Beben in der Ostsee?

Great Game Mit dem deutsch-russischen Pipeline-Bau von Wyborg nach Greifswald verlieren die US-Energiekonzerne in Osteuropa weiter an Boden

Seit Anfang des Monats ist Europa mit einem Vorgang konfrontiert, der vertraute politische Koordinaten nachhaltig verändern könnte: Der Bau der Gas-Pipeline vom russischen Wyborg zum deutschen Greifswald quer durch die Ostsee wurde offiziell begonnen. Diese deutsch-russische Energiepartnerschaft wird zu 51 Prozent von Gasprom, zu je 24,5 Prozent von BASF und Ruhrgas/Wintershall getragen, während die Dresdner Bank etwa ein Drittel der Kosten per Kredit zuschießt.

Das Vorhaben wird von Verlautbarungen umgeben, die Begriffe wie "Jahrhundertgeschäft" nicht missen wollen und Skeptiker in der Annahme bestärken, hier sei eine neue deutsch-russische Achse im Entstehen. Ein Anlass, um Besonderheiten dieser Kooperation in den Blick zu nehmen, die erhebliche Auswirkungen haben können: Die Gas-Lieferungen des Ostsee-Konsortiums sollen nämlich in Euro abgerechnet werden. Das klingt harmlos, schließlich handelt es sich um ein deutsch-russisches Abkommen. Angesichts der Tatsache aber, dass nach wie vor der Dollar als die Währung gilt, in der Öl- und Gastransfers abgewickelt werden, erscheint die sich abzeichnende Praxis von strategischem Gewicht. Seit die USA im großen Deal um den Ölkonzern Yukos und Michail Chodorkowski Terrain verloren haben, beginnt sich der Wettbewerb um einen direkten Zugriff auf die russischen Ressourcen zu verlagern: Gleich nach dem Chodorkowski-Prozess hatte die Regierung Putin verkündet, sie gedenke, ab sofort ihre Währungsreserven vom Dollar schrittweise auf eine Parität zwischen Dollar und Euro umzustellen. Schon Ende 2005 soll ein Verhältnis von 60 zu 40 erreicht sein - sehr bald von 50 zu 50.

Der erste, der einen derartigen Schritt wagte, war Saddam Hussein. Dafür wurde er abgestraft. Nach der US-Besetzung des Irak wurde diese Entscheidung umgehend revidiert. Inzwischen haben allerdings auch andere Staaten entsprechende Absichten geäußert, unter anderem Venezuela, der Iran, sogar die Saudis lassen solche Absichten erkennen. Wenn jetzt ein deutsch-russisches Konsortium ebenfalls diesen Weg einschlägt, sind harsche Antworten seitens der USA absehbar. Man darf gespannt sein, wie Kanzlerin Merkel mit diesem Erbe ihres Vorgängers umgehen wird.

Die zweite Besonderheit des Ostsee-Pipeline liegt in der Kaltschnäuzigkeit, mit der das Geschäft zwischen Russland und Deutschland unter Umgehung der EU-Newcomer durchgezogen wurde. Polen, Lettland, Litauen wie auch Estland hatten gegen die Verlegung der Pipeline quer durch die Off-Shore-Bereiche der Ostsee protestiert. Sie fühlen sich übergangen, benachteiligt, durch mögliche russische Gas-Boykotte gefährdet und an Zeiten erinnert, in denen Polen wie auch das Baltikum aus Sicht der europäischen Mächte eine Art "cordon sanitaire" waren, mit dem sich Frankreich, Deutschland und andere nach dem Ersten Weltkrieg vor dem Einfluss der bolschewistischen Revolution zu schützen gedachten. Auch das Gespenst des Hitler-Stalin-Paktes geht um, mit dem sich Deutschland und die Sowjetunion 1939 gegenseitig bestätigten, Polen und den baltischen Raum als legitime Interessenssphären zu betrachten.

Gerhard Schröder, bei Vertragsabschluss noch Bundeskanzler, hatte auf all diese Kritiken nur die Antwort: "Das Projekt richtet sich gegen niemanden." Tatsächlich richtet es sich nicht nur gegen Konkurrenten wie die USA, China oder Indien, sondern auch gegen "mögliche Erpressungsversuche" Polens, das sich als Transitland für eine deutsch-russische Erdgastrasse ermuntert fühlen könnte, daraus politisches Kapital zu schlagen. Das gilt selbstverständlich auch für die Ukraine oder Belarus , die bisher bevorzugte Transferländer für Russlands Gas-Exporte nach Westeuropa waren. Erfolgreicher ließe sich der Brandt-Bonus der Verständigung mit Polen kaum verspielen. Nicht zuletzt dürfte die Reputation der EU in Osteuropa Schaden nehmen.

Nachhaltig wird die deutsch-russische Pipeline-Community weder im Sinne einer dauerhaften Lösung des fossilen Energieproblems noch weiter führender Zukunftsperspektiven wirken: Die Leitung durch die Ostsee erschließt keine neue Gasquelle; sie verteilt nur das vorhandene Gas anders. Sie entwickelt auch keine alternativen Energien, sondern verpulvert unvorstellbare Gelder, die besser für die Erforschung alternativer Energiequellen eingesetzt wären.


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