Zerstören ist leichter als aufbauen. Das haben auch die Gehirnforscher schmerzhaft erfahren müssen. Im zwanzigsten Jahrhundert haben sie mehrfach erlebt, wie katastrophal die Konsequenzen sein können, wenn Teile des Gehirns entfernt werden. Bei Henry Molaison zum Beispiel. Der 27-jährige Amerikaner litt an schwerer Epilepsie. Seine Ärzte entschieden sich, eine neue Methode auszuprobieren, und entfernten 1953 in einer Operation Teile des Schläfenlappens auf beiden Seiten des Gehirns. Der Eingriff kostete H.M., wie er seither in der Fachliteratur genannt wurde, das Langzeitgedächtnis. Er konnte keine neuen Erinnerungen mehr abspeichern und lebte fortan in der ständigen Gegenwart des Jahres 1953. Wenn er später in den Spiegel blickte, sah er nur einen alten Mann, den er nicht kannte.
Inzwischen versuchen Hirnforscher das Gegenteil. Sie wollen heilen, indem sie Zellen hinzufügen, nicht entfernen. Die Idee: Nervenzellen, die im kranken Gehirn fehlen, sollen durch gezüchtete Zellen ersetzt werden. Die Parkinson-Krankheit ist für diesen Ansatz besonders geeignet, denn Forscher wissen genau, welche Zellen diesen Patienten fehlen: Es sind Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin ausschütten und in einem Teil des Gehirns sitzen, der Substantia nigra, also schwarze Substanz, genannt wird.
Das grundsätzliche Probleme bei dem Ansatz ist die Frage, welche Zellen die Forscher benutzen sollten. Ausgewachsene Nervenzellen zu transplantieren ist ausgeschlossen, da sie sich nicht mehr in das Gehirn integrieren. Ein Pionier auf dem Gebiet der Nervenzelltransplantationen ist Anders Björklund von der Universität Lund. Schon 1987 begann er nach zahlreichen Tierversuchen, Parkinson-Patienten die Nervenzellen abgetriebener Feten zu transplantieren. Feten enthalten Gehirnzellen, die noch nicht ausgewachsen sind und so noch das Potential besitzen, sich weiterzuentwickeln und neue Verknüpfungen zu bilden. Tatsächlich scheint die Operation den Behandelten auch genutzt zu haben. Manche könnten inzwischen auf ihre Medikamente verzichten, sagt Björklund, und eine Untersuchung der ersten Patienten zehn Jahre später ergab, dass die Zellen sich tatsächlich integriert hatten.
Eingewachsene Stammzellen
Die Methode scheint also vielversprechend, zukunftsweisend ist sie aber nicht. Zum einen gibt es ethische Bedenken gegen die Benutzung von fetalen Gehirnzellen. In Deutschland wäre eine solche Therapie nicht möglich. Aber auch praktische Probleme sprechen dagegen: So werden für einen einzigen Patienten die Gehirne von etwa sechs abgetriebenen Feten benötigt.
Heumann kritisiert außerdem, bei diesem Ansatz sei die Erzeugung der richtigen Zellmischung „ein Zufallsspiel“. So hätten amerikanische Wissenschaftler gezeigt, dass bei 15 Prozent der Transplantations-Patienten unheilbare Nebenwirkungen auftauchten. „Wir brauchen klar definierte Zellen zum Transplantieren, um sicher zu gehen, dass die Zellen im Gehirn des Menschen auch richtig funktionieren.“ Die Medizin muss sich also die geeigneteren Zellen anderswoher besorgen.
Hoffnungsträger sind vor allem die Stammzellen. Diese haben die Möglichkeit, sich in jeden beliebigen Zelltyp des Körpers zu verwandeln. Mischt man während ihres Wachstums die richtigen Stoffe in ihr Nährmedium, so können sie zum Beispiel zu genau den Zellen gezüchtet werden, die bei Parkinson-Patienten fehlen.
Es geht aber nicht allein darum, welche Zellen transplantiert werden, sondern auch wo. Eigentlich sitzen die Zellen, die Parkinson-Patienten fehlen, in der Substantia nigra, ihre Fortsätze reichen aber in einen anderen Teil des Gehirns, das Striatum. In der Regel könnten Zellen im erwachsenen Gehirn aber nur wenige Millimeter wachsen, weil dort viele Stoffe vorhanden sind, die das Wachstum behindern. „Wenn man die Zellen nun ins Striatum gibt, da wo sie eigentlich nicht hingehören, dann haben sie nicht ihre richtige Umwelt, wenn man sie in die Substantia nigra gibt, müssen sie weit wachsen, und das können sie vermutlich nicht“, erklärt Heumann. Das ist nur ein Dilemma von vielen, aber es zeigt wie schwierig es ist, dem Gehirn mit neuen Zellen zu helfen.
Doch es gibt ermutigende Erfolge. So hat eine japanische Arbeitsgruppe Affen untersucht, bei denen künstlich Parkinson ausgelöst wurde. Aus embryonalen Stammzellen dieser Affen schufen sie jene Nervenzellen, die bei Parkinson absterben und transplantierten sie den Affen. In Experimenten konnten die Forscher beweisen, dass die Zellen sich integriert hatten und sich die Parkinson-Symptome bei den Tieren deutlich abschwächten.
Dennoch bleibt Heumann skeptisch. „Wenn man nur einen bestimmten Zelltyp transplantiert, dann kann das das Gleichgewicht im Gehirn verschieben und es kommt zu einer zu starken Aktivierung.“ Am besten wäre es Zellen zu transplantieren, die noch zu verschiedenen Zelltypen auswachsen können, auch zu Gliazellen, den Stützzellen des Gehirns. „Ich denke, noch ist es eine Vision, Parkinson mit diesen Transplantationen zu heilen, aber manchmal geht es ja auch schneller als man denkt.“
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