Europa von Oben II

Glaskugelblick Optionen konservativer deutscher Europapolitik auf Grund linker Unzulänglichkeit.

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Vor ein paar Jahren wäre mir nicht im Traum eingefallen, folgendes zu schreiben.

So sehr man es sich wünschen mag und sosehr dieser Wunsch berechtigt ist, es kann gut sein, die Linken werden es in Deutschland auf Dauer nicht schaffen, mehr zu stellen als ab und an die Regierung. Zu etwas wie „Das Denkbare möglich machen!“ oder der Politik als einem System proaktiver Regelveränderung gerecht zu werden, reicht es viel zu selten. Über die Gründe lässt sich trefflich hin und her analysieren. An dieser Stelle soll als mögliche Zusammenfassung reichen: Wir Michels vertrauen offenbar erst dann politischen Kräften, wenn veröffentlichte Meinung und Lobbyisten diese derart rundgelutscht haben, dass denen die einstige Herzenssache zum bloßen Markenkern verkommen ist. Und so wundert es nicht, dass aus Sicht eines kettenrauchender Weltökonomen und Altkanzlers schon etwas dran war, als er - Schmidt - postulierte „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Ansonsten ist von ihm vor allem das Festhalten an der Nachrüstung geblieben, so wie von Schröder im Wesentlichen die Agenda 2010. Einzig Brandt war wohl die regelbrechende Ausnahme. Dessen Regierungszeit konnte mit „Mehr Demokratie wagen“ und „Schluck aus der Pulle“ zwei recht ansehnliche Pluspunkte verbuchen.

Um das Bild zu vervollständigen: Die Linken in Ostdeutschland kamen nur an die Macht, weil "der große Bruder" seine gestrenge Hand über sie hielt. Und sie haben es nicht gepackt, die postulierte ökonomische Überlegenheit des Sozialismus zu realisieren. Nun versuchen sich die Chinesen daran. Leider ändert sich das Bild auch nicht, blickt man weiter zurück. 1933 könnte die Linke sich in Deutschland nicht zu gemeinsamen Aktionen zur Abwendung des Faschismus einigen. Auch 1918 trug das Oberste Heereskommando die Sozialdemokraten beinahe zur Revolution, um selbst nicht die Verantwortung für den verlorenen Krieg übernehmen zu müssen. Und einem Faktotum gleich würgten die Sozialdemokraten Blütenträume á la Räterepubliken per mehr als nur geduldetem Freikorpseinsatz ab. Auch 1914 stimmten alle Linken bis auf einen für die Kriegskredite. Ein Trauerspiel. Die Revolution 1848 endete ohne den erhofften Erfolg, was zur Reichseinigung 1871 von oben führte.

Nun zur Gegenwart. Wenn der aktuelle Problem-Peer der Sozialdemokraten es "richtig" anstellt, könnte die Union in der nächsten Legislaturperiode die absolute Mehrheit erhalten. Und selbst wenn nicht, muss schon etwas Einschneidendes passieren, bevor die Konservativen abgewählt werden. „Uns Angela“ wird alles in ihrer Macht stehende tun, dies zu verhindern. D.h. sie wird einen Teufel tun, uns Michels vor September verraten, ob sie nach der Wahl ihren bisherigen Eurokurs aufgeben wird oder nicht. Doch aus heutiger Sicht ist für sie im Anschluss daran das Fenster der Möglichkeiten, um den Kurs zu ändern, am größten. (Und alle wissen, sie hat mit so etwas nicht die geringsten Probleme.)

  • Zum einen wäre die diesjährige Wahl gewonnen.
  • Zum anderen wird der Deutsche Konservativismus nicht umhinkommen die europäische Realität, nämlich Verharren in der Rezession trotz brachialem Sparens im Süden, anzuerkennen.
  • Zum Dritten hat die deutsche Wirtschaft ein latentes Interesse am Euro, da er Wechselkursrisiken eliminiert.
  • Zum Vierten hat die deutsche Wirtschaft kein Interesse plötzlich konkurrenzfähigen Südeuropäern gegenüberzustehen, die aus dem Euro ausgetreten sind und ihre neuen Währung abwerten.
  • Zum Fünften hat die deutsche Wirtschaft kein Interesse daran, dass die eigene Nation aus dem Euro austritt, da eine Aufwertung der „neuen Deutschmark“ den Export wegbrechen lassen würde. (Man erinnere sich an den Effekt, welchen die Aufwertung in Form der Währungsunion 1990 auf den ostdeutschen Export hatte.)
  • Zum Sechsten könnte Angela einem solchen Kurswechsel mit der bereits durch den Blätterwald orakelnden Ankündigung verbinden, vorzeitig den Staffelstab der Kanzlerschaft weiterzureichen. M.E. wäre das ein fast genialer Schachzug. Denn sie würde damit ihren Nachfolger zum Teil von der Verantwortung für die, vor allem unter Konservativen, ungeliebte Abgabe nationaler Kontrolle - z.B. in Form von einzuführenden Euro-Bonds - entlasten. D.h. Angela würde der CDU trotz eines solchen „historischen Kurswechsels“ die Option offenhalten, langfristig die politische Majorität im Land zu bleiben.
  • Und Siebentens könnte Frau Merkel - um dem ganzen die „Krone“ aufzusetzen - sich mit der „historischen Großtat“ des deutschen Kurswechsels in der Europapolitik für die Übernahme einer exponierten Aufgabe in der EU empfehlen. (Wann hört eigentlich Barroso auf?) So wäre sie dann gleichzeitig Reformerin (Deutschland sagt "Ja" zu mehr Integration) und Gralshütern der deutschen Interessen in der EU. Es würde nicht wundern, wenn der Frau aus Templin eine solche Perspektive gefiele.

Dieser Blick in die Glaskugel soll keine getarnte Lobhudele an den Konservativismus sein, sondern nur eine nicht vollständig umplausible Perspektive darauf, auf welche Weise ein Europa von oben Gestalt annehmen könnte. Und außerdem gilt ja immer: Erstens kommt es anders. Zweitens als man denkt.

An dieser Stelle kommt nochmals die Linke ins Spiel: Es ist und bleibt ein Jammer. Ohne Sozialdemokraten geht es nicht und mit ihnen kommt meist nichts hinreichend Soziales heraus. Doch trotz alledem und alledem führt kein Weg daran vorbei, immer aufs neue Position zu beziehen und denen, die denken ihnen allein gehöre die Welt, zu zeigen, dem ist nicht so.

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