Ist das bedingungslose Grundeinkommen der Weg in eine gerechtere Gesellschaft? Wer profitiert letztlich davon und auf wessen Kosten? Die Vision, in Varianten von Unternehmer Götz Werner (Freitag 44/06) und Linkspartei-Vize-Chefin Katja Kipping (48/06) vertreten, besitzt den Klang von Freiheit und Selbstbestimmung. Nicht nur derzeitige Hartz IV-Empfänger, auch manche Unternehmer könnten Gewinner sein. Neben Werner und Kipping diskutierten bislang in dieser Zeitung Ulrich Busch (46/06), Wolfgang Ratzel (50/06), Wieland Elfferding und Heinz-Bernhard Wohlfarth (beide 1/07) die Vorteile und blinden Flecken eines bedingungslosen Grundeinkommens. Kai Ehlers ergänzt, eine solche Forderung komme ohne eine Idee von Gemeinschaftlichkeit und solidarischem Handeln nicht aus.
Wer eine realistische Vision entwerfen will, darf die unangenehmen Fragen nicht scheuen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre ohne Zweifel wünschenswert, wenn es denn möglich wäre - das sagen sogar die Kritiker. Aber ist es möglich? Dass wir alle freie, selbstbestimmte Menschen sein wollen und das auch anderen gönnen, bedarf keiner weiteren Diskussion. Aber wie sehen die Bedingungen dieser Freiheit aus? Welche Art Ökonomie verträgt sich mit ihr? Stimmt die immer wieder vorgebrachte Behauptung, dass wir heute in einer "Fremdversorgungsgesellschaft" leben? Wenn ja, muss die "Fremdversorgung" durch Einführung eines Grundeinkommens noch gesteigert oder muss sie vielleicht durch zeitgemäße Formen der Eigenversorgung ergänzt oder gar korrigiert werden? Führt ein staatlich garantiertes Grundeinkommen notwendigerweise zu mehr Freiheit des Individuums und der Wirtschaft oder - unter Fortbestehen der heutigen Produktions- und Lebensverhältnisse - vielleicht nur der Wirtschaft, vielleicht sogar weder der Wirtschaft noch des Individuums, sondern des Staates?
Unter Produktivkraft verstehen wir die materiellen, physischen und geistigen Kräfte, die der Produktion eines Gutes dienen. Diese Kräfte haben sich im Laufe der Jahrhunderte so entwickelt, dass der zur Produktion eines Gutes notwendige Anteil menschlicher Arbeitskraft immer geringer wird. Die "überflüssigen" Arbeitskräfte werden ausgestoßen. Als "Reservearmee", so schon Marx´ Analyse, dienen sie im Kapitalismus dazu, den Lohn für die Beschäftigten zu drücken. Dieser Prozess ist dem Kapitalismus immanent. Nicht "Vollbeschäftigung", sondern Reduzierung des Anteils lebendiger Arbeit an der Produktion, ist sein Wirkprinzip - bestenfalls ausgeglichen durch eine quantitative Ausweitung der Produktion.
Mit der allgemeinen Computerisierung erleben wir heute eine rasante Beschleunigung dieser Entwicklung; gleichzeitig zeigen sich Grenzen der quantitativen Ausweitung der Produktion. Das Ergebnis sind wachsende Massen von "überflüssigen" Arbeitskräften, die aus dem bisherigen Kreislauf von Produktion und Konsumtion ausgestoßen werden. Diese Zahl der "Überflüssigen" erhöht sich noch durch die absolute Zunahme der Weltbevölkerung. Alle diese "Überflüssigen" müssen entweder aus dem Erlös der Produktion unterhalten werden, obwohl sie nicht arbeiten, oder sich selbst einen Unterhalt organisieren, wenn sie nicht sterben wollen - oder sollen. Hier werden Grenzen der heutigen Produktionsverhältnisse erkennbar, jenseits derer die menschliche Gesellschaft zu neuen Formen der Arbeitsteilung übergehen wird - wünschenswerter Weise schrittweise und friedlich.
Damit sind wir bei der "Fremdversorgungsgesellschaft". In der Tat: Einerseits werden Produkte rund um die Welt geschickt, andererseits haben immer mehr der "Überflüssigen" vor Ort immer weniger Mittel, sich die Produkte zu kaufen. Damit stößt auch die "Fremdversorgung" an ihre Grenzen. Die Menschen sind gezwungen, nach neuen Formen der Selbstversorgung zu suchen, sind gezwungen, lokale und regionale Solidargemeinschaften zu bilden, die sie widerstandsfähig gegen die Unwägbarkeiten der "Fremdversorgung" wie auch der Staatsfürsorge machen. Man kann von einem Puffer, von Schutz-, Kraft-, sogar Widerstandsräumen gegen die desintegrierenden Folgen der Globalisierung sprechen, die von ihr selbst hervorgebracht werden. Das gilt besonders für Länder, die jetzt erst in die Industrialisierung hineingezogen werden, aber auch für die Metropolen selbst, speziell für die Länder des ehemaligen sowjetischen Bereiches, aus deren ökonomischer Organisation viel für die gegenwärtige Debatte um eine Grundsicherung gelernt werden kann - negativ, aber auch positiv.
Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, dass eine zukünftige Grundsicherung aus drei Elementen zusammenwachsen muss. Dazu gehört zunächst ein Grundeinkommen, das gleiche Teilhabe aller Menschen am Konsum einer produktiver werdenden Welt ermöglicht. Das ist der Aspekt der Gleichheit. Er wird hauptsächlich durch Geld vermittelt, aber nicht nur. Teile des Grundeinkommens können auch in allgemeinen, jedem Menschen gleichermaßen zustehenden Versorgungsleistungen der jeweiligen Gemeinschaften bestehen. Das Grundeinkommen kann selbstverständlich durch eigene Arbeit aufgestockt werden.
Wichtig ist aber auch eine gemeinschaftliche Grundversorgung, die aus einer Wiederaneignung der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Selbstversorgung erwächst. Dies beginnt bei der kollektiven Selbsthilfe der "Überflüssigen" und kann bis zur gemeinschaftlichen Versorgung mit selbst hergestellten agrarischen, handwerklichen und einfachen industriellen Gütern im lokalen und regionalen Rahmen voranschreiten. Unmittelbare Not der "Überflüssigen" ist die eine, Fähigkeit zur Wiederherstellung einer direkten Beziehung zum Produkt der eigenen Arbeit die andere Triebfeder solcher Zusammenschlüsse. Sie können Menschen von außerhalb, sogar global in ihr Netz einbeziehen. Ihre Basis ist jedoch die Kooperation vor Ort. Das ist der Aspekt der gegenseitigen Hilfe und der sozialen Grundabsicherung in Solidargemeinschaften. Drittens sollte auch selbstbestimmte Eigentätigkeit hinzu kommen, mit der jeder Einzelne seine eigenen Vorstellungen vom Leben verwirklicht. Das ist der Aspekt der persönlichen Freiheit, der über lokale, nationale, staatliche, aber auch über ethnische und kulturelle Grenzen hinausführt.
Diese drei Elemente müssen ineinander greifen. Eins kann nicht isoliert vom anderen verwirklicht werden, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verzerren: Grundeinkommen ohne Schaffung solidarischer Schutzräume öffnet Tür und Tor für staatliche Manipulationen. Gemeinschaftsbildung ohne Bezug zur Welt endet in Regionalismus und Zwangskollektiven. Beides hatten wir schon. Verabsolutierte Eigenarbeit endet in der Ich-AG als extremste Perversion persönlicher Freiheit. Eine lebendige Alternative kann nur aus der Wechselwirkung der drei Elemente und sie kann nur schrittweise erwachsen, wenn möglichst wenig Blut vergossen werden soll.
Die Einführung eines Grundeinkommens kann ein Schritt auf diesem Weg sein. Umgekehrt können heute entstehende Gemeinschaften dazu beitragen, das vom Kapitalismus geprägte negative Menschenbild zu überwinden, indem sie zeigen, dass der Mensch zu solidarischer Lebensweise fähig ist. Voraussetzung für das eine wie das andere ist, dass aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wird, das heißt, dass der Mensch vor die freie Wahl gestellt wird, wie er oder sie arbeiten und wie er oder sie sein oder ihr Leben organisieren möchte, ohne eines der Elemente zu verabsolutieren. Ich nenne das den Weg in eine integrierte Gesellschaft.
Eine ausführliche Argumentation ist zu finden in: Kai Ehlers: Grundeinkommen für alle - Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft, Pforte/Entwürfe, Dornach 2006, siehe auch www.kai-ehlers.de
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