Zwischen Moskau und Brüssel

Kommentar Die Ukraine nach der Wahl

Wahlsieger Viktor Juschtschenko hat in einem Interview unmittelbar nach dem Votum vom 26. Dezember erklärt, Russland bleibe strategischer Partner der Ukraine, einzige Bedingung sei, "dass Putin den Weg der Ukraine in die EU nicht blockiert". Mit anderen Worten: Der Spagat zwischen Moskau und Brüssel wird ebenso zum Regierungsprogramm wie der zwischen Privatwirtschaft und Staat. Juschtschenko hat zwar erklärt, er wolle "keine Rückkehr zur Zeit der Privatisierung", präzisiert aber gleich darauf, von Renationalisierung halte er nichts. Er wolle Stabilität und klare Rechtsverhältnisse. Die Unternehmer müssten vor ungerechtfertigten Verfolgungen geschützt werden. Auch werde es keine Ermittlungen gegen Präsident Kutschma und dessen Familie geben. Andererseits müsse ab 2005 jeder in der Ukraine Steuern zahlen - die Schattenwirtschaft sei beendet.

Dies alles hört sich - verwunderlich, aber wahr - wie ein Aufguss der Verlautbarungen an, die Wladimir Putin lancieren ließ, als er Anfang 2000 seinen Vorgänger Boris Jelzin beerbte: es gibt Straffreiheit für Jelzins Familienclan, hieß es damals. Man wolle Rechtssicherheit, Steuergerechtigkeit, aber auch Sicherheit für die durch eine Schock-Privatisierung etablierten Eigentumsverhältnisse ungeachtet der Methoden, mit denen sie zustande kamen. Was ist unter diesen Umständen das Besondere eines ukrainischen Weges, wie ihn Juschtschenko einschlagen will? Offenbar in dem Versuch, einen Ausgleich zwischen Russland und der Europäischen Union zu vermitteln, während Russland Ähnliches zwischen Asien und Europa bewirken will. Eine Entscheidung für Moskau oder Brüssel ist das nicht. Das strategische Tauziehen wird daher weitergehen. Denn nach wie vor ist die Frage offen, ob sich die Ukraine für die von Wladimir Putin gewünschte "Slawische Union" unter Einschluss Weißrusslands und Kasachstans entscheidet oder ihr Heil in Westeuropa suchen will. Auf eine Antwort warten nicht zuletzt die Industrie- und Rüstungskomplexe im Osten des Landes, die eng mit Russland verflochten sind. Gleichermaßen konfliktträchtig ist die Rolle der Ukraine als Transitraum für die Energieversorgung Europas mit Öl und Gas aus dem kaspischen Raum. Um die strategische Dimension der herauf ziehenden Konfrontation zu begreifen, sei an Zbigniew Brzezinski und seine Bemerkung erinnert, "ohne die Ukraine ist Russland kein Imperium mehr".

Insofern kann ein Dialogforum zwischen Russland und Deutschland zur Lösung des Tschetschenien-Konfliktes und zur Stabilisierung des Kaukasus, wie es Putin und Schröder während ihres jüngsten Treffens in Hamburg vereinbart haben, nützlich sein, um sich abzeichnende Konflikte zwischen Kiew, Moskau und Brüssel zu kanalisieren. Man darf allerdings gespannt sein, wie die USA auf den Versuch Moskaus reagieren werden, seine Isolierung durch eine "special relationship" mit Berlin zu durchbrechen. Eine Antwort dürfte nicht lange auf sich warten lassen.


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