Keine Rosen, keine Tulpen

Kirgistan Die USA, Russland und China können nur der Stabilität des Landes etwas abgewinnen - alles andere ist zweitrangig

Der Umsturz in Kirgistan schien dem gleichen Raster zu folgen wie zuvor in Georgien und in der Ukraine: OSZE-Beobachter erklären die Parlamentswahlen vom 27. Februar für mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar, die EU-Kommissarin Ferrero-Waldner spricht gar von Manipulation, und die kirgisische Opposition darf sich gestärkt fühlen.

Aber dann nahmen die Ereignisse doch einen anderen Verlauf, als nach dem erprobten Schema zu erwarten war: Keine wochenlangen Demonstrationen, keine belagerten Regierungsgebäude, keine mit westlicher Hilfe aufgebauten Führer - stattdessen Sturz des Präsidenten Askar Akajew innerhalb weniger Tage durch einen die bisherige Ordnung sprengenden Aufruhr, kein Pro und Contra aus dem Ausland, kein erkennbarer diplomatischer Zwist zwischen den Hauptrivalen der Weltpolitik in diesem Raum, vielmehr beruhigende Botschaften von allen Seiten: Präsident Putin sichert der neuen Übergangsregierung seine Unterstützung zu, während er dem gestürzten Staatschef gleichzeitig Asyl gewährt. Für die USA erklärt Außenministerin Rice, man hoffe auf die baldige Stabilisierung Kirgistans. Der OSZE-Vorsitzende, Sloweniens Außenminister Dimitrij Rupel, ruft die Konfliktparteien in Bischkek zu Mäßigung und Dialog auf. In einem sehr gedämpften Ton wirft das Außenministerium in Moskau den Wahlbeobachtern der OSZE zwar vor, sie hätten die Turbulenzen angefacht, aber das scheint eher präventive Rhetorik, um sich gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten befreundeter Staaten zu verwahren.

Eurasischer Balkan

Weshalb wird in Kirgistan nicht gezündelt wie vorher in Georgien oder in der Ukraine? Handelt es sich um eine eher zu vernachlässigende Figur auf dem eurasischen Schachbrett? Als eines der ärmsten Länder der Region ohne relevante Öl- oder Gasvorkommen ist Kirgistan zweifellos nicht mehr als ein Bauer in der eurasischen Partie - dank seiner Lage an der chinesischen Grenze und in Nachbarschaft zu Tadschikistan und Afghanistan jedoch einer mit strategischen Qualitäten. Der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinksi zählte Kirgistan zu den "Ländern des ethnischen Hexenkessels" auf dem "eurasischen Balkan", deren Instabilität das "Verlangen ihrer mächtigeren und von Großmachtphantasien getriebenen Nachbarn" wecke, "diese Situation auszuschlachten." Gemeint sind Russland und China. "Die USA liegen zwar geografisch weit entfernt, haben aber ein starkes Interesse an der Erhaltung eines geopolitischen Pluralismus im postsowjetischen Eurasien", schreibt Brzezinski in seinem Standardwerk Die einzige Weltmacht und fährt fort: "Amerikas primäres Interesse muss folglich sein, mit dafür zu sorgen, dass keine einzelne Macht die Kontrolle über dieses Gebiet erlangt und dass die Weltgemeinschaft ungehinderten finanziellen und wirtschaftlichen Zugang zu ihr hat."

Damit darf sich vorzugsweise Russland angesprochen fühlen, das seit jeher die sogenannte GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) als Zone von höchster Priorität betrachtet. "Im GUS-Raum" - so Außenminister Lawrow - "leben Millionen unserer Landsleute. Dort bündeln sich für uns Lebensinteressen, sei es in der Ökonomie, der Verteidigung oder nationalen Sicherheit." Russland betrachtet Kirgistan als unverzichtbaren Partner, denn das Land ist in seine zentralasiatische Bündnisstrategie neben Kasachstan besonders eng eingebunden. Kirgistan gehört neben Weißrussland, Kasachstan, Russland und Tadschikistan zur Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft, die sich demnächst zur Zollunion erklären will, gleichfalls zur Shanghaier Organisation für Kooperation, die neben Russland und China sämtliche Staaten Mittelasiens vereint. Schließlich hatte Askar Akajew mit Armenien, Weißrussland, Kasachstan und Tadschikistan einen Vertrag über kollektive Sicherheit unterschrieben.

Totes Rennen

Zehn Prozent des Staatshaushaltes werden heute durch Einnahmen aus dem Betrieb der Militärbasen bestritten, die Russland wie auch die USA seit geraumer Zeit auf kirgisischem Territorium unterhalten. Die russische Armee verfügt neben einem Stützpunkt der Luftwaffe in Kant über ein Testgelände für Torpedos am Gebirgssee Issyk-Kul und eine Messstation, die weltweit Nukleartests registrieren kann. Manas mit mehr als 2.000 Mann Personal ist für die Amerikaner neben den US-Basen in Usbekistan eines der wichtigsten Nachschubdepots und logistischen Zentren für Operationen in Afghanistan.

Und für die Volksrepublik China wie auch die Europäische Union ist kirgisisches Gebiet Teil eines Korridors, der demnächst neue Pipelines für Öl und Gas, aber auch Bahnlinien aufnehmen soll, um die Energietrassen der Zukunft - unter Umgehung Russlands - quer durch Zentralasien und den Kaukasus führen zu können. Mit anderen Worten, in Kirgistan und dessen Nachbarschaft findet in geopolitischer Hinsicht so etwas wie ein totes Rennen statt, weil die USA, Russland und China (noch) daran interessiert sind, dass die Balance der Kräfte nicht ernsthaft erschüttert wird. Der Umsturz in Kirgistan kann insofern einen unerwünschten Dominoeffekt auslösen und andere autoritäre Regimes Zentralasiens (Usbekistan, Tadschikistan) ins Wanken bringen oder das subversive Potenzial islamistischer Bewegungen herausfordern. Die "internationale Gemeinschaft" hatte sich stets mit Kritik am gebieterischen Charakter des Regimes von Askar Akajew zurückgehalten und dessen Armee stattdessen ermuntert, die islamistische Hisb-ut-Tahir in Schach zu halten - das dürfte auch im Verhältnis zur künftigen Regierung in Bischkek kaum anders sein.



Länderdossier Kirgistan

Fläche198.500 Quadratkilometer

Bevölkerung4,8 Millionen

NationalitätenKirgisen (57,1 Prozent) Russen (19,0); Usbeken (13,3); Ukrainer (2,1); Tataren (2,0)

StaatsformPräsidialrepublik, Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Religion vor

ArmeeLandstreitkräfte (9.000 Mann), seit 1999 Bildung einer paramilitärischen Nationalgarde

Bruttoinlandsprodukt / pro Kopf + Jahr (in Dollar)* 259

Auslandsverschuldung (in Prozent des BIP) 150

Inflationsrate (in Prozent / pro Jahr) 25

Außenhandelsvolumen Deutschland / Kirgistan*33,0 Millionen Euro

(*) Sämtliche Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2003, Quellen: IMF/EBRD


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