Das kommt von ganz oben

Sicherheit Die Bundeswehr will bewaffnete Drohnen kaufen. Ihr Nutzen ist fraglich, ihre Kollateralschäden nicht

Thomas de Maizière hat es sich anders überlegt. Er verwendet jetzt neue Begriffe, wenn er von bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr spricht. In dieser Woche soll der Bundestag das Geld für den Kauf bereitstellen – und statt von „ethisch neutralen“ Waffen wie noch im Sommer redet der Verteidigungsminister nun von „chirurgisch präzisen“ Angriffen, die angeblich weniger ungewollte Schäden anrichten als bemannte Jets.

Dieser Schwenk erregt Misstrauen. Historisch gesehen diente Militärs die Rhetorik der Präzision vor allem dazu, den Einsatz von Sprengwaffen auch in zivilen Gebieten zu legitimieren. Dabei weisen Wissenschaftler schon lange darauf hin, dass Luftangriffe – auch mit so genannten „Präzisionswaffen“ wie Kampfdrohnen – im Schnitt mehr Zivilisten töten als der Krieg am Boden. Doch das ist nicht der einzige Grund für Skepsis gegenüber den Plänen der deutschen Bundesregierung. Militäreinsätze von unbemannten Flugzeugen verändern nicht nur das Geschehen auf dem Schlachtfeld, sondern wirken weit in die zivilen Bereiche einer Gesellschaft hinein.

Für Politiker westlicher Demokratien erscheint der Drohnenkrieg attraktiv. Schließlich sind sie stets in Erklärungsnot, warum sie das Leben der eigenen Soldaten in der „Peripherie“ aufs Spiel setzen. Verführerisch ist zudem die Kostenersparnis sowie die relative Unsichtbarkeit der Technologie: Während die drohnengestützten Tötungen in Pakistan 2001 begannen, entstand die mediale Debatte darüber erst zehn Jahre später. Obwohl Human Rights Watch ausführlich die zivilen Opfer von Drohnenangriffen im (vor)letzten Gaza-Krieg dokumentierte, finden sie bis heute kaum Aufmerksamkeit.

Jeder dritte Flieger stürzt ab

Verfolgt man die aktuelle Diskussion, fällt auf, dass Fragen der Rüstungskontrolle und der zivilen Sicherheit praktisch totgeschwiegen werden. Militärstrategen schwärmen eher von den neuen Optionen einer Robotertechnologie, mit der man ganze Waffenarsenale in der Luft stationieren kann. Der MQ-9 Reaper, der auch für die Bundeswehr im Gespräch ist, trägt mit einer Länge von elf Metern und 20 Metern Flügelspannweite eine Ladung von bis zu 1.700 Kilo und kann bis zu 30 Stunden ohne Auftanken in der Luft bleiben – während es ein Kampfjet gerade mal auf zwei oder drei Stunden bringt. Forschungsinstitute und die Rüstungsindustrie wie etwa das US-Institut Sandia National Laboratories und Northrop Grumman arbeiten an nuklear getriebenen Drohnen, um die Verweildauer der Kampfdrohnen in der Luft weiter zu optimieren – ein erschreckendes Szenario angesichts der Tatsache, dass bis heute mehr als 30 Prozent der US-amerikanischen Predator-Drohnen abgestürzt sind.

Kaum scheinen sich die Befürworter für die Auswirkungen von Drohnenangriffen auf die Zivilbevölkerung zu interessieren. Berichte von Forschern der Stanford und der New York University zeigen, dass in der pakistanischen Region Waziristan die permanente Drohnen-Drohung unter Zivilisten posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Angstzustände auslöst.

Gleichzeitig kommt es in den betroffenen Gebieten zu massiven Einschränkungen von Bildung, Handel und sozialen Aktivitäten, da sich viele Menschen nicht mehr vor die Tür wagen. Aus Angst vor Drohnenangriffen schicken die Bewohner ihre Kinder nicht mehr zur Schule, vermeiden Hochzeiten und Beerdigungen oder schließen sich in ihrem Zorn terroristischen Gruppen an.

Drohnenkriege sind für westliche Politiker aber nicht nur attraktiv, weil sie die allumfassende Kontrolle des digitalisierten Schlachtfelds versprechen, sondern auch weil mit ihnen der Sicherheitsmarkt zu wachsen verspricht. 2011 wurde dieser weltweit auf 100 Milliarden Euro und zwei Millionen Arbeitsplätze geschätzt. Die EU-Kommission gibt an, dass dabei mehr als ein Viertel des Umsatzes und ein Zehntel der Arbeitsplätze auf die EU entfallen. Das Volumen dieses Marktes hat sich demnach in den vergangenen zehn Jahren verzehnfacht. Nicht von ungefähr gibt die EU große Summen für die Rüstungsinitiativen der European Defence Agency und ihre Grenzschutzagentur Frontex aus. Ziel ist dabei stets, die zivil-militärischen Synergien des europäischen Sicherheits- und damit auch des Drohnenmarkts zu verbessern.

Um möglichen Akzeptanzproblemen vorzubeugen, will die EU-Kommission in künftigen Forschungsprojekten Gesellschaftsfolgenabschätzung betreiben. Damit strebt sie allerdings keine offene gesellschaftliche Debatte an, sondern die technokratische Lösung des Datenschutz durch Technik.

Die Etablierung fliegender Drohnen im zivilen Alltag hat jedenfalls längst begonnen. In Deutschland wurden unbemannte Flugzeuge Anfang des Jahres ins Luftfahrtgesetz aufgenommen. Schon heute sind Drohnen im Journalismus, bei den Feuerwehren, im Katastrophenschutz sowie in der Landvermessung im Einsatz – ebenso beim Zählen von Pinguinen in der Antarktis. Unbemannte Predator-Flugzeuge setzte man schon bei G8-oder NATO-Gipfeln ein, aber auch bei Fußballmeisterschaften (Euro 2008) und den Olympischen Spielen in London. US-Behörden überwachen mit Drohnen die Grenzen zu Mexiko und Kanada und die Schweiz hat mit Militärdrohnen schon die Verhaftung von Migranten betrieben.

Diesem Beispiel will die europäische Agentur Frontex folgen. Diverse europäische Polizeiverbände setzen wiederum kleinere Quadrokopter ein. In Frankreich und Italien nutzt man sie schon zur Überwachung von sozialen Brennpunkten; in England auch zur Verbrecherjagd und gegen „anti-social behaviour“, in den Niederlanden für das Stürmen von besetzten Häusern. In Berlin, Sachsen und Niedersachsen spricht man wiederum von Tatortdokumentation, dem Aufspüren von „Trouble-Makers“ und Verkehrskontrollen.

Dein Freund und Beobachter

Jenseits der ökonomischen Motive folgt die freudige Umarmung der Drohnentechnologie durch die Politik einer präventiven und technikgläubigen Sicherheitsidee, die mit einem all-gegenwärtigen und allsehenden Überwachungs- und Kontrollsystem alles im Griff haben will. Der Theoretiker Stephen Graham skizzierte diese Entwicklung mit Blick auf die USA schon früh: „Es gilt genauer zu analysieren wie die ganze Breite der militärischen US-amerikanischen Kommunikations-, Überwachungs- und Zielerfassungssysteme übergangslos in den zivilen Bereich integriert werden. Die Auflösung der Grenze zwischen Strafverfolgung und Militärbefugnissen, die man mit dem ,Krieg gegen den Terror‘ verbindet, bedeutet, dass die Anti-Globalisierungsbewegung, Online-Netzwerke und bürgerliche Demonstranten die gleiche ... virtuelle elektronisch-militärische Macht und Überwachung zu spüren bekommen, wie sie für die US-amerikanische geopolitische Expansionsstrategie in Afghanistan und im Irak typisch ist.“

Die Verquickung von Sicherheitsstrategien aus dem militärischen mit denen des zivilen Bereiches ist keineswegs auf die USA beschränkt. So benennt das Institut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union in ihrem Verteidigungsbericht von 2009 sechs zentrale militärische Aufgaben bis 2020: Eine der wichtigsten dabei sind Absperrmaßnahmen zwischen arm und reich. Es ginge darum „die Reichen von den Spannungen und Problemen der Armen abzuschirmen“. Entlang der Nord-Süd-Achse arbeitet man mit Frontex und dem europäischen Grenzsicherungssystem Eurosur daran. Doch die Frontlinien von arm und reich vertiefen sich auch innerhalb Europas. Möglicherweise könnte es dann nur eine Frage der Zeit sein, bis mit Gummigeschossen, Wasserwerfern und Tasern ausgerüstete europäische Polizeidrohnen für Demonstranten und Menschen mit „anti-sozialem“ Verhalten zur manifesten Bedrohung werden.

Inzwischen dokumentieren mehrere Organisationen Einsätze unbemannter Flugzeuge. Die umfassendste Datenbank mit den Zielkoordinaten aller bekannten Drohnenangriffe unterhält das britische Bureau of Investigative Journalism. Die Geodaten nutzt die Seite dronestagram.tumblr.com, um Luftbilder der betroffenen Orte zu veröffentlichen – und sie so der Unsichtbarkeit zu entreißen. Die Konsequenzen für die Menschen am Boden haben Wissenschaftler der Stanford und der New York University recherchiert. Ihre Ergebnisse und juristische Analysen finden sich auf livingunderdrones.org.

Jutta Weber ist Technikphilosophin und Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Paderborn

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