Erst raucht, dann qualmt es

Tumulte in Petersburg und Moskau Vieles spricht dafür, dass Putin die Lage nicht beherrscht

Aus der Provinz herbei gekarrte Spezialeinheiten prügeln nicht genehmigte Demonstrationen der radikalen Opposition nieder. Es fällt nicht schwer, dieses Vorgehen falsch und verwerflich zu finden. Auch erscheint es wenig verwunderlich, dass die Polizeieinsätze den "entschiedenen Protest" westlicher Politiker hervorrufen und die westlichen Medien zu Skandalberichten animieren, die in der Aufforderung gipfeln, die Partnerschaft mit Moskau zu überdenken - wenn nicht Russland gleich ganz aus der "westlichen Wertegemeinschaft" zu verdammen. Nur ist die Russische Föderation - trotz aller überschäumenden Empörung - sehr wohl im Normen-Kodex der westlichen Demokratien angekommen, die sich seit jeher darauf verständigt haben: Wer an einer nicht genehmigten Demonstration teilnimmt, muss mit Prügeln rechnen.

Eine ganz andere Frage ist es, warum russische Behörden diese Demonstrationen verbieten. Warum lässt man 1.000 "Andersdenkende" - Ultra-Liberale, Nationalbolschewisten, Menschenrechtler und Anarchisten, die kein politisches Programm, sondern nur der Hass auf Putin eint, nicht einfach marschieren? Was hat das Putinsche Russland von diesem zusammengewürfelten Haufen zu befürchten? Haben die Regionalwahlen nicht gerade eine überwältigende Mehrheit für die Politik des Präsidenten gebracht? Und hat der nicht durch seine klare Ankündigung, keine dritte Amtszeit anzustreben, den Weg für möglichst störungsfreie Wahlen 2008 geebnet?

Eine erste Antwort ergibt sich aus den Provokationen des im Londoner Exil lebenden Oligarchen Beresowski, der seine schon vor einem halben Jahr geäußerte Absicht, das "Regime Putin" mit Gewalt stürzen zu wollen, wenige Tage vor den jetzigen Vorgängen im Londoner Guardian wiederholte. Putin - ließ er wissen - habe ein totalitäres Regime errichtet. Es gebe keine Möglichkeit, es durch Wahlen zu verändern. Er stehe im Kontakt mit Mitgliedern der russischen Führung, denen er finanziellen Beistand angeboten habe. Auch wenn sich kaum nachweisen lässt, ob der "Marsch der Unzufriedenen" von Beresowski finanziert wurde, ist nicht auszuschließen, dass der Kreml die Parole von Ex-Schachweltmeister Kasparow, Demokratie könne und müsse auf der Straße erkämpft werden, als Passstück zu Beresowskis Aufruf versteht.

Das eigentliche Problem liegt freilich weder bei Beresowski noch bei Kasparow, als viel mehr in der nach wie vor nicht stabilisierten russischen Elite: Nach acht Jahren Putin ist die offene Herrschaft der Oligarchie, die sich unter Jelzin gebildet hatte und deren führender Kopf Beresowski war, zwar gebrochen, aber vor allem in der Wirtschaft noch keine verlässliche Loyalität gegenüber dem heutigen Staat nachgewachsen. Der in einem Jahr anstehende Wechsel des Präsidenten beschwört daher für Russlands neue Staatlichkeit eine äußerst kritische Situation herauf. Mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) wird die kommende Regierung tiefe Einschnitte in die sozial-politische Souveränität des Landes vorantreiben müssen, was dem inneren Frieden wenig zuträglich sein dürfte.

Für den Außenhandel mag die WTO von Nutzen sein, solange die Energiekonzerne, deren Manager ein wichtiger Teil der Elite sind, sich in die staatliche Politik einbinden lassen. Auf dem Binnenmarkt freilich käme ein Wegfall bisheriger Subventionen einer Katastrophe gleich. Bis heute sind die einheimische Industrie wie auch die kommunale Versorgung an Vorzugspreise für Gas und Öl gewöhnt. Vielerorts müssen überhaupt erst Zähler installiert werden, bevor die Gasversorgung privatisiert werden kann. Man stelle sich vor, was das für ein Land bedeutet, das ein kollektives Verteilungssystem aufgebaut hat. Die von der WTO geforderte Kommerzialisierung von Dienstleistungen hatte schon 2005 und 2006 zu heftigen Protesten geführt, so dass die Regierung zurückrudern musste. Der Nachfolger Putins wird keine Wahl haben: Was er auch tut, entweder wird er die russische Bevölkerung brüskieren oder sich mit der WTO anlegen. Die Reaktion auf die jüngsten Proteste lässt befürchten, dass Putin - allen Schmähungen als mutmaßlicher Diktator zum Trotz - die Lage nicht beherrscht und die jüngsten Zusammenstöße Vorboten einer Eskalation sind.


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