Schaschlyk-Partys & Gesetzes-Diktaturen

Russland und der 7. Dezember 2003 Wladimir Putin will sich mit der Duma-Wahl auch seinen Panthersprung ins Reichs der Oligarchen absegnen lassen

Mehr noch als im Dezember vor vier Jahren hat die Machtpartei Einheit im Wahlkampf auf den Putin-Bonus gesetzt, um als eine Formation der praktisch tätigen Exekutive wahrgenommen zu werden, die unermüdlich an ein starkes, einheitliches Russland denkt. Der Wähler sollte überzeugt werden, dass die Putinisten im Unterschied zu den Kommunisten des Gennadij Sjuganow viel soziale Verantwortung übernehmen und in konkrete Fortschritte für den Einzelnen ummünzen können. Auch wenn das - allein schon dank des administrativen Potenzials der Präsidentenpartei - unbestritten sein dürfte, Einheit fehlen die wirklich charismatische Figuren. Viele Politiker aus der Entourage Wladimir Putins gelten in der Bevölkerung als prinzipienlose Karrieristen, die im Sog präsidialer Autorität nach Macht und Einfluss streben.

Wahlentscheidend wird dieses Defizit allerdings nicht sein. Das lässt sich deshalb mit einiger Gewissheit prophezeien, weil Russland für das laufende Jahr einen beachtlichen ökonomischen Aufschwung verbucht. Nach Angaben von Goskomstat, des Staatlichen Amtes für Statistik, wuchs das Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 7,1 Prozent. Die Industrieproduktion stieg um 6,8, der Warenumsatz des Einzelhandels um 8,7, das Investitionsvolumen gar um 11,9 Prozent. Erstmals auch hatte Russland in diesem Jahr statt des seit 1991 üblichen - teilweise katastrophalen - Kapitalabflusses einen leichten Überhang bei Investitionen aus dem Ausland zu verzeichnen. Im Durchschnitt verdient ein russischer Arbeitnehmer Ende 2003 (ohne Berücksichtigung der Inflation) monatlich nominell 5.200 Rubel, was einem Zuwachs des Realeinkommens gegenüber 2002 um 14,4 Prozent entspricht. Offiziell ging die Zahl der staatlich registrierten und alimentierten Arbeitslosen von 1,53 Millionen um 664.000 zurück - tatsächlich jedoch waren im III. Quartal 2003 5,6 Millionen Russen (7,8 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung) ohne Beschäftigung. Das ist von der Tendenz her eine Bilanz, die Präsident Putin in der Regel mit dem Satz interpretiert: Sein Konzept einer "autoritären Modernisierung" habe sich durchgesetzt und trage erste Früchte.

Auch gilt inzwischen der Elitenaustausch, wie er nach dem Ende der Ära Jelzin Anfang 2000 begann, als abgeschlossen. Nach Untersuchungen über die neue Führungsschicht, die unter Putin Verantwortung übernommen hat (die Studie ist dem Soziologischen Institut der russischen Akademie der Wissenschaften zu verdanken) kommen heute 77 Prozent der Mitarbeiter in den Ministerien und der Präsidialadministration aus der Nomenklatura des einstigen Komsomol. Die oft verbreitete Auffassung, Putin scheue sich vor Kaderrochaden, wird durch diese Expertise klar widerlegt. Auf Föderationsebene wurde beispielsweise ein Viertel des Personals ausgetauscht. Die Gruppe der sogenannten "zufälligen Leute", die unter Jelzin aufsteigen konnten - vorzugsweise ehemalige Dissidenten und Demokraten der ersten Stunde noch aus den Zeiten Gorbatschows -, sehen sich marginalisiert oder wurden besonders von Kadern der Sicherheitsdienste und der Armee aus ihren Funktionen gedrängt. Im Nationalen Sicherheitsrat, den die Studie des Akademie-Instituts von seiner heutigen Funktion her mit dem Politbüro der KPdSU vergleicht, sind sieben von zehn Mitgliedern erst in den vergangenen vier Jahren berufen worden.

Dieser Teil der russischen Oberschicht will einen starken Staat, der die Wirtschaft kontrolliert. Die Notwendigkeit marktwirtschaftlicher Verhältnisse - vor allem im klein- und mittelständischen Produktions- und Handelsmetier - wird akzeptiert, die strategischen Branchen aber sollen - und da treffen sich Putin-Sympathisanten und KP-Anhänger - staatlich geführt werden. Die Yukos-Affäre war ein Indiz dafür, dass dabei Konfrontationen mit den neuen Oligarchen nicht ausgeschlossen bleiben. Schon die nächsten Monate könnten zeigen, ob der sogenannte "Schaschlyk-Pakt" noch gilt, also jenes Arrangement, das einmal bei einem Barbecue am Rande von Moskau zwischen Politikern und Unternehmern vereinbart worden und auf die Formel hinausgelaufen sein soll: die neuen Oligarchen halten sich aus der Politik heraus. Die gesteht ihnen dafür zu, dass die teils kriminellen Privatisierungen der frühen Neunziger legitimiert werden, sprich: unangetastet bleiben. Gegen diesen informellen Kodex hatte Ex-Yukos-Chef Michail Chordorkowski mit seinem politischen Engagement im Jahr der Duma-Wahl offenbar verstoßen.

Als er im März 2000 seine erste Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, ließ Wladimir Putin die Auffassung verbreiten: Reformen könnten nicht darin bestehen, westliche Modelle kritiklos zu übertragen. Vielmehr müsse ein Weg gefunden werden, der die Privatwirtschaft mit den kollektiven Traditionen Russlands verbinde. Man müsse zu einer eigenen Identität zwischen Europa und Asien finden. Um diesem Ziel näher zu kommen, brauche das Land die "Diktatur des Gesetzes". Putin hat - von Ausnahmen abgesehen - Wort gehalten. Die Zusammensetzung der nächsten Duma dürfte zeigen, ob diese Diktatur auch angenommen wurde.


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