Abwarten, was kommt

Wahlen in Russland Dank für Wladimir Putins Begabung als Restaurator

Was war das eigentlich? Die Abstimmung über ein neues Unterhaus? Oder vielleicht eher ein Referendum, wie die Moskauer Tageszeitung Wedemosti fragt? Die Urteile gehen so weit auseinander, wie Russland groß ist. KP-Chef Sjuganow spricht von gigantischer Fälschung und will Protest einlegen; ebenso Garri Kasparaow und die Liberalen. Sie beklagen "flächendeckende" Einschüchterung und Wahlfälschung und wollen damit vor Gericht ziehen. Die Bundesregierung fordert vom Kreml "Aufklärung" über "Unregelmäßigkeiten" bei einem Votum, das demokratischen Normen nicht entsprochen habe. Vertreter der Shanghai-Organisation und der GUS-Staaten erklären hingegen ostentativ, alles sei regulär verlaufen, ohne Gesetzesverstoß. Aus der OSZE hört man widersprüchliche Signale: Einerseits wird die Vermischung von Staat und Parteien beklagt, wie sie durch Putins Kandidatur an der Spitze von Einheitliches Russland zustande kam, andererseits bestätigt OSZE-Vizepräsident Kiljunen gegenüber Radio Moskau, alles sei "normal" vonstatten gegangen. Wenn einige Wähler außerhalb der Wahlkabine ihre Stimme abgegeben hätten, müsse man sehen, dass es sich um eine "alte Tradition bei russischen Bürgern" handele.

Wer nicht dabei war, kann nur staunen über die Vielfalt unterschiedlicher Wahrnehmungen. Am besten fährt man vielleicht mit dem neuen polnischen Premier Donald Tusk, dem Parteilichkeit zugunsten Moskaus kaum unterstellt werden kann: "Unabhängig von unseren Einwänden, die sich auf die Wahlstandards beziehen, ist das dennoch die Wahl der Russen. Ich sehe keinen Grund, warum wir sie in Zweifel ziehen sollten."

In der Tat gibt es dafür keinen Anlass, denn wie man das Ergebnis auch immer dreht und wendet - es gab ein klares Mandat für Putin, der vor dem 2. Dezember stets erklärt hatte, einen Sieg von Einheitliches Russland werde er als moralischen Auftrag betrachten, im Staate weiter eine führende Funktion auszuüben. Die Frage ist allein: Welche? Nachdem er klargestellt hat, dass er keine dritte Amtszeit anstrebe. Baut er sich auf dem Umweg über einen schwachen Präsidenten als Staatschef auf, den man im Notfall nicht lange bitten muss? Wird er als Aufsichtsratsvorsitzender eines der großen Monopole - Gazprom oder des geplanten Elektro-Energie-Verbundes - einen ähnlichen Weg wie Ex-Kanzler Schröder nehmen?

Putin kann sich alle Optionen offen halten. Denn zuvörderst war diese Dumawahl nicht nur ein Plebiszit über ihn selbst, sondern mindestens genauso über das System der seit 1999 restaurierten traditionellen russischen Struktur eines zentralisierten Pluralismus, anders gesagt, über die russische Form von Demokratie, die zur Zeit unter dem Markenzeichen gelenkte Demokratie firmiert.

Unabhängig davon, wen Putin als Nachfolger im Präsidentenamt vorschlägt, und ob er selbst die von ihm reklamierte nationale Führerschaft übernimmt, jede dieser Entscheidungen steht unter der Vorgabe, die überlieferte Grundordnung Russlands, die Putin in den Jahren seiner Amtszeit ansatzweise wiederherstellen konnte, weiter zu festigen. Seit dem 2. Dezember ist dies per Volksentscheid abgesegnet. Die Kernfrage bleibt freilich, wessen Interessen diese Ordnung künftig dient.

Putin hat es dank seiner restaurativen Stabilisierung geschafft, optimale Investitionsbedingungen für internationales und einheimisches Kapital mit sozialer Befriedung zu verbinden. Dabei halfen ihm die steigenden Ölpreise und eine Bevölkerung, die nach dem Absturz in der Jelzin-Zeit für die kleinste Zuwendung dankbar war. Jeder Nachfolger muss sich daran messen lassen. Darüber hinaus steht 2008 die Umsetzung all der schon beschlossenen "Projekte" einer weiteren "Monetarisierung" nach den Standards der Welthandelsorganisation (WTO) an, die nach den Massenprotesten von 2005 zurückgestellt wurden. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum sich die 64,1 Prozent für Putins Partei nur aus einer 63-prozentigen Wahlbeteiligung herleiten. Über ein Drittel der Bevölkerung wartet ab, was da kommt.

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