es extrem schwer, mit weniger Tieren einen Betrieb profitabel zu halten. Höfe mit vielfältiger Produktpalette und erfolgreicher Direktvermarktung haben die besten Karten, auch mit einer Bio-Zertifizierung kommt mehr in die Kasse. Wer allerdings der Landberatung folgte, die über viele Jahre einseitige Spezialisierung auf ausschließlich Schweine oder Hühner propagierte, hat kaum eine Chance, kurzfristig umzusteuern. Umweltverbände, Tierschützer und progressive Bauern fordern Umstellhilfen, auch Konsumenten müssten beim Einkauf tierischer Produkte umdenken. Agrarsubventionen sollten an mehr Tierwohl und geringere Tierzahlen gekoppelt werden.
Saure Bauern
Mit dem Nährstoffbericht hat der Grünen-Minister Meyer in der zurückliegenden Legislaturperiode durchaus Maßstäbe für andere Bundesländer gesetzt und zudem klar Position für eine konsequente Düngeverordnung bezogen und wurde dafür immer wieder vom niedersächsischen Bauernverband angefeindet. Der CDU-Spitzenkandidat bei den vorgezogenen Landtagswahlen an diesem Sonntag, Bernd Althusmann, stellte kürzlich Barbara Otte-Kinast als Schattenministerin für das Ressort vor – sie ist Vorsitzende der niedersächsischen Landfrauen, laut Selbstdarstellung „das Sprachrohr für alle Frauen im ländlichen Raum“. Otte-Kinast fand in der Vergangenheit auch Lob für den grünen Amtsinhaber und erklärte, an der Düngeverordnung nicht rütteln zu wollen, wenngleich sie den Landwirten mehr Zeit für deren Umsetzung zugestehen will.
Tatsächlich aber zeigen die Wahlprogramme große inhaltliche Unterschiede zwischen den Parteien: Während die CDU vor allem auf das Prinzip der Freiwilligkeit setzt, wollen die Grünen die Tierzahlen senken und an die Agrarflächen binden, nicht nur gegen die Nitrat-, sonder auch gegen die Phosphat-Belastung vorgehen und Ackerrandstreifen nicht düngen lassen, um die Artenvielfalt zu stärken. Ähnliche agrarpolitische Positionen vertritt die Linke, der laut Umfragen der Einzug in den Landtag knapp gelingen könnte. Die SPD will den Nitratkreislauf stärker kontrollieren und den Transport von Gülle aus den Tierhaltungsregionen heraus verbessern. Immerhin hat auch sie sich nun die Forderung nach einer Koppelung der Tierhaltung an die vorhandenen Agrarflächen zu eigen gemacht. Derweil will die FDP Gülle von West- nach Ostniedersachsen abfahren lassen und fordert einheitliche Messverfahren in der EU. Ihr agrarpolitischer Sprecher, Hermann Grupe, spricht gern von der „Nitrat-Lüge“, weil sich Messstationen hierzulande vor allem an kritischen Orten befänden, anders als vielerorts in Europa.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.