Aus der Not eine Tugend machen?

Kommentar zur DGB-Bewertung der innerdeutschen Wanderungsbewegung von Flüchtlingen mit Aufenthaltstitel

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Wie der Gewerkschaftsverband einschätzt, beruht der Weiterzug von anerkannten Flüchtlingen, die zur Erstaufnahme in Ostdeutschland untergebracht wurden, in die alten Bundesländer in erster Line auf ostdeutschen Ressentiments. (Andere wurden im verlinkten Interview zumindest nicht thematisiert.) Es ist nicht schön zu lesen, dass eine bedeutende institutionelle Kraft wie der nationale Gewerkschaftsdachverband billige politische Stereotype bedient und damit verfestigt.

Als ob nicht der gesamte Osten zwischen 1990 und 2010 einen millionenfachen menschlichen Aderlass hinnehmen musste. Es sind schlicht objektive Bedingungen die Menschen zum Wechsel ihres Aufenthaltsortes veranlassen. Einer davon ist, die Wertschöpfungsketten in Deutschland sind derart verteilt, dass die Mehrwerte (also nicht die Löhne und Gehälter sondern die Gewinne) aus gesamtdeutscher Produktion und Dienstleistungen überproportional im Westen anfallen (hier sind meist die Firmenzentralen) und dort reinvestiert werden. Das zieht nach sich, dass die erweiterte Reproduktion eher in Westdeutschland realisiert wird. Genau hier entsteht der stärkste Arbeitkräftebedarf. Deshalb ist der Westen attraktiver für die Migranten - Ostdeutsche wie Muslime.

Das rationale Reagieren der Flüchtlinge - die naturgemäß noch keinen neuen geografischen Lebensmittelpunkt gefunden haben - auf die Folgen einer verfehlten Wirtschaftspolitik, die zu geografisch ungleich verteilter Reproduktion Reproduktion geführt hat, „ostdeutscher“ Fremdenfeindlichkeit zu schieben ist ignorant und grenzt ist an Chauvinismus.

Noch ein Hinweis:
Auch in anderen Staaten gehen Migranten bevorzugt in Ballungszentren und prosperierende Wirtschaftsräume aber eben selten in Regionen die Salzwedel, Chrimitzschau, Bad Liebenwerda, Togelow oder Schleusingen gleichen.

Ein weiterer Punkt ist bei der Bewertung des Ansiedelungsverhalten von Migranten zu beachten. Sie gehen vor allem dorthin, wo bereits eine Gemeinschaft mit gleicher kultureller Identität existiert, sprich Verwandte und Bekannte bereits Fuß gefasst haben. Diese unterstützen die Nachkommenden, geben Orientierung und bieten die Möglichkeit zur - nennen wir es - Traditionspflege. Diese Verhaltensmuster der Migration belegen (angeblich -ab min 27:14) Ergebnisse der vergleichenden Flüchtlingsforschung und sind auch für den "gesunden Menschenverstand" plausibel. Und: Dieser Sachverhalt hat ebenfalls nicht das Mindeste mit sogenannten ostdeutschen Ressentiments gegenüber Ausländern zu tun. (Im Gegenteil. Es erklärt, warum die Vietnamesen in Ostdeutschland einen überproportional großen Anteil an Migranten ausmachen. Die Vertragsarbeiter der DDR bildeten den Kristallisationspunkt für Nachkommende.) Der Westen hat nun mal 40 Jahre Migrationsvorsprung und bietet für viele kulturelle Variationen attraktive "Kristallisationspunkte". Solche Fakten lassen sich auch nicht mit kruden Vorschlägen wie beispielsweise dem von Frau Göring-Eckart kompensieren, die dafür plädiert beim Städtebau ausreichend Platz für Moscheen vorzusehen. Konstruktiver und erprobt dagegen ist das Umwidmen von im Zuge des massiven Mitgliederschwunds nicht mehr benötigten christlichen Gebetsstätten in muslimische. Bei der Umwidmung von Kirchtürmen in Minarette können die Amtskirchen mal vorlegen wie ernst sie es mit der Integration von Flüchtlingen meinen.

Das Vorgenannte ist allerdings nicht, was die Überschrift meint, sondern das Folgende:
Wenn der DGB einschätzt, dass sich der Osten der Republik eine Chance beim Umgang mit der steigenden Bevölkerungsüberalterung vergibt, weil er "seine" Migranten in den Westen ziehen lässt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis national gesinnte Gemüter auf die Idee kommen Westdeutschen denen das multikulturelle Treiben in ihrer Region zu bunt wird, einzuladen in den Osten überzusiedeln. Sozusagen um den Bevölkerungssaldo auszugleichen. Vielleicht kommen die PEGIDAianer im Tal der Ahnungslosen und Umland ja besser mit Schwaben zurecht als mit Sunniten ... Doch Ironie beiseite.

Es wird sich zeigen, ob es langfristig bei einer Segregation der Migranten in Deutschland bleibt: Migrationsvielfalt im Westen und ehemaligem West-Berlin vs. größere Homogenität im Osten. Im Zweifel gestützt durch wechselseitige Wanderungsbewegungen von Menschen mit entsprechenden Präferenzen.

Das ist sicher nicht, was der DGB mit seiner Wortmeldung anstrebt. Eher doch wird es seine Absicht gewesen sein zu verhindern, dass sich durch die Konzentration der Migranten auf Westdeutschland dort der Lohndruck im Vergleich zum Osten erhöht. Das würde die gesamte Lohnpolitik seit der Wiedervereinigung, die der Gewerkschaftsbund zumindest mitgetragen hat, das Verharren des Lohnniveaus Ost auf einem Niveau von etwa 78% im Vergleich zum Westen seit nunmehr 20 Jahren (S. 58), konterkarieren. Denn wenn die Migranten in den Westen gehen, müssen im Osten wegen des in der Vergangenheit abgesaugten, nun überalternden Arbeitskräfteangebots die Löhne steigen. Die Produktion in den Westen zu verlagern bringt nichts wegen des dort vorhandenen höheren Lohnniveaus. Die Produktion in den Osten der EU zu verlagern ist insbesondere für mittelständige unterkapitalisierte Unternehmer - wie sie im Osten recht häufig sind - wegen der Kosten die durch die Sprachbarrieren und abweichenden Gesetze entstehen, nicht immer lukrativ.

Ein Schelm also, wer Böses bei der Einschätzung des DGB denkt?

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Zur Aufheiterung am Schluss noch ein Musikbeitrag von einem der sich auch schonmal seine Gedanken zu Migrationsfragen machte. Allen Lesern einen Guten Rutsch!

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