Die russische Wirtschaft lobt ihn. Womit zum Teil schon erklärt ist, warum sich Wladimir Putin für Michail Mischustin als neuen Ministerpräsidenten entschieden hat. Der 54-Jährige verfügt über eine glänzende Expertise als Steuerexperte, er stieß 2009 zum Beraterkreis des Präsidenten und hat seit 2010 den föderalen Steuerdienst geführt. Für die meisten Staatsbeamten käme sein jetziger Aufstieg unerwartet, schreibt die Zeitung Wedmosti, werde aber positiv gesehen. Die Steuerbehörden sind der einzige Bereich, in dem es innerhalb der öffentlichen Verwaltung einen Durchbruch gab. Der russische Dienst sei weltweit einer der besten, meint ein Finanzbeamter. Eben dort erwarb sich Mischustin den Ruf eines guten Managers. Schließlich profitierte das Finanzministerium bei seinen Haushaltsplänen von einem Jahr für Jahr wachsenden Steuerertrag.
Als Premier muss Mischustin nun vor allem Putins Wirtschaftsagenda umsetzen. Es geht bis 2024 um nationale Projekte im Wert von 26 Billionen Rubel, in etwa 300 Milliarden Euro. Das schwache Wachstum der zurückliegenden Jahre ließ die Regierung des Premiers Medwedew zusehends in die Kritik geraten. Noch Ende 2019 hatte sie fieberhaft versucht, etwas aufzuholen, als 20 Prozent des Jahresbudgets für das nationale Projekt „Digitale Wirtschaft“ allein vom 28. bis 31. Dezember ausgegeben wurden. Manche Beobachter vergleichen Putins Entscheidung für Mischustin mit der von 2004, als er Michail Fradkow zum Ministerpräsidenten ernannte, der eher Bürokrat als Politiker war.
Mischustin ist verheiratet und hat drei Söhne. Er ist sportbegeistert und spielt aktiv Hockey. Die Liste seiner wissenschaftlichen Publikationen ist lang. Er firmiert als Autor dreier Monografien zur Steuerverwaltung und eines entsprechenden Lehrbuchs. 1989 beendete er das Studium am Moskauer Institut für Werkzeugmaschinen mit dem Abschluss in Systemtechnik, 1992 das Graduiertenkolleg am gleichen Haus. Danach arbeitete er zunächst als Direktor eines Testlabors und leitete später den International Computer Club (ICC), der sich das Ziel setzte, „russische und ausländische Computertechnologien zu integrieren oder westliche fortgeschrittene Informationstechnologien anzuziehen“. Der ICC konnte große ausländische Firmen für Russland interessieren und wurde Veranstalter des Internationalen Computerforums, einer der größten Computermessen des Landes.
1998 dann kam Mischustin erstmals in die öffentliche Verwaltung und war im staatlichen Steuerdienst für Informationstechnologie zuständig. Im selben Jahr wurde er dessen stellvertretender Leiter, dann Vizeminister für Steuern und Abgaben. Später leitete er das föderale Amt für das Management von Sonderwirtschaftszonen, 2008 machte er sich wirtschaftlich selbstständig, verließ den Regierungsapparat wieder und wurde Präsident der UFG Asset Management. 2010 kehrte Mischustin in den Staatsdienst zurück und trieb dort den reformerischen Umbruch voran, indem er ein automatisiertes System einführte, um die Zahlung der Mehrwertsteuer zu überwachen. Damit ließen sich Unstimmigkeiten in der Lieferkette und Steuerausfälle sofort erkennen. Lagen im ersten Quartal 2016 diese Störungen noch bei acht Prozent, war der Wert Ende 2019 auf weniger als 0,6 Prozent gesunken. Es wurden persönliche Steuerkonten eingerichtet und Online-Registrierkassen eingeführt, die Einnahmen von Geschäften erfassen und Daten an die Steuerämter übermitteln ließen. Beim OECD Global Tax Administration Forum wird Mischustin nicht ohne Grund als Vizepräsident für Innovationen bei Steuereinzugstechnologien geführt. Viele, die ihn kennen oder erlebt haben, bescheinigen Mischustin eine strategische Vision. Als Beispiel wird das Steuersystem für Selbstständige genannt, deren Anteil am nationalen Arbeitsmarkt wächst.
Steuern werden heute in Russland strenger erhoben, zugleich ist die Steuersicherheit größer geworden. Der Föderale Steuerdienst arbeite professioneller und sei womöglich allen staatlichen Stellen bei der Implementierung von IT-Technologien voraus, meint Oleg Novikov, Präsident der Verlagsgruppe Exmo-AST. Für den Ökonomen Nikita Krichevsky ist Mischustin auch deshalb die richtige Wahl, weil er „die Lage in jeder Ecke des Landes genau kennt“. Er gelte als „absolut angemessener und vernünftiger Ökonom“, eine Person, die wisse, welchen Wert der öffentliche Dienst habe. „Ich bin sicher, dass die Arbeit des neuen Kabinetts so organisiert wird, wie es die Situation verlangt.“ Als Krichevsky auf den harten Führungsstil Mischustins zu sprechen kommt, ist das mit einer Prophezeiung verbunden: Viele der derzeitigen Beamten würden Russland verlassen, um Bestrafung zu entgehen. Mit Mischustin sei jemand am Ruder, der buchstäblich alles über ihre „Unregelmäßigkeiten“ wisse.
Die fachliche Kompetenz Mischustins hebt auch Sergej Markow hervor, Analyst und CEO des Instituts für politische Studien in Moskau. „Er ist ein Technokrat, nicht von Finanziers unterstützt, nicht vom Geheimdienst; einer, der die Regierung fest im Griff haben wird, ein Kandidat wie Fradkow, aber nicht Putins Nachfolger.“ Man könne nur hoffen, dass unter Mischustin die Regierung vor der Verabschiedung der neuen Verfassung aus dem Feuer der internen Machtkämpfe genommen wird, meint der Politologe Alexander Pozhalov. Ihn erinnere Mischustin an den Übergangspremier Viktor Subkow, der im September 2007 sein Amt von Michail Fradkow übernahm, bis ihm ab Mai 2008 Putin nachfolgte und Dmitri Medwedew die Präsidentschaft übernahm. Eine solche „Ruheperiode“ sei jetzt notwendig, um Putins Botschaften und die nationalen Projekte umzusetzen.
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