Seit kurzem wird Russland im Westen gern mit dem Vorwurf des "Energiefaschismus" bedacht. Zugleich ist von "Energiepartnerschaft" und "strategischer Allianz" die Rede ist. Ende 2006 gaben die USA für Russland den Weg in die Welthandelsorganisation (WTO) frei. Was bedeutet das für die internationalen Beziehungen, was für Russland selbst?
Am 19. November 2006 unterschreiben die USA und Russland am Rande des APEC-Gipfels* in Hanoi ein Abkommen für den russischen Beitritt zur WTO. Darin verpflichtet sich Moskau, die Einfuhrzölle auf Agrar- und Industriewaren aus Nordamerika zu senken. Im Gegenzug will Moskau von niedrigen Zöllen für die Ausfuhr eigener Exportgüter wie Öl und Gas profitieren. Wirtschaftsminister German Gref spricht von einem "historischen, letzten Schritt", der die "Rückkehr Russlands zu den Marktprinzipien der Weltwirtschaft bedeutet. Was unter einer solchen "Rückkehr" auch immer zu verstehen sein mag, so viel ist sicher: Derzeit fallen die letzten Hindernisse für eine WTO-Aufnahme. 13 Jahre lang ist verhandelt worden; vornehmlich die USA haben bis zuletzt einen Durchbruch blockiert, weil sie ihr Verlangen nach dem Schutz von Urheberrechten nicht ausreichend beachtet fanden.
Gänzlich aufgestoßen ist die Pforte ins Gelobte Land freilich noch nicht. Seit der Wahlniederlage der Republikaner verfügen die Demokraten über die Mehrheit im US-Kongress und befürworten eine protektionistische Politik. Ein Hindernis könnten auch Moskaus Konflikte mit Moldawien und Georgien sein. Russland hat deren Importe drastisch eingeschränkt, was beide Länder als Strafe für ihre pro-westliche Politik begreifen. Zu allem Überfluss hat die Staatsduma wenige Tage nach dem russisch-amerikanischen Abkommen von Hanoi ein Gesetz verabschiedet, das den Präsidenten autorisiert, Wirtschaftssanktionen gegen andere Staaten zu verhängen.
Kein überraschendes Votum, noch 2006 hat Russland während des G 8-Treffens in St. Petersburg die vom Westen geforderte Liberalisierung des Energiemarktes abgelehnt. Auch die "Entmonopolisierung" der nationalen Telefongesellschaft, die Öffnung der Maschinenbaubranche sowie abgeschmolzene Subventionen für Agrarbetriebe stießen auf wenig Gegenliebe.
Neue eigene Nischen
Nun allerdings glaubt Präsident Putin, die noch anstehenden Verhandlungen zum WTO-Beitritt würden zu Bedingungen führen, die den eigenen Wirtschaftsinteressen voll Rechnung tragen. Das Ziel bestehe in der "ungehinderten Erschließung internationaler Märkte" für die eigenen Produkte, "in der zweckmäßigen Beteiligung an der internationalen Arbeitsteilung und im Erhalt der vollwertigen Vorteile aus der Integration in die Weltwirtschaft."
Was verspricht sich Russland von der WTO? In seiner Jahresansprache vor der Föderalversammlung hatte Wladimir Putin am 18. April 2002 erklärt, man habe lange die Illusion gehegt, dass - nach dem Ende der Blockkonfrontation - "uns die Welt in wirtschaftlicher Hinsicht mit offenen Armen empfangen" werde. Nun habe sich herausgestellt: Die heutige Welt sei von "erbitterter Konkurrenz" geprägt, von "Konkurrenz um Märkte, um Investitionen, um politischen und wirtschaftlichen Einfluss". In diesem Kampf müsse Russland stark und wettbewerbsfähig sein. Niemand wolle Russland angreifen, aber es warte auch niemand auf Russland, das sich seinen "Platz an der Sonne" selber erkämpfen müsse.
"Die WTO" - so Putin - "ist weder absolut gut noch absolut schlecht. Sie ist auch keine Belohnung für gute Führung. Die WTO ist ein Werkzeug. Derjenige wird stark, der mit ihr umgehen kann ... Unser Land ist noch davon ausgeschlossen, die Regeln des Welthandel mit zu formulieren ... Daraus ergibt sich als Konsequenz, dass unsere Wirtschaft sich nicht entwickelt und unsere Wettbewerbsfähigkeit abnimmt." Es gehe also darum, "die WTO als Instrument zur Verteidigung nationaler Interessen Russlands auf den Weltmärkten" zu nutzen, um sich "neue eigene Nischen zu sichern". Putins WTO-Programm endete mit den Worten: "Das Parlament wird eine große Arbeit auf sich nehmen müssen, um unsere Rechtsprechung mit den WTO-Normen in Einklang zu bringen."
Ein Gesetz, um nationales Recht dem WTO-Kodex anzugleichen, wurde bereits 1991 verabschiedet; jetzt gilt es die Umsetzung zu beschleunigen, wenn der Beitritt demnächst stattfinden soll. Das hieße: Unterordnung unter das zentrale Prinzip der WTO - die Liberalisierung des Welthandels, Unterordnung unter das Regime ihrer spezifischen Vertragssysteme GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen), GATS (Regelungen für den Dienstleistungsverkehr), TRIPS (Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums) und TRIMS (Regelungen für handelsbezogene Direktinvestitionen), die sich gesonderten Aspekten der Liberalisierung verschrieben haben.
Russlands Autarkie brechen
Schon im Vorfeld des eingangs erwähnten Agreements hat Russland - WTO-Richtlinien folgend - seine bislang subventionierten Gas- und Ölpreise für das "Nahe Ausland" den Weltmarktpreisen angenähert. Nichts Anderes ist der Kern des angeblichen "Gas- und Ölkriegs", der seit geraumer Zeit zwischen Russland und früheren Sowjetrepubliken schwelt. Schon bald wird sich Moskau unausweichlich mit der WTO-Forderung konfrontiert sehen, das zu tun, was bislang abgelehnt wurde: den eigenen Energiemarkt zu liberalisieren und zu privatisieren, bis hin zur Anerkennung der EU-Energiecharta. Dem wird das Gebot folgen, die Inlandspreise freizugeben, also die Subventionen bei Gas und Öl für den Verbrauch im Inland aufzuheben. Das träfe die eigene Industrie, die an billige Energie gewöhnt ist und dürfte zu einer Explosion der bisher subventionierten kommunalen und privaten Heizkosten führen. Was das für ein Land mit arktischer Kälte und kommunaler Gemeinschaftsheizung bedeutet, liegt auf der Hand.
Eintritt in die WTO hieße weiter, Schlüsselindustrien für Investitionen forciert zu öffnen, was mit Rationalisierung und Entlassungen verbunden sein kann. Auch Fleischimporte und andere Agrarerzeugnisse müssten ungehindert auf den russischen Markt gelangen. Sollten gleichzeitig bisherige Agrarsubventionen entfallen, könnte sich die eigene Landwirtschaft der in Aussicht stehenden Billig-Einfuhren kaum erwehren.
Kurzum, wenn die Russische Föderation tut, was die WTO in Sachen Liberalisierung verlangt, wird sie ihre bisher trotz aller Modernisierung noch halbkapitalistischen Wirtschafts- und Lebensverhältnisse dem Diktat einer allgemeinen "Monetarisierung" unterordnen. In der Konsequenz ginge die ökonomische Bewegungsfreiheit der Menschen verloren, denn die traditionellen Strukturen der kommunalen und familiären Wirtschaft - die einer eigenproduktiven Selbstversorgung - fielen einer Fremdversorgung mit Billigimporten zum Opfer. Lokale und regionale Wirtschaftsräume würden veröden, die Bevölkerung sich kaum am Wohlstand laben. Es ist sogar zu bezweifeln, ob die herrschenden Eliten mit der WTO den ersehnten "Platz an der Sonne" gebucht haben.
Sicher dagegen ist - Russland wird ins Regelwerk einer neoliberal intendierten Globalisierung eingebunden. Das mag auch den überraschenden Sinneswandel der US-Administration erklären: Wenn es trotz aller Interventionen der vergangenen Jahre nicht gelang, Russland politisch klein zu halten, so besteht bei einem WTO-Beitritt die Möglichkeit, den gefürchteten Konkurrenten wenigstens wirtschaftlich zu disziplinieren. In Hintergrund dürfte dabei nicht zuletzt die Angst vor einem wirtschaftlich und politisch autarken Russland stehen. Seine Eingemeindung in die WTO beschert die Hoffnung, diese Autarkie brechen zu können. Warum sich der Aspirant darauf einlässt? Möglicherweise hat es mit der von Putin benannten Illusion vom guten Westen zu tun, die bei Russlands Politikern trotz aller gegenteiligen Erfahrungen der zurückliegenden 20 Jahre noch immer besteht.
(*) Asiatisch-Pazifischer Wirtschaftsverbund
s. auch Kai Ehlers, Russland: Aufbruch oder Umbruch? Pforte/Entwürfe, 2005
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