Ablass für Abgas

Gutes Gewissen I Bei CO2-Kompensationen für Flüge klaffen die Maßstäbe stark auseinander

Knapp zwei Tonnen Kohlendioxid stößt ein Mittelklassewagen auf 12.000 Kilometern pro Jahr aus, ein Kühlschrank 100 Kilogramm. Ein Hin- und Rückflug von Frankfurt nach New York verursacht pro Passagier etwa vier Tonnen CO2. Das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen beträgt drei Tonnen. Das sind Zahlen der gemeinnützigen Bonner Klimaschutz-GmbH Atmosfair. Dass der Mensch zuviel CO2-Ausstoß verursacht, ist Grund für Klimawandel und Treibhauseffekt, mithin für Eisschmelze in der Arktis, Meeresspiegelanstieg, den Vormarsch von Tropenkrankheiten, die Zunahme von Dürren in Afrika oder Fluten in Südasien.

Mit zwei Tonnen CO2-Ausstoß kommt kaum ein Deutscher aus, schon gar nicht, wer mit dem Flieger in die Ferne jettet. Klimaschützer appellieren ans Gewissen und bitten um Ausgleichsabgaben - für den Flugverkehr, gerne auch für Auto-, Bus- und Bahnfahrten. Jeder möge für seine Klimabilanz gerade stehen, wenigstens was Reisen angeht. Rechner im Internet berechnen den Beitrag zum Treibhauseffekt. Zugleich wird ein Angebot gemacht, Klimaschutzprojekte mit einer Spende zu unterstützen und den verursachten CO2-Ausstoß auszugleichen.

Beruhigende 93-Euro-Spende

Die Idee: Treibhausgasemissionen, die durch Verkehr entstehen, werden andernorts auf der Welt durch verschiedenste Projekte neutralisiert. Meist mindern Investitionen den CO2-Ausstoß, indem sie die Verbrennung von Diesel reduzieren, sei es mit Solarküchen, Wasserkraftwerken oder Biogasanlagen. Unterm Strich wäre die CO2-Belastung eines neutralisierten Flugs dann null. Voraussetzung ist, dass die CO2-Mengen halbwegs exakt berechnet und die Projekte überwacht werden.

Im Visier haben die Angebote vor allem Flugreisende. Der bekannteste Anbieter ist Atmosfair. In deren Onlinerechner gibt man seine Flugroute ein. Ein Flug von Frankfurt nach New York und zurück lasse sich mit einer Klimaspende von 93 Euro ausgleichen. Das Geld geht an eine Solarküche in Indien, an ein Klein-Wasserkraftwerk in Honduras oder eine Biogasanlage in Thailand. Ein Projekt in Deutschland - "Energiesparen an Schulen" - soll folgen. Unabhängige Prüfer kontrollieren die Projekte.

Einige Kompensationsanbieter sind gemeinnützig, andere gewinnorientiert. Die Umweltstiftung WWF zum Beispiel finanziert aus Spenden Biogasanlagen in Nepal. Jede Anlage, die Rinderdung nutzt, spart pro Jahr drei Tonnen CO2 ein. Kerosinkocher werden überflüssig, Wälder nicht für Feuerholz geplündert. Die Spenden sind steuerlich absetzbar. Die Spendenbereitschaft ist noch mäßig. 2007 gingen beim WWF 180 Zahlungen ein, insgesamt 16.000 Euro. Eine zwangsweise Klimaabgabe auf Flüge hält der WWF dennoch für "nicht sinnvoll". Der Staat solle lieber eine Kerosinsteuer einführen und auch auf Auslandsflüge Mehrwertsteuer erheben, sagt Juliette de Grandpré. "Sonst machen die Fluggesellschaften nichts, und nur der Verbraucher zahlt." Nötig seien effizientere Flugzeuge.

Mittlerweile bieten auch Fluggesellschaften und Onlinereisebüros CO2-Rechner samt Spendenprojekte an. Lufthansa und Swissair zum Beispiel kooperieren mit Myclimate. Das Geld geht an zwei Projekte in Indien. "Dort werden Emissionen reduziert, indem Strom aus landwirtschaftlichen Abfällen hergestellt wird anstatt aus Kohle und Diesel", teilt die Zürcher Non-Profit-Stiftung mit. Selbst der Billigflieger Easyjet bietet Klimazuschläge an. Bei Virgin Atlantic verkaufen sogar die Stewardessen Klimaaufschläge. Auch die Internetportale wie TUIfly, Opodo oder Lastminute.de bieten am Ende des Buchungsvorgangs ein entsprechendes Angebot.

Unterschiedliche Klimarechnungen

Der CO2-Ausstoß, den die Klimarechner ermitteln, kann für die gleiche Route sehr verschieden ausfallen. Grund sind alternative Berechnungsmethoden. Entsprechend unterschiedlich ist der Betrag, den man spenden soll. Von Frankfurt nach New York und zurück beispielsweise fallen bei Atmosfair 93 Euro an, Greenseat aus den Niederlanden verlangt nur 33,59 Euro für 2,7 Tonnen CO2, der britische Anbieter Climate Care 16,38 Euro für 1,72 Tonnen CO2. Der WWF veranschlagt generell pro 1.000 Flugkilometer neun Euro Kompensation, bei Kurzflügen unter tausend Kilometern 14 Euro. Für die Atlantikroute macht das bei 12.360 Kilometern 111,24 Euro.

Einige CO2-Rechner berücksichtigen, dass das in 9.000 Meter Flughöhe ausgestoßene CO2 zwei- bis viermal klimaschädlicher ist als am Erdboden emittiertes Kohlendioxid, andere kalkulieren das nicht ein. Manche beziehen andere Emissionen wie Stickoxid, Wasserdampf und Aerosole mit ein, andere nicht. Atmosfair zum Beispiel berücksichtigt alle Schadstoffe sowie weitere Faktoren wie Flugzeugtyp, Flughöhe, Warteschleifen, Auslastung und die Wahl zwischen platzsparender Economy- und raumgreifender Business-Klasse. Nach Berechnungen der Bonner Non-Profit-GmbH beträgt die wahre Klimabelastung durch Flugzeuge das 2,7-fache der CO2-Emissionen.

Die Airlines bevorzugen laxere Standards und verkaufen ihren Kunden auch für wenig Geld ein gutes Gewissen. Lufthansa stellt seit September 2007 einen von Myclimate betriebenen Emissionsrechner auf seine Website, "der die Verbrauchsdaten der umweltfreundlichen Lufthansa-Flotte berücksichtigt", rechnet sich die tatsächlichen Klimafolgen des Fliegens aber schön, wie Klimaschützer kritisieren. Denn den Kranichfliegern dient allein der CO2-Ausstoß als Rechengrundlage. Folglich schrumpft bei Lufthansa der Obolus für den New York-Trip auf 24 Euro - bei nur 1,2 Tonnen CO2. Zahlen zur Kundenresonanz nennt Lufthansa nicht. Für eine Zwischenbilanz sei es noch zu früh, so Pressesprecher Peter Schneckenleitner. Klimatickets an Bord zu verkaufen - "das ist nicht geplant". Lufthansa beteuert, ihr Rechner "basiert auf realen Daten aus dem Lufthansa-Flugbetrieb". 58.000 Flüge wurden ausgewertet, Kerosinverbrauch wie Auslastung betrachtet.

Atmosfair entging das Geschäft mit der Kranichlinie und anderen, weil sich die Pioniere weigerten, ihren CO2-Rechner zu manipulieren. Konkurrent Myclimate ließ sich auf Vorgaben von Großkunden ein. Viele Wissenschaftler - so auch die des Umweltbundesamtes - lehnen die Methodik der Airlines ab. Sie kalkulieren nach dem "RFI"-Faktor ("Radiative Forcing Index"). Der Klimaschaden sei doppelt so hoch. Berücksichtige man außerdem die Bildung reflektierender Kondensstreifen und Zirruswolken durch Flüge, betrage der Faktor drei bis fünf. Lufthansa legt den "RFI"-Faktor nicht zu Grunde, so Schneckenleitner, "da es wissenschaftlich umstritten ist, ob der RFI tatsächlich ein geeignetes Maß für die Bewertung der Klimawirksamkeit verschiedenster Verkehrsträger ist".

Auch einheitliche Projektstandards gibt es noch nicht. Ein Maßstab ist der "Gold Standard" des Weltklimarates IPCC. Der garantiert, dass die Klimaschutzprojekte nur dank der zusätzlichen Kompensationsgelder entstehen und nicht mit anderen Investitionen konkurrieren. Die lokale Bevölkerung wird eng eingebunden. Und es werden nur Projekte mit erneuerbaren Energien und zur Energieeffizienz akzeptiert.

Ohnehin nur die zweitbeste Lösung

Andere Standards sind lascher. Manche Ablassverkäufer bieten als Ausgleich an, Bäume zu pflanzen - eine gute Tat zwar, da der Wald nicht nur CO2, sondern auch Wasser speichert, Lebensraum für Tiere schafft und Erosion vorbeugt. Verbrennen oder verrotten die Bäume früher oder später, geben sie aber die gleiche Menge CO2 ab, die sie vorher gespeichert haben. Manche Standards segnen sogar Atomenergie oder große Staudammprojekte als Ausgleich ab.

Wer Ablass für seine Klimasünden begehrt, sollte sich den Kompensationsanbieter also gut anschauen: Wie berechnet er die Abgaslast? Sind die Projekte nach dem "Gold Standard" zertifiziert? Ist er gemeinnützig oder gewinnorientiert? Wie hoch sind die Verwaltungskosten? Gemeinnützige Anbieter gelten als die bessere Wahl, soll nicht der Großteil des Flugbußgelds für Verwaltung, Steuer, Werbung und Gewinn draufgehen.

Klimaschützer halten die Kompensation ohnehin nur für den zweitbesten Weg. "Wir brauchen mehr als die Kompensationen, um unter zwei Grad Temperaturanstieg zu bleiben", sagt WWF-Klimareferentin de Grandpré. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die schlimmsten Folgen des Klimawandels nur in akzeptablen Grenzen zu halten sind, wenn die Erde sich nicht mehr als zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Wert von 1840 erwärmt. "Klimaschutzinvestitionen in Entwicklungsländer sind gut", so de Grandpré, aber "Kompensationen können den falschen Eindruck erwecken, wir könnten weitermachen wie bisher."

Besser sei der Verzicht auf überflüssige Flugreisen. Ein Ersatz für Energiesparen, Energieeffizienz und den Umstieg auf erneuerbare Energien sind die Bußzahlungen auch nicht - denn früher oder später sind die Vorräte an Öl und damit Kerosin erschöpft. Für die Klimabilanz ist es zwar letztlich egal, ob ein Flug kompensiert wird oder ausfällt. Aber Fluglärm oder Kriege, die um Öl oder wie in Darfur mit Petro-Dollars geführt werden, lassen sich nicht kompensieren.

www.atmosfair.de,www.myclimate.org,www.climatecare.org,www.greenseat.com,www.wwf.de/klimaneutral

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